Erste Studien zeigen, dass Sport das Immunsystem HIV-positiver Menschen stärken kann. Lesen Sie dazu folgenden Beitrag!
Ausdauertraining kann positive Effekte auf Ihr Immunsystem haben. Auch Ihre Belastbarkeit und Ihre Stresstoleranz können durch Ausdauertraining gesteigert werden. Anpassungen sind dabei in erster Linie bei moderaten Belastungen mit niedrigen Intensitäten zu erwarten, während hohe Intensitäten sogar negative Effekte zu haben scheinen.(1) Empfehlungen für das Sporttreiben von HIV-positiven Menschen existieren dementsprechend keine. Gleichwohl zeigen erste Studien, dass körperliches Training bei HIV-positiven Menschen eine stimulierende Wirkung auf das Immunsystem haben kann.(2)
Im Rahmen eines Projekts des Pharmaunternehmens Abbott GmbH & Co KG entwickelte sich eine Kooperation aus Medizinern und Sportwissenschaftlern. Ziel war es, eine Gruppe HIV-positiver Menschen beim Aufnehmen eines sportlichen Trainings zu begleiten. Die Betroffenen sollten in ein regelmäßiges Trainingsprogramm eingebunden werden, wobei die sportliche Herausforderung die Teilnahme an einem Marathonlauf sein sollte. Die Trainingsinhalte waren demnach darauf auszurichten, dass die Teilnehmer diese Distanz bewältigen können, ohne die körperlichen Ressourcen an ihre Grenzen zu führen. Vorgesehen wurde von den Organisatoren ein Start bei den VIII Gay Games in Köln im August 2010. Die Gay Games sind ein breitensportliches Turnier, das in einem Rhythmus von 4 Jahren ausgetragen wird. Sportler aus aller Welt starten in mehr als 30 Sportarten. Dabei sind Menschen jeder Herkunft, sexueller Orientierung und Nationalität startberechtigt, wobei die Sportler ihre Heimatstadt und nicht direkt ihr Heimatland repräsentieren.
Krankheitsbild und -verlauf
Der Krankheitsverlauf bei einer Infektion mit dem HI-Virus lässt sich in verschiedene Stadien unterteilen. Eine erste Körperreaktion ist ca. 3–6 Wochen nach Eindringen der Viren in den menschlichen Körper spürbar. Zunächst macht sich die Infektion mit grippeähnlichen Symptomen bemerkbar, wobei körperliche Abgeschlagenheit, starkes Fieber und Schweißausbrüche verbunden mit Gliederschmerzen recht allgemeine Kennzeichen darstellen. Neben der Bedeutung für die Prävention weiterer Verbreitung des Virus zeigt sich, dass eine frühe Behandlung mit Medikamenten die körpereigenen Immunreaktionen unterstützen kann. Eine unbehandelte Infektion hingegen führt zu einer Abnahme der für das Immunsystem wichtigen T-Helferzellen, so dass nach ca. 9–11 Jahren erste Einschränkungen entstehen, die auf Begleiterkrankungen beruhen.(3) Das können beispielsweise Pilzerkrankungen, bakterielle Infektionen, oder virale Infekte und andere Erkrankungen sein.
Körperliche Aktivität bei Infektion mit dem HI-Virus
Sport und körperliche Aktivität spielen nicht nur in der Prävention, sondern auch in der Rehabilitation nahezu aller Erkrankungen eine große Rolle. Neben klassischen Anwendungsfeldern, wie z. B. Herz-Kreislauf- Erkrankungen oder das metabolische Syndrom, zeigt sich auch bei orthopädischen, onkologischen und psychologischen Fragestellungen, dass Sporttreiben das Immunsystem stimulieren kann. Voraussetzung ist hierbei eine adäquate Belastungssteuerung, die weder eine Über- noch eine Unterforderung des Patienten zur Folge hat. Zwar gilt die Wirkungsweise von sportlicher Aktivität bei verschiedenen Krankheitsbildern als erwiesen, wobei jedoch eine genaue Beziehung zwischen dem Zusammenhang von Dosis und Wirkung nur schwer herzustellen ist. Hier sind weitere Studien in Bezug auf Effekte und sportartabhängige Anpassungen notwendig, um weitere Informationen zu den möglichen Einsatzgebieten des Trainierens zu erhalten. (Lesen Sie unseren Artikel über Ausdauertraining bei Gewichtszunahme) Für HIV und Training existieren derzeit kaum Informationen. Eine Studie der Universität Belgrad hat ergeben, dass Training zu einer spezifischen Immunreaktion führen kann. Dies deutet darauf hin, dass HIV-positive Menschen unmittelbar von körperlicher Aktivität profi tieren können.(2) Das aktuelle und hier beschriebene Projekt war nicht der erste Anlauf zu diesem Thema. Trotz der verbreiteten Annahme, dass Sport ein mögliches Gefährdungspotential für HIV-Infi zierte darstellt, da das bereits angegriffene Immunsystem weiteren Schaden nehmen könnte, initiierte das Pharmaunternehmen Abbott GmbH & Co Kg vor 3 Jahren unter dem Namen B-42 zum ersten Mal das Projekt. Damals bewies im Rahmen des Berlin Marathons 2008 eine erste Gruppe, dass das Absolvieren der 42,195 Kilometer auch mit einer HIV-Infektion durchführbar ist. 2009 sollte dieses Konzept erneut zeigen, dass ein solches Trainingspensum sowie die abschließende Marathonleistung möglich sind. In Abgrenzung zu bekannten Marathon-Projekten besteht die Zielstellung der Initiatoren jedoch primär darin, den teilnehmenden Menschen zu vermitteln, dass sie sich sportlich betätigen können. Das „Finishen“ eines Marathons ist zwar ein weiteres Ziel, das jedoch dem gemeinsamen Weg untergeordnet wird. Den über ganz Deutschland verteilten Teilnehmern wird zu diesem Zweck ein Helfer-Läufer zur Seite gestellt. Diese freiwilligen Helferläufer sind z. T. nicht-HIV-infi zierte Sportler, deren Aufgabe das Begleiten der Teilnehmer bei gemeinsamen Trainingsläufen ist. Aus diesem Aufbau ergibt sich bereits, dass eine begleitende wissenschaftliche Analyse zunächst kein fester Bestandteil des Projekts war. Aufgrund der Anfrage der Universitätsklinik und in Kooperation mit der Deutschen Sporthochschule Köln sowie dem privaten Institut für Leistungsdiagnostik und Trainingssteuerung der iQ athletik GmbH unterstützen die Organisatoren jedoch einen quasi-experimentellen Versuchsaufbau, bei dem die ohnehin geplanten leistungsdiagnostischen Untersuchungen zum Zwecke der Trainingssteuerung genutzt wurden.
Der Projektplan
Wie einführend dargestellt, lag die Zielstellung des Projekts aus Sicht der Veranstalter weniger in der Bearbeitung medizinischer oder sportphysiologischer Fragestellungen. Es handelt sich um einen quasi-experimentellen Versuchsaufbau, da die Teilnahme an den wissenschaftlichen Begleituntersuchungen den Sportlern freigestellt war. Unter Beteiligung der Partner Deutsche Sporthochschule Köln, der Medizinischen Fakultät der Universität Bonn und der iQ athletik GmbH wurden die Testabläufe koordiniert und inhaltlich abgestimmt. Die Teilnehmer wurden mit Herzfrequenzgeräten der Firma Polar vom Typ RS800cx ausgerüstet, mit deren Hilfe die Herzfrequenz, die Distanz und die Laufgeschwindigkeit jeder Trainingseinheit aufgezeichnet wurden. Im Rahmen eines Stufentests auf einem Laufband wurde die Blutlaktatkonzentration ermittelt und über das Bestimmen der aeroben Schwelle (LT) und der individuellen anaeroben Schwelle (IAS) mithilfe der Software Ergonizer die Trainingsbereiche für jeden Sportler festgelegt. Aufgrund der eingehenden Sportanamnese wurden für jeden Sportler taggenaue Trainingspläne erstellt, die auf die jeweiligen zeitlichen und körperlichen Ressourcen abgestimmt waren. Aufgrund der Tatsache, dass ein Großteil der Teilnehmer auf gar keine Sporterfahrung zurückgreifen konnte, bestand eine wesentliche Schwierigkeit in der adäquaten Vorbereitung auf die Belastungen des Marathons. Insbesondere die hohen Bodenreaktionskräfte bei einem Marathonlauf sind für Sportanfänger problematisch, wenn es um eine zeitlich auf 12 Monate begrenzte Vorbereitung geht. Grund dafür ist, dass die Anpassungsvorgänge der passiven Strukturen wie Knochen, Sehnen und Bänder wesentlich langsamer ablaufen, als die Verbesserungen auf der Ebene der Muskeln und des Energiestoffwechsels.(4) Im Abstand von 3 1/2 Monaten wurde an einem 2. gemeinsamen Trainingswochenende erneut der Status der Leistungsfähigkeit erhoben. Bei diesem 2. Stufentest wurden die Trainingsvorgaben und die Trainingsbereiche des Belastungsstoffwechsels individuell an die jeweiligen Leistungsverbesserungen angepasst.
Die Euphorie bremsen!
Da Informationen zu den möglichen Wirkungen und Nebenwirkungen zwischen körperlicher Belastung und der Infektion mit HI-Viren fehlen, wurden die Trainingspläne zunächst einmal vorsichtig gestaltet und die Rückmeldung der Athleten soweit möglich bei der Planung berücksichtigt. Die Belastungssteuerung wurde anhand der individuellen Testergebnisse aus dem Laktatstufentest vorgenommen, so dass die jeweiligen individuellen Voraussetzungen bedacht werden konnten. Innerhalb der ersten Wochen kam es auf der Ebene des Informationsaustauschs mit den Sportlern und den Organisatoren zur Erkenntnis, dass viele Sportler sich „unterfordert“ fühlten. Dies ist mit raschen Adaptionen auf muskulärer Ebene und des Herz-Kreislaufsystems zu erklären. Aufgrund der Tatsache, dass diese Sportler jedoch im Wesentlichen nicht über Lauferfahrung verfügten, wurde die geringe Dosierung des Ausdauertrainings beibehalten, um eine Überlastung für die Gesundheit zu vermeiden. Aufgrund dieser Strategie konnten überlastungsbedingte Verletzungen und Entzündungsreaktionen nahezu komplett vermieden werden.
Wie wirkt das Training?
Die Anpassungen an das Training schlugen sich trotz der zunächst vorsichtigen Dosierung in starken Verbesserungen der Leistungsfähigkeit nieder. Auch die Laufleistung an der individuellen anaeroben Schwelle (IAS) verbesserte sich massiv. Im Mittel steigerten die Läufer ihre Laufleistung an der IAS von 9,27 km/h auf 10,89 km/h. Die Anpassungen liegen dabei in einem Rahmen, wie sie grundsätzlich bei Sporteinsteigern zu erwarten sind, so dass angenommen werden kann, dass die HIV-Infektion keine negativen Auswirkungen auf die physiologischen Anpassungen an ein Training zu haben scheinen. Weiter geprüft werden muss die Frage nach dem „open window“-Effekt, bei dem von einer verminderten Immunleistung nach erschöpfenden Belastungen ausgegangen wird. So muss überprüft werden, ob eine Zunahme der relativen Häufigkeit von Infekten im Vergleich zu nicht Sport treibenden HIV-positiven Menschen zu verzeichnen ist.
Laufen und Lauftherapie
Dass Laufen positive Effekte auf verschiedene Krankheitsverläufe haben kann, wurde in vielen Studien belegt. Neu ist, dass auch Menschen mit einer HIV-Infektion ein regelmäßiges Lauftraining empfohlen werden kann. Neben diesen physiologischen Effekten zeigte sich jedoch vor allem eins: Aus den Rückmeldungen der Läufer war zu schließen, dass eine Infektion mit dem HI-Virus immer noch zu Angst und Ausgrenzung führen kann. Sport im Verein oder im Fitnessstudio kann helfen, Ängste abzubauen und Betroffene zu integrieren. Hier liegt der besondere Wert des Laufens. Lauftraining in der HIV-Therapie ist nicht nur möglich, sondern grundsätzlich empfehlenswert. Interessierten Lesern sei die Homepage des Projekts www.42kmplus.de empfohlen.
Literatur
1. Deutsche Zeitschrift für Sportmedizin, 2010, Bd. 55 (7, 8), S. 177–182
2. Scandinavian Journal of Medicine & Science in Sports, 2010, Bd. 20 (3), S. 469–474
3. Robert Koch-Institut (2009): HIV / AIDS in Deutschland – Eckdaten, Epidemiologische Kurzinformation des Robert Koch-Instituts, Stand: Ende 2009 http://www.rki.de/cln_160/nn_195960/DE/ Content/InfAZ/H/HIVAIDS/Epidemiologie/Daten__ und__Berichte/EckdatenDeutschland,templateId=r aw,property=publicationFile.pdf/EckdatenDeutschland. pdf, Zugriff am 25.07.2011.
4. Sandig, Dennis & Jochum, Hanna (2010): Praxishandbuch Laufen: Trainingsmanagement leicht gemacht, VNR – Verlag für die Deutsche Wirtschaft, Bonn