Stretching: Vor oder nach dem Sport, dynamisch oder statisch

0

Es gibt viele Mythen, wann und wie gedehnt werden soll. Viele Meinungen, viele Thesen, aber woher weiß man, was richtig ist und was nicht? Welche Fakten gibt es und was sollte beachtet werden?

Die Geschichte des Dehnens fängt mit der sogenannten „Naive Phase“ an, in der die Erweiterung des Bewegungsausmaßes im Vordergrund stand. Bis zu den 80er Jahren wurde daher voll auf das dynamische Dehnen gesetzt.

In der darauffolgenden „dogmatischen Phase“ war das Ziel das seelische Wohlbefinden, zur Befreiung von Angst und Spannung. Dies sollte nicht nur durch das statische Dehnen erreicht werden, sondern auch durch das „Contract-relax-Streching“ und dem „Antagonist-Contract Streching“.

Die „Wissenschaftliche Phase I“ wurde durch einige Studien bestimmt, die nicht nachweisen konnten, ob das dynamische Dehnen wirklich wirkungslos ist und das statische Dehnen den gewünschten Effekt vorweist.

Die vierte Phase („wissenschaftliche Phase II“) zeigte, dass neben den Filamenten im Muskel Aktin und Myosin, auch das Titin eine große Rolle beim Dehnen spielt und die Dauerdehnung bei Tieren zu Anpassungsmechanismen in der Muskulatur führt.

 

Was wird gedehnt?

Wenn ein Muskel gedehnt wird, reagieren zunächst die bindegewebigen Fasern. Zuerst ist die Spannung sehr hoch und der Muskel signalisiert die Beweglichkeitsgrenze der Fasern. Die hohe Spannung im Muskel lässt mit der Zeit nach und bleibt konstant, das heißt, dass die Bindegewebsfasern sich anpassen und länger werden. In dem Moment der Spannung und Bewegungsgrenze reagieren die Mechanorezeptoren in Sehne und Muskel, mit der Zeit steigt die Toleranz der Rezeptoren gegenüber dem Dehnreiz. Wird der Dehnreiz nicht regelmäßig gesetzt, nimmt die Toleranz wieder ab und es entsteht eine Bewegungseinschränkung. Zunächst sind die Einschränkungen physiologisch, können aber etwa nach wochenlanger Ruhigstellung strukturell werden. Das heißt, dass die Sakomere verkürzen. 

  

Was ist das Ziel der Dehnung?

Durch das regelmäßige Ansprechen der Mechanorezeptoren und das Heraufsetzen der Toleranz gegenüber dem Dehnreiz soll dauerhaft ein Erhalt der Beweglichkeit gefördert werden.

 

Das dynamische Dehnen

Beim dynamischen Dehnen wird eine Dehnposition schnell eingenommen und wieder verlassen, dann wieder mit neuem Schwung eingenommen. Es entstehen intermettierende Bewegungen, ohne eine Position länger zu halten.

 

Vorteile:

– Schulung von inter- und intramuskulärer Koordination, da die neuromusukläre Steuerung durch den komplexen Bewegungsablauf immer wieder angesprochen wird

– Durchblutungssteigerung, dadurch hoher Aufwärmeffekt

Dynamisches Training für eine bessere Beweglichkeit?

 

Nachteile:

– Dehnreflex wird ausgelöst, durch schnelle Bewegungen und damit verbundene Längenänderungen des Muskels wird der Reflex ausgelöst und somit die Endposition gar nicht erst erreicht

– Reizdauer und -umfang zu kurz für bindegewebige Längenveränderungen

 

Das statische Dehnen

Beim statischen Dehnen wird die Endposition langsam eingenommen und über einen längeren Zeitraum gehalten.

 

Vorteile:

– geringe Verletzungsgefahr durch geringe Geschwindigkeit

– kein Auslösen des Dehnreflex

 

Nachteile:

– Unphysiologische Belastung des Kapsel-Bandapparats durch das lange Halten der Endposition

– Vernachlässigung der intermuskulären Koordination durch das lange Halten der Endposition

– geringe lokale Durchblutung, daher kein Aufwärmeffekt

 

Wie dehne ich richtig?

Es ist schwierig, eine Aussage darüber zu treffen, was richtig und was falsch ist. In den letzten Jahren gab es einige Studien, allerdings sind diese kaum vergleichbar, da die Ausführungen bezüglich der Dauer, Intensität und Häufigkeit der Dehnungen sehr unterschiedlich waren. Der aktuelle Forschungsstand weist viele sich widerlegende Befunde auf.

 

Verletzungsprophylaxe

Hierbei muss klar differenziert werden, wann das Dehnen zur Verletzungsprophylaxe dienen soll. Um genügend Bewegungsfreiheit zu erzeugen und die Intermuskuläre Koordination zu schulen, die Rezeptortoleranz zu steigern, ist Dehnen sehr wichtig und trägt einen großen Teil zur Verletzungsprophylaxe bei. Doch ist das Dehnen nach dem Warm-up unmittelbar vor dem Wettkampf genauso wichtig? Dazu gibt es bisher keine Studie, die nachweisen konnte, das Vordehnen das Verletzungsrisiko senkt.

 

Leistungssteigerung

Genau wie bei der Verletzungsprophylaxe gilt hier, dass die Leistung durch das saubere Ausführen von Bewegungsabläufen sowie einer optimalen Bewegungsfreiheit gesteigert werden kann. Das Vordehnen allerdings ist nicht für alle Sportler sinnvoll. Statisches Dehnen kann die Schnellkraftfähigkeit und die Kontraktionsfähigkeit des Muskels herabsetzten und somit die Leistungsfähigkeit drastisch mindern. Gymnasten, die ihr maximales Bewegungsausmaß benötigen, wird beispielsweise empfohlen vorher ausgiebig und dynamisch zu dehnen. Dadurch wird die Muskulatur aufgewärmt, die sportartspezifischen Bewegungsabläufe durch die neuromuskaulräe Ansteuerung geschult.

 

Muskelkater

Seit Studien gezeigt haben, dass Muskelkater durch Mikrofaserrisse der Muskulatur hervorgerufen wird, sollte jedem klar sein, dass ein zusätzliches intensives Auseinanderziehen der Muskulatur nicht sonderlich förderlich erscheint.

 

Entspannung

Ob Dehnung unmittelbar nach dem Wettkampf aus Sicht der Physiologie sinnvoll ist, ist nicht nachweisbar. Zur Beurteilung des sonstigen Entspannungslevel durch Dehnung muss die subjektive Betrachtung miteinbezogen werden. Sich mit seinem Körper zu beschäftigen, auf die Atmung zu konzentrieren und einfach mal „Runterfahren“ fördert die Körperwahrnehmung und daher auch die Entspannung.

 

Angi Peukert

 

Quellenangaben:

1. http://sport1.uibk.ac.at/lehre/lehrbeauftragte/Huber%20Reinhard/Dehnen_%DCbungen.pdf

2. http://www.dr-moosburger.at/pub/pub046.pdf

3. http://www.bewegungswissenschaft.uni-wuppertal.de/Freiwald/Dokumente/Publikationsliste.pdf

4. Zalpour, Christoff: Anatomie Physiologie. 2. Auflage, München/Jena: Urban & Fischer

Teilen

Über den Autor

Leave A Reply