Handball – Wettkampfspezifische Ausdauer

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Die meiste Zeit hält sich die Aufmerksamkeit für Handball in Deutschland in Grenzen. Im Januar steht dann allerdings alljährlich ein großes internationales Turnier an und das Interesse in den deutschen Wohnzimmern verzeichnet ein saisonales Hoch. Auch dieses Jahr wird gespielt, in Kroatien findet aktuell die Europameisterschaft statt. Handball zählt dabei nicht zuletzt aufgrund seiner Intervallstruktur zu den schnellsten Ballsportarten. Dadurch kommt auch der wettkampfspezifischen Ausdauer eine erhöhte Bedeutung zu.

Ein wesentlicher Bestandteil des modernen Handballspiels ist das Tempospiel in den verschiedenen Phasen. Lag das Tormaximum früher bei etwa 40 Toren pro Spiel und Mannschaft, so sind heute 65 bis 75 Tore pro Spiel keine Seltenheit mehr. Sowohl die Anzahl der Angriffe pro Spiel, als auch die Angriffsdauer hat sich im Laufe der Zeit massiv verändert.

Während die Häufigkeit der Angriffe beim olympischen Turnier 2004 noch bei durchschnittlich 115,7 lag, so waren es 12 Jahre später beim Bundesligaklassiker zwischen dem THW Kiel und dem SC Magdeburg (54:34) bereits 160 Angriffe. Dabei wurde erstmals die 50-Tore-Marke geknackt. Daneben sank die Dauer pro Angriff von 31,1 Sekunden in Athen auf 22,5 Sekunden beim Bundesligaklassiker.(1) Ein ähnlich rasanter Fortschritt lässt sich mittlerweile nicht nur im Profibereich sondern bereits bei allen Alters- und Leistungsklassen, im Damen- wie im Herrenbereich, feststellen. Dieser Vergleich zwischen Nationalmannschaften und der Bundesliga kann nicht ohne weiteres auf die Grundgesamtheit übertragen werden, bestätigt sich aber auch bei Vergleichen innerhalb der Liga.

Mehr zum Thema: wie Schlingentraining aus Handballern EM-Helden macht

 

Schnelles Spiel

Die stetige taktische Weiterentwicklung in Richtung Tempospiel bedarf demzufolge auch ein Um- bzw. Weiterdenken in der Basisausbildung der Spieler. Die Vielzahl an explosiven Antritten bei Angriffs- und Abwehrmoves, die deutliche Zunahme an Sprintbelastungen sowie maximale Schnelligkeitsleistungen bei Sprüngen und Würfen sind charakteristisch für das Handballspiel und stellen somit hohe Anforderungen bezüglich der konditionellen Voraussetzungen für jeden einzelnen Spieler dar.

 

Ausdauer als Basis?

Besonders im Bereich der Ausdauer „trennt sich die Spreu vom Weizen“. Die Ausdauer ist im Spiel und Training der leistungsbedeutsame Faktor. Ein umfangreiches und intensives Training bzw. Spielen auf qualitativ höchstem Niveau ist demnach nur auf der Basis einer guten Ausdauer möglich.(2) Dabei gilt es an mehreren Stellschrauben gleichzeitig zu drehen um den höchstmöglichen Effekt zu erzielen. Ausdauertraining im modernen Handball orientiert sich neben athletischen Grundlagen an 2 übergeordneten und sich gegenseitig bedingenden Trainingsinterventionen.  (Lesen Sie auch: So testen Sie Ihre Ausdauer!)

Entwickelt werden muss im Laufe der konditionellen Vorbereitungsphase folglich zum einen die Grundlagenausdauer, um eine allgemeine Belastbarkeit und Erholungsfähigkeit für die spielsportspezifischen Belastungen zu gewährleisten, sowie die Toleranz für anaerobe Belastungen zu erhöhen, und zum anderen die wettkampfspezifische Ausdauer (vgl. Tabelle 1). Die Autoren und Sportwissenschaftler Hoos und Hottenrott fordern in diesem Zusammenhang mehr Variabilität und wechselnde Bedingungen im Trainingsprozess, da ein Training in festgelegten Bereichen auf Dauer nicht leistungsfördernd ist. (3)

 

Trainingsbereiche Ziel Energiebereitstellung
Regenerations-bzw. Kom-pensationsbereich (REKOM) Unterstützung der Wiederherstellung, Be-schleunigung der Regeneration aerob
Grundlagenausdauerbereich 1 (GA 1) Entwicklung und Stabilisierung der Grundla-genausdauerfähigkeit und Vorbereitung der Verträglichkeit für intensive Belastungen aerob
Grundlagenausdauerbereich 2 (GA 2) Weiterentwicklung der Grundlagenausdau-erfähigkeit auf höherem Intensitätsniveau und Vorbereitung der Wettkampfgeschwin-digkeit anaerob-aerob
wettkampfspezifischer Ausdauerbereich (WSA) Entwicklung der Schnelligkeitsausdauer und wettkampfspezifischen Ausdauer anaerob-aerob

Tab. 1: Trainingsbereiche im Ausdauersport (nach Hoos und Hottenrott, 2010)

 

Intervalltraining: Schlüssel zum Erfolg?

Da das Handballspiel, wie die meisten Sportarten und Trainingseinheiten, durch wechselnde metabolische Belastungen einem Intervalltraining gleich kommt, erscheint es nur schlüssig und unumgänglich, Methoden in die Ausbildung der wettkampfspezifischen Ausdauer zu integrieren, die die Athleten auf die Belastungsanforderungen im Wettkampf vorbereiten und sensibilisieren.

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Dabei geht es aber keinesfalls um den völligen Verzicht auf grundlagenorientierte Ausdauerblöcke, sondern um das „Anreichern“ der Trainingsqualität durch Einstreuen oder gezieltes Blocken hoher bis höchster Intensitäten.(4) Nach Hoos und Hottenrott fußt die Ausbildung der wettkampfspezifischen Ausdauer u. a. auf einem „differenzierten Grundlagenausdauertraining“ und erfordert zur komplexen Ausprägung zusätzlich die Arbeit im Bereich der Schnelligkeitsausdauer, Sprintausdauer und Schnellkraftausdauer.

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Training in der Praxis

In Anlehnung daran zeigt Tabelle 2 Möglichkeiten der Trainingsgestaltung für die Vorbereitungsphase mit dem Schwerpunkt des Grundlagenausdauertrainings auf, basierend auf der Arbeit mit männlichen Handballern des oberen Leistungsniveaus innerhalb einer 8-wöchigen Vorbereitungsphase mit insgesamt 11 Trainingseinheiten pro Woche.

 

Trainingseinheit 1 Trainingseinheit 2 Trainingseinheit 3 Trainingseinheit 4
Woche 1 45’ Dauerlauf GA 1 45’ Dauerlauf GA 1 45’ Dauerlauf GA 1 20-30’ Dauerlauf REKOM, inkl. Stretching
Woche 2 45’ Dauerlauf GA 1 Fahrtspiel: 15’ GA 1

25’ Wechseltempo GA1/2

10’ GA 1

30-40’ DL GA 1 20-30’ DL REKOM, inkl. Stretching
Woche 3 55’ Dauerlauf GA 1 Intervalle: 10’ GA 1 6 x (3’ GA2 + 1’ GA 1) (oberer Bereich) 10’ GA 1 Tempodauerlauf: 5’ GA 1 30’ GA 1/2 (oberer Bereich) 5’ GA 1 20-30’ Dauerlauf REKOM, inkl. Stretching

Tab. 2: Praktische Umsetzung eines Grundlagenausdauerprogramms bei männlichen Handballern des oberen Leistungsniveaus in der präsaisonalen Phase

 

Neben der Schulung im Grundlagenausdauerbereich wurde parallel dazu Wert auf die Ausbildung der wettkampfspezifischen Ausdauer in Form von hochintensivem Intervalltraining (HIT) im täglichen Hallentraining gelegt. Dieser Art der Ausdauer kommt – wie oben bereits erwähnt – aufgrund ihres Belastungscharakters eine Schlüsselrolle in der Ausdauerschulung zu, und lässt sich ohne weiteres in die tägliche Arbeit des Handballspielens integrieren sowie mit anderen handballspezifischen Kernkompetenzen koppeln. Dabei scheint das Intervalltraining eine geeignete Methode für die Ausbildung im Bereich der wettkampfspezifischen Ausdauer zu sein, da sie verstärkt bioenergetische Anpassungen für eine effizientere Energiebereitstellung auslöst.(5) Für das hochintensive Intervalltraining (HIT) wird gar ein Verbesserungspotential von 0,3–0,6 % der VO2max pro Trainingseinheit angenommen, so dass davon ausgegangen werden kann, dass HIT eine effektive Intervalltrainingsmethode zur Verbesserung der Leistungsfähigkeit in Ausdauersportarten sowie ein effizientes Ausdauertraining in technik-/ kraftorientierten Sportarten ist.(6)

Diese Annahme konnte bereits in verschiedenen Studien belegt werden.(4) Immer wieder zeigt sich, dass HIT (mit seinen vielen Formen) zu signifikanten Verbesserungen der Ausdauerleistungsfähigkeit auch bei bereits hochtrainierten Athleten führen kann.

Die praktische Umsetzung in die handballspezifische Arbeit lässt sich beispielsweise in ein 4-minütiges Intervalltraining umsetzen. Dabei stehen 4 Minuten Belastungszeit 3 Minuten aktiver Erholungszeit gegenüber. Insgesamt erfolgen 4 Durchgänge.(6)

 

Handballtraining als komplexer Prozess

Neben wissenschaftlichen Erkenntnissen und dem „state of the art“ einschlägiger Literatur bezüglich der Effizienz der Intervalltrainingsmethode, hat diese Art der wettkampfspezifischen Ausdauerschulung auch in der Praxis, u. a. aufgrund seiner guten Kopplungs- und Eingliederungsmöglichkeit in den Trainingsprozess, einen hohen Stellenwert.

Dabei sollte jedoch die Schulung der Grundlagenausdauer nicht vernachlässigt werden. Die Arbeit im wettkampfspezifischen Ausdauerbereich ist durchaus in der Lage, die Ausdauerleistungsfähigkeit bei bereits hochtrainierten Athleten nochmals zu steigern. Dennoch gehört eine gute Grundlagenausbildung zum Pflichtprogramm eines jeden Spielers und sollte das Fundament in der Ausdauerschulung bilden.

Dr. Matthias Obinger

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Literaturangaben:

1. Handballtraining, LS. 2006, Bd. 28 (2), 26–31

2. Hohmann, A., Lames, M. & Letzelter, M. (2007): Einführung in die Trainingswissenschaft. 4. überarb. und erw. Aufl. Wiebelsheim: Limpert

3. Hoos, O. & Hottenrott, K. (2010): Methoden im Ausdauersport. In: H. Lange & S. Sinning (Hrsg.): Handbuch Methoden im Sport. [Lehren und Lernen in der Schule, im Verein und im Gesundheitssport]. Balingen: Spitta. S. 296–311

4. Schweizerische Zeitschrift für Sportmedizin und Sporttraumatologie, 2010, Bd. 58 (4), S. 125–133

5. Baechle, T.R. & Earle, R.W. (2008): Essentials of strength training and conditioning (3. ed.). Champaign, IL: Human Kinetics

6. Vogt, M., Breil, F., Weber, S. & Hoppeler, H., 2009, Intervalltraining zur Verbesserung der VO2Max. Zugriff am 08. November 2010 unter http://www. shpl.ch/PDF/handout_Intervalltraining.pdf

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Trainingsworld

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