Grundlagen des Marathontrainings

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Nachdem die moderne Technik unser Leben enorm vereinfacht hat, sind echte Abenteuer selten geworden. Gerade zwischen Arbeitsalltag und Familie suchen Frauen und Männer nach Abwechslung und Spaß. Herausforderungen finden sie dabei vor allem in den unzähligen Sportarten. Gerade die langen Ausdauerwettkämpfe wie der Triathlon und der Marathon sind begehrte Veranstaltungen, um sich selbst, aber auch der Familie und den Freunden die eigene Leistungsfähigkeit beweisen zu können.

So erfreuen sich die verschiedenen Marathonveranstaltungen in Deutschland weiterhin zunehmender Beliebtheit – das zeigen die steigenden Starterzahlen. Doch die wenigsten Teilnehmer haben sich systematisch auf den Wettkampf vorbereitet, wenn Sie am Start stehen.(1) Unser Sportwissenschaftler Dennis Sandig wird Ihnen dabei helfen, die 42,195 km optimal vorbereitet durchzustehen. So schonen Sie Ihren Bewegungsapparat und erreichen neue Bestzeiten.

Der Marathon fasziniert die Menschen, und auch viele Neueinsteiger nehmen sich diese Wettbewerbe in den großen Städten zum Ziel. Allerdings ist eine solche Teilnahme eine größere Herausforderung als viele denken. Das liegt vor allem daran, dass ein regelmäßiges Training im großen Umfang unumgänglich ist. Vor allem, wenn man Verletzungen und Überlastungen vermeiden möchte, sollte das Training zielgerichtet gesteigert und dem eigenen Belastungsvermögen angepasst werden. Einsteiger sollten bis zum 1. Start lieber etwas warten und nicht zu früh an einem Marathon teilnehmen. Mindestens 15–24 Monate müssen Sie regelmäßig trainieren, bevor Sie Ihren 1. Marathonstart anpeilen. Oft versuchen Anfänger schon nach kürzerer Zeit, die Marathondistanz zu schaffen. Allerdings besteht dann die Gefahr gesundheitlicher Schäden, was daran liegt, dass der Bewegungsapparat durch das Laufen auf Asphalt sehr hohen Belastungen ausgesetzt ist.(1) Verletzungen des Bewegungsapparats wie Ermüdungsbrüche, aber auch entzündliche Vorgänge können Ihnen dann für eine sehr lange Zeit den Spaß am Laufen vermiesen.(2) Das ausführliche Training lohnt sich für Sie auf jeden Fall. Studien zeigen, dass sich die Marathonendzeiten von Sportlern im Alter von 20–55 Jahren nicht voneinander unterscheiden.(3) Das bedeutet, dass junge wie alte Läufer gute bis sehr gute Zeiten – oder eben auch weniger gute Zeiten laufen. Das Alter entscheidet also nicht über die Endzeiten und somit auch nicht über die Leistungsfähigkeit! Diese Ergebnisse unterstützen die These, dass ein regelmäßiges Lauftraining mit dem Ziel, an Marathonveranstaltungen teilzunehmen, die Leistungsfähigkeit in jedem Alter beeinflusst. Das richtige Laufen kann uns lange jung halten. Selbst bei kritischer Betrachtung der Studie lassen sich aus den Ergebnissen positive Wirkungen vom Langstreckenlaufen auf das Alter herauslesen.(3)

Mit welchen Belastungen müssen Sie rechnen?

Gerade das Marathonlaufen wird von einer Vielzahl von Faktoren beeinflusst. Die meisten davon sind physiologischer Art und somit durch das Training beeinflussbar.(4) So ist die Ökonomie des Fettstoffwechsels ein wichtiger Bestandteil der Leistungsvoraussetzungen. Eine weitere wichtige Größe in der Ausdauerleistungsfähigkeit ist die maximale Sauerstoffaufnahme (VO2max). Allerdings ist diese nur bedingt durch das Training zu beeinflussen, da genetische Faktoren einen großen Einfluss auf die VO2max haben. Egal, ob Sie Anfänger oder Profi sind, Sie sollten bei der Planung in erster Linie darauf achten, dass Sie Ihr Training an Ihrem aktuellen Leistungsstand orientieren, um Überlastungen zu vermeiden. Auch die Zielbelastung muss bei der Trainingssteuerung berücksichtigt werden. Dazu müssen Sie sich die Belastungsstruktur des Laufs ansehen, an dem Sie gerne teilnehmen möchten. Je nach Dauer sind die Wettkämpfe in unterschiedliche Ausdauerkategorien eingeteilt. Diese Kategorien orientieren sich an der Stoffwechsellage, die den Schwerpunkt bei der Energiebereitstelllung bildet.
Grundsätzlich sind die Laufgeschwindigkeiten während eines Marathons eher gleichmäßig und ohne große Tempowechsel. Bei den Spitzenathleten kann es schon eher mal zu taktischen Tempoverschärfungen kommen. Die Laktatkonzentration liegt bei Langstreckenläufen dabei in der Regel bei ca. 2–3 mmol/l. Die Energiebereitstellung läuft also primär über aerobe Stoffwechselwege ab. Dem Fettstoffwechsel kommt so eine große Bedeutung zu. Die Laufbelastung liegt in einem Bereich von ca. 80–90 % der VO2max.(5)

Steigern Sie die aerobe Energiebereitstellung

Wer sein Marathontraining gezielt planen will, sollte sich auch mit der Energiebereitstellung auseinandersetzen. Denn hier werden die größten Einflüsse auf das Training und die Leistungsfähigkeit deutlich. Erst das Verständnis von diesen komplexen Vorgängen macht es möglich, Anpassungen zu verstehen und so das Training optimal auszuarbeiten.
Grundsätzlich können wir Energie allein aus dem energiereichen Adenosintriphosphat (ATP – tri = 3) herstellen. Dabei wird ein Phosphatteilchen abgespalten, und es entsteht das Adenosindiphosphat (ADP – di = 2). Alle energieliefernden Prozesse  funktionieren ähnlich: Sie stellen aus ADP und Phosphaten wieder ATP her.
Der menschliche Körper kann so Energie unter Ausschluss oder unter Beteiligung von Sauerstoff wiederherstellen. Der aerobe Energiestoffwechsel arbeitet dabei ökonomischer als der anaerobe. Leistungen können so länger aufrechterhalten werden. Allerdings kann auf diese Art nur ein kleiner Energiedurchsatz bei geringen Intensitäten gewährleistet werden. Steigt die Beanspruchung, müssen zunehmend anaerobe Stoffwechselwege benutzt werden. Ein Grund dafür ist der, dass auf diesem Weg mehr Energie bereitgestellt werden kann. Nur so kann die muskuläre Bewegung weiter fortgeführt werden. Allerdings nimmt bei der anaeroben Energiebereitstellung auch die Ermüdung sehr stark zu, da vermehrt Laktat und andere Stoffwechselzwischenprodukte wie Ammoniak angehäuft werden. Auch der ph-Wert des Blutes steigt.  Dabei kommen diese Stoffe auch ohne Belastung im Körper vor: Da immer wieder kurzzeitige Bewegungen mit plötzlich ansteigendem Energiebedarf ausgeführt werden, sind auch im Ruhezustand Laktatwerte von 0,8–1,5 mmol/l im Blut normal.
Auch bei der anaeroben Energiebereitstellung ist eigentlich genug Sauerstoff vorhanden, um weiter aerob arbeiten zu können. Allerdings kann anaerob mehr Energie pro Zeiteinheit erzeugt werden.
Das Ziel des Grundlagenausdauertrainings ist es, auf möglichst allen Belastungsstufen den Prozentsatz der Energie, die aus dem aeroben Fettstoffwechsel gewonnen wird, zu erhöhen. Bei der Trainingsplanung ist es wichtig, dass Sie einige dieser Grundlagen kennen, denn nur so können Sie sich den Trainingsprozess aus physiologischer Sicht erklären und sich klare Ziele setzen.

Ein Ist – Soll Vergleich macht Sinn

Bevor Sie Ihre Trainingsinhalte zusammenstellen, ist es wichtig, erst einmal den augenblicklichen Ist-Zustand Ihres Körpers zu ermitteln. Das Training kann dann – ausgehend von der aktuellen Leistungsfähigkeit – aufgebaut werden. Das gilt für Freizeitsportler ebenso wie für Profis. Dazu kommt, dass Sie die eigenen Herzfrequenzbereiche zum Training ermitteln sollten. Faustformeln helfen nicht gut dabei, die realen Trainingsbereiche zu erfassen. Wenn Sie Ihre Trainingsbereiche exakt bestimmen wollen, sind leistungsdiagnostische Verfahren nützlich. Dabei laufen Sie auf einer Laufbahn mehrere Runden mit jeweils ansteigender Geschwindigkeit. Am Ende jedes Abschnitts wird Ihnen etwas Blut aus dem Ohrläppchen entnommen.
In der Auswertung lassen sich so jeder Geschwindigkeit bestimmte Werte für die Beanspruchung zuordnen. So kann das Training gezielt gesteuert werden.
Sind Sie Laufanfänger, ist es ausreichend, wenn Sie die ersten Monate einfach nur locker laufen. Orientieren Sie sich daran, ob Sie sich beim Laufen noch unterhalten können.
Bei der Auswahl eines Testverfahrens sollten Sie sich von einem Spezialisten beraten lassen und darauf achten, dass der Test möglich spezifisch stattfindet. Es macht keinen Sinn, die Trainingsbereiche für einen Läufer auf einem Fahrrad zu ermitteln. Auch Laufbandtests eignen sich nur bedingt, um die Trainingsbereiche und die Leistungsfähigkeit ermitteln zu können. Vergleichbar mit der Belastung des Trainings sind am ehesten Feldstufentests, die auf einer Laufbahn absolviert werden. Tests auf einem Laufband haben den Nachteil, dass die Ergebnisse nur schwer auf die Trainingspraxis übertragen werden können.
Das liegt daran, dass auf dem Laufband das Standbein passiv unter dem Körper durchgezogen wird. Der Abdruck ist weniger intensiv als der bei einer Laufbelastung im Freien. Im Ergebnis kann es dann vorkommen, dass die auf dem Laufband ermittelten Trainingsbereiche nicht mit Ihren Trainingsintensitäten bei Läufen im Freien übereinstimmen. Bei einem Feldtest muss die Laufgeschwindigkeit der Stufen auf Sie abgestimmt werden. Die Kosten für solche Tests liegen je nach Anbieter zwischen 80 und 150 Euro.

Machen Sie sich einen Trainingsplan

Wenn Sie einen Überblick über die aktuelle Leistungsfähigkeit gewonnen haben und Ihre Trainingsbereiche ermittelt wurden, steht Ihnen der nächste Schritt bevor. Jetzt müssen diese Informationen in das eigentliche Training umgesetzt werden. Welches sollten die Schwerpunkte in Ihrem Training sein? Diese Inhalte ergeben sich aus den Testergebnissen, aus dem Beanspruchungsprofil eines Marathons und den Grundlagen der Energiebereitstellung. Das Beanspruchungsprofil orientiert sich an der Langzeitausdauer III (s. Tab.1) bei gleichförmiger und aerober Stoffwechsellage. Deshalb sollten Sie zu Beginn des Trainings vor allem die Grundlagenausdauer ausbilden. Dadurch werden die aerobe Energiebereitstellung und insbesondere der Fettstoffwechsel verbessert. Die Stoffwechselkapazität der Mitochondrien – der kleinen Kraftwerke der Muskulatur – wird durch die oxidative Verbrennung der Energieträger Fette und Kohlenhydrate limitiert. Das Training zielt also gerade bei Einsteigern auf die Zunahme der Gesamtzahl und der Größe der Mitochondrien ab. Auch die Kapazität der Enzyme, die an der Energiebereitstellung beteiligt sind, gilt es zu steigern. Beides gelingt vor allem durch ein weniger intensives Training. In den ersten Wochen stehen fast ausschließlich Dauerbelastungen mit geringer Intensität auf dem Programm. Bauen Sie lockere Läufe mehrmals in der Woche ein, und erhöhen Sie deren Dauer allmählich. Bewährt hat sich dabei ein Blocksystem, das vor allem am Wochenende lange Läufe vorsieht.

So kombinieren Sie verschiedene Trainingsmethoden miteinander

Mit dem Grundlagenausdauertraining legen Sie das Fundament für das viel sensiblere intensive Training. Gerade trainierte Sportler werden allein über das Grundlagentraining kaum noch Fortschritte erzielen können. Mit intensiven Trainingseinheiten wie Tempodauerläufen und einem ausgewogenen Intervalltraining können neue Trainingsreize gesetzt werden.(6) So können Sie Ihre Leistungsfähigkeit entscheidend verbessern. Allerdings wird noch erforscht, welche Intensitätsstufen die günstigste Wirkung in der Marathonvorbereitung versprechen. Aber ein intensives Training über der anaeroben Schwelle hat wohl insgesamt positive Auswirkungen auf die aerob-oxidativen Fähigkeiten.(6) Den Umfang des Trainings müssen Sie beim Einsatz intensiver Intervallmethoden jedoch deutlich zurückfahren. Gerade wenn das Grundlagenausdauerniveau noch nicht ausreichend gut geschult ist, drohen Ihnen sonst Überlastungen. Deshalb sollten Sie ganz gezielt regenerative Maßnahmen und eine aktive Erholung mit einplanen. Zu empfehlen sind dabei vor allem Intervalle nach der HIT- Methode.
Dieses hochintensive Intervalltraining (HIT) wird am besten auf einer Laufbahn durchgeführt. Je nach Trainingszustand empfehlen sich 400-m oder 600-m-Intervalle. Grundsätzlich können aber auch kürzere und längere Intervallarten gewählt werden. Die Laufgeschwindigkeit für diese Intervalle ergibt sich aus den Testergebnissen der Leistungsdiagnostik. Zwischen den einzelnen Intervallen wird in Form der „lohnenden Pause“ locker getrabt, gejoggt oder gegangen. In die Pause der Intervallserien kann auch ein lockerer Grundlagenlauf eingebaut werden. So schulen Sie gleichzeitig Ihre Regenerationsfähigkeit.

 
Das alles kann Ihnen dabei helfen, sich weitere Leistungsreserven zu erschließen und Phasen mit stagnierender Leistungsentwicklung leichter durchzustehen. Die Grundlagenausdauer stellt in diesem Prozess das Fundament dar, in das die intensiven Anteile eingebaut werden. Intensive Intervalle und ein hochintensives Training sind eine effektive Methode, um Leistungen auf der Langstrecke zu verbessern. Gerade für gut trainierte Sportler ist diese Trainingsform sogar eine absolute Notwendigkeit.(7) Damit Sie Ihr Training optimal steuern können, benötigen Sie genaue Informationen zu den Trainingsbereichen. Mit der folgenden Tabelle erhalten Sie einen Überblick über alle wichtigen Trainingsbereiche und darüber, wie Sie diese am besten steuern.

Dennis Sandig M.A., Doktorand an der Universität des Saarlandes; Leiter der Abteilung „Forschung“ iQ athletik GmbH

Quellenangaben
1. Clinical Journal of Sport Medicine. 2002, Bd. 12 (1), S. 18–23.
2. Kleinmann, D. (2006). Laufnebenwirkungen. Deutscher Ärzte-Verlag: Köln.
3. International Journal of Sports Medicine. 2009, Bd. 30 (5), S. 360–365.
4. Sports Medicine. 1985, Bd. 2 (2), S. 83–99.
5. Zintl, F. & Eisenhut, A. (2004). Ausdauertraining. BLV Verlag: München.
6. Sports Medicine. 2002, Bd. 32 (1), S. 53–73.
7. Sports Medicine. 2006, Bd. 36 (2), S. 117–132.

 

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Über den Autor

Dennis Sandig arbeitete als Sportwissenschaftler am Institut für Sportwissenschaften der Julius-Maximilians Universität in Würzburg. Aktuell ist er bei der Deutschen Triathlon Union als Wissenschaftskoordinator und Referent für Bildung zuständig, sowie für das umfassende Aus- und Fortbildungsprogramm für Coaches im Triathlon.

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