Die Kraftausdauer im Sport – zwischen Trainingsmythos und Sportpraxis

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Kraftausdauer – was ist das eigentlich und wie trainiert man sie nun wirklich? Dennis Sandig wagt sich auf ein oft diffus gehandhabtes Feld und klärt über Mythen und die richtigen Trainingsmethoden auf.

Die motorische Eigenschaft „Kraft“ bildet eine wichtige konditionelle Grundlage für die Leistungsfähigkeit bei vielen Bewegungen und Sportarten. Gleichzeitig kann sie als Leistungsreserve helfen, Ihre individuelle Bestleistung zu erzielen. Das gilt für kraftbetonte Sportarten ebenso wie für Ballsportarten und auch Ausdauersportler können von einem gezielten Krafttraining profitieren. Gerade in den Sportarten Radfahren, Triathlon und Schwimmen wird häufig die Kraftausdauer als wichtiger Bestandteil des Trainings gesehen. Dabei werden so genannte „sportartspezifische Trainingsstrategien und -methoden“ in den Trainingsprozess eingebaut. Wir wollen in diesem Beitrag die Struktur der Kraftausdauer kritisch prüfen.

 

Die Kraftausdauer in der Praxis

In den Theorien zum Krafttraining findet man häufig Begriffe, die nicht eindeutig eingegrenzt werden können.(1) So werden beispielsweise Definitionen von Kraftfähigkeiten verwendet, die sich allein am äußeren Erscheinungsbild der Kraft orientieren und sich daher nicht anhand ihrer Einflussgrößen unterscheiden lassen. Es kann nicht trennscharf zwischen vorrangig koordinativen und vorrangig konditionellen Einflussgrößen differenziert werden. Beispiele dafür sind die Sprungkraft oder die Wurfkraft, die in der Sportpraxis nach wie vor verwendet werden.

Auch in den Trainingsempfehlungen von Sportverbänden wie dem Bund Deutscher Radfahrer (BDR) findet man häufig Annahmen und Empfehlungen zur Kraft, die nicht mit den aktuellen wissenschaftlichen Analysen der Kraft in Einklang stehen. Das Krafttraining wird hier in so genannten sportartspezifischen Trainingsmethoden empfohlen und durchgeführt. Man empfiehlt, die Kraft „spezifisch“ – d. h. in Anlehnung an die eigentliche sportartspezifische Bewegung – zu trainieren. Es werden dabei die Bewegungen der Sportart mit erhöhten Widerständen durchgeführt. So soll die jeweilige Anpassung auf die eigentliche Wettkampfbewegung übertragen werden. Radfahrer oder Triathleten beim Radtraining fahren dabei mit einer möglichst großen Übersetzung bergauf. Diese Form des Trainings wird deshalb empfohlen, weil man davon ausgeht, dass der Sportler dadurch lernt, mehr Kraft auf dem Fahrrad zu produzieren. Läufer machen ein solches Training in Form von Berganläufen oder mit Bremsfallschirmen und Schlitten mit Zusatzlasten, die gezogen werden müssen. Auch hierbei geht man davon aus, so die Kraftausdauer schulen zu können.

Ist dies wirklich ein Kraftausdauertraining? Und was ist eigentlich genau die Kraftausdauerleistungsfähigkeit? Wenn Sie ein solches Training bereits einmal durchgeführt haben, werden Sie sicher subjektiv das Gefühl kennen, dass Sie bei niedrigen Trittfrequenzen einen erhöhten Krafteinsatz zu leisten haben.

 

Kraft und Ausdauer

Die Kraftausdauer ist zunächst einmal eine Dimension der Kraft, denn diese lässt sich grundlegend in die Maximalkraft, die Schnellkraft und die Kraftausdauer unterteilen. Für die Kraftausdauer kann man in der Literatur dennoch eine Vielzahl von Definitionen und Beschreibungen finden. Die lassen je nach Autor Spielraum zur Interpretation, da weder die Intensität noch der Umfang festgelegt werden.

Oft wird die Kraftausdauer allein als Ermüdungswiderstandsfähigkeit bei lang andauernden Kraftleistungen gesehen. Bei dieser auf Harre (1970) zurückgehenden Definition fehlt die präzise Abgrenzung, wodurch genau die Kraftreize und wodurch die Ausdauerreize bestimmt werden. Das grundsätzliche Problem ist, dass die Abgrenzung von Kraftimpulsen fehlt. Nach der genannten Beschreibung fallen fast alle Belastungen unter den Begriff der Kraftausdauer.

Es stellt sich aber die Frage, ab wann Anpassungen der Kraft zuzuordnen sind und ab wann Anpassungen nur noch auf der Ebene eines Ausdauertrainings ablaufen. Erst wenn die Dauer und die Intensität der Kraftreize näher bestimmt worden sind, kann festgelegt werden, was die Kraftausdauer wirklich beinhaltet.

 

Unschärfe in der Sportpraxis

In der Sportpraxis wird die Kraftausdauer oft einfach als Vermischung von Kraft- und Ausdauerfähigkeiten gesehen. Sobald erhöhte Widerstände in der Bewegungsausführung vermutet werden, ist von der „Kraftausdauer“ die Rede, ganz gleich ob es um das Radfahren bergauf oder das Schwimmen mit Paddels geht. Die jeweilige Intensität für ein Kraftausdauertraining wird dabei unterhalb bzw. an der anaeroben Schwelle angegeben. Das bedeutet, dass die Belastungsintensität bei ca. 2–3 mmol/l Laktat liegt. Der Trainingsumfang wird dabei mit 20–120 Minuten angegeben.(2) Einige Autoren sind sogar der Meinung, dass dies die einzige Form des Krafttrainings für Ausdauersportler sein sollte.(3)

Allerdings stellt sich an dieser Stelle die Frage nach der physiologischen Wirkung: Kann eine solche Belastungskonfiguration überhaupt Ihre Kraftfähigkeiten verbessern? Die geschilderten Vorgaben weichen stark von den Definitionen ab, die moderne Strukturierungsmodelle der Kraft vorsehen. Diese empfehlen eine maximale Zeitspanne von 2 Minuten für Kraftausdauerbelastungen, da die Anpassungen auf energetischer Ebene auf die anaerobe Glykolyse und die H+ Ionenkonzentration abzielen. Da erst dann von einem Krafteinsatz gesprochen werden kann, wenn der einzelne Kraftstoß bei ca. 50 % der Maximalkraft liegt (1RM), scheint es sich bei den im Ausdauertraining verbreiteten Methoden grundsätzlich gar nicht um ein Krafttraining zu handeln.

Will man seine Kraftausdauer gezielt verbessern, muss man sich erst einmal mit den physiologischen Parametern des Trainings auseinandersetzen. Für das Krafttraining muss man zunächst feststellen, welcher Anpassungsmechanismus dabei aktiviert werden soll. Es muss festgelegt werden, ob die Kraftkomponente einer Leistung im Sinne der Hypertrophie oder der neuronalen Aktivierungsfähigkeit trainiert werden soll oder eben die Ausdauer im Vordergrund steht. Die verbessert man in erster Linie mit einer Anpassung des Stoffwechsels und des Herz-Kreislauf-Systems. Dies wiederum muss vom Sportler aber durchaus spezifisch – beispielsweise auf dem Rad – trainiert werden. Einfach mit erhöhtem Widerstand zu trainieren und davon auszugehen, dass aufgrund des Widerstands auch die Kraft verbessert wird, ist dabei wenig zielführend.

 

Die Struktur der Kraft

Es bleibt unklar, was die leistungsbestimmenden Faktoren der Kraftausdauer sein könnten. Will ein Sportler seine Leistungsfähigkeit gezielt verbessern, müssen aber alle Einflussgrößen bekannt sein. Möglich wird das durch das Abgrenzen der Dimensionen und Komponenten der Kraft. Dabei steht mit dem dimensionsalanytischen Strukturansatz der Kraft ein abgesichertes Modell zur Verfügung.(4)

Hier wird die Kraft nicht allein aufgrund der äußeren Erscheinungsbilder betrachtet, sondern nach koordinativen und konditionellen Einflussgrößen unterschieden. Allerdings beziehen sich die Studien hierzu meist auf neurophysiologische und morphologische Aspekte der Maximal- und der Schnellkraft. Zur Kraftausdauer und deren Abgrenzung existieren nur wenige Arbeiten.( 5) Die neuromuskulären Grundlagen sind dagegen gut untersucht und in Längs- und Querschnittstudien bestätigt worden.(4) So lassen sich bestimmte Einflussgrößen im Training gezielt ansteuern.

Innerhalb dieses Modells behält die aus der Sportpraxis hervorgegangene Unterteilung der Kraft in die Subkategorien Maximalkraft, Schnellkraft und Kraftausdauer ihre Gültigkeit. Allerdings befinden sich diese nicht auf einer Ebene, da die Maximalkraft sowohl die Schnellkraft als auch die Kraftausdauer beeinflusst. Also muss man die Maximalkraft als eine Basisfähigkeit verstehen, da eine Verbesserung hier sowohl auf die Kraftausdauer als auch auf die Schnellkraft wirkt.

 

Wie lässt sich die Kraftausdauer strukturieren?

Allgemein beschreibt der Begriff der Kraftausdauer eine komplexe motorische Fähigkeit, die an der Leistung in verschiedenen Sportarten und Disziplinen beteiligt ist. Die Kraftausdauer wird von 2 Merkmalskomponenten geprägt. Einerseits existiert eine kraftgeprägte Komponente, da eine Last bewegt werden muss. Andererseits spielt der Energiestoffwechsel eine wichtige Rolle, da die Dauer der Belastung von Bedeutung ist.(5) So ergibt sich die direkte Abhängigkeit der Kraftausdauer einmal von der Maximalkraft und dem Muskelstoffwechsel. So gesehen müssen nun noch die Last und die Dauer der Belastung festgelegt werden, um Kraftausdauer greifbar machen zu können.

Schmidtbleicher grenzt die Kraftausdauer weiter ab, indem er die Höhe der erzielten Impulssumme in einem definierten Zeitraum zugrunde legt.(4) Kraftausdauer wird von ihm als die Fähigkeit des neuromuskulären Systems bezeichnet, eine möglichst große Impulssumme in einem definierten Zeitraum (längstens 2 Minuten bei maximaler Auslastung) gegen höhere Lasten (mehr als 50 % der Maximalkraft) zu produzieren. Die Reduzierung der produzierten Impulse im Verlauf der Belastung muss möglichst gering gehalten werden.(4) Trainer können anhand dieser Vorgaben genauer festlegen, wie Kraftausdauer trainiert werden kann.

Vor allem wird klar, dass zwischen kraftorientierten und Ausdauer-Belastungen unterschieden werden muss. Ein Training mit dem Ziel morphologischer Veränderungen oder neuronaler Anpassungen verbessert die Maximalkraft, und so kann bei Kraftausdauerleistungen der Einzelimpuls verbessert werden. Ein aerobes Kraftausdauertraining – wie in vielen Ausdauersportarten praktiziert – hat demgegenüber keine Kraftverbesserung zur Folge. Die muss aber angestrebt werden, wenn man die Kraftausdauer wirklich verbessern möchte. Da die Stoffwechsellage anaerob sein muss, darf eine Kraftausdauerleistung 2 Minuten nicht überschreiten. Dauert ein Kraftausdauertraining länger, ist es nur noch ein Ausdauertraining, bei dem die Kraftkomponente nicht verbessert wird. Das ist umso bedeutsamer, als der Widerstand bei einer Kraftausdauerleistung bei über 50 % der Maximalkraft liegen muss.(4) Nur so lässt sich die jeweils notwendige Intensität erreichen, um vorwiegend anaerobe Anpassungen im Muskelstoffwechsel zu gewährleisten. Somit kann die Wirkung des so genannten „Kraftausdauertrainings“ der Sportpraxis auch nicht mehr als Krafttraining gesehen werden.

 

Trainingstipps

– Legen Sie die Basis für Ihre Kraft im Kraftraum. (Kraftausdauer und Kraftausdauertraining – so machen Sie es richtig)

– Periodisieren Sie Ihr Krafttraining und richten Sie es auf Ihre Zielstellung aus.

– Trainieren Sie komplex.

 

Dennis Sandig

 

Quellenangaben: 

1. Hohmann, A., Lames, M., Letzelter, M. (2007): Einführung in die Trainingswissenschaft. Bad Homburg: Limpert

2. Wagner, A. Mühlenhoff, S., Sandig, D. (2010): Krafttraining im Radsport. Elsevier: München

3. Deutsche Zeitschrift für Sportmedizin, 2000, Bd. 51 (5), S. 169 –175

4. Schmidtbleicher, D. (2003): Motorische Eigenschaft Kraft: Struktur, Komponenten, Anpassungserscheinungen, Trainingsmethoden und Periodisierung. In: W. Fritsch (Hrsg.), Rudern – erfahren, erkunden, erforschen. S. 15–40. Gießen: Sport Media Verlag

5. Fröhlich, M. (2003): Kraftausdauertraining – Eine empirische Studie zur Methodik. Göttingen: Cuvillier

 

Fachsprache

Morphologische Aspekte der Kraft – beispielsweise der Muskelfaserquerschnitt und die Sehnenelastizität gehören zu diesen Aspekten

Neuromuskuläres System – beschreibt die motorische Nervenzelle und deren Verbindung mit der Muskelfaser

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Über den Autor

Dennis Sandig arbeitete als Sportwissenschaftler am Institut für Sportwissenschaften der Julius-Maximilians Universität in Würzburg. Aktuell ist er bei der Deutschen Triathlon Union als Wissenschaftskoordinator und Referent für Bildung zuständig, sowie für das umfassende Aus- und Fortbildungsprogramm für Coaches im Triathlon.

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