In Teil 3 der Überlegungen zu den Strukturproblemen des Leistungssports wenden wir uns heute den für den Sportler negativen Konsequenzen bei Doping zu und diskutieren, inwieweit diese Konsequenzen ausreichen, um vor Doping abzuschrecken.
Die bisherigen Überlegungen (hier finden Sie Teil I und Teil II der Artikelreihe) haben gezeigt, dass die Akteure in der Theorie unter Abwägung von Kosten und Nutzen immer die Strategie wählen werden, welche unter Einbeziehung des zu erwartenden Verhaltens der Konkurrenten mit einer maximalen Entlohnung verbunden ist. In den bisherigen Annahmen war diese Strategie stets die des Dopens. Es ist aufgrund der fehlenden Transparenz des Dopings nicht davon auszugehen, dass die Sportler dem Dopingdilemma im vorliegenden Fall von selbst entrinnen können. Nur regulierende Maßnahmen seitens des Sports könnten die für alle Akteure relevanten Kosten- oder Nutzenvariablen soweit verändern, dass der Verzicht auf Doping als einzig rationale Strategiewahl verbliebe.(1) Auf die in Abbildung 2 in Teil 2 skizzierte Situation angewandt würde dies bedeuten, dass die Dopingkosten mindestens 400 betragen müssten, damit die Akteure indifferent zwischen den beiden Handlungsalternativen würden. Alle über dem Betrag von 400 liegenden Kosten würden die Dopingstrategie ausschließen. Abbildung 1 zeigt dies beispielhaft für Dopingkosten von 450:
Sportler B – Doping |
Sportler B – Kein Doping |
|
---|---|---|
Sportler A – Doping |
50/50 |
450/100 |
Sportler A – Kein Doping |
100/450 |
500/500 |
Abbildung 1: Auszahlungsmatrix bei einperiodigem Spiel (nach: Daumann, 2008, S. 92); Dopingkosten=450
Obwohl die Dopingstrategie nach wie vor zu einem signifikanten Wettbewerbsvorteil führt, zehren die Kosten den erwarteten Gewinn durch den zu 90 % garantierten Sieg bei Doping auf. Bei gleichzeitigem Doping des Konkurrenten kann Spieler A durch Doping einen Gewinn von 50 (= 0,5*1000-450) erwarten. Dopt er in dieser Situation nicht, liegt der erwartete Gewinn bei 100 (= 0,1*1000). Auch wenn sein Konkurrent nicht dopt, kann Spieler A sich nicht besser stellen, wenn er sich selbst zum Dopen entschließt. Dem hier erwarteten Gewinn von 450 (= 0,9*1000-450) steht die höhere Auszahlung von 500 (= 0,5*1000) gegenüber.
Welche Kosten gibt es?
Die Tabelle zeigt die als Dopingkosten in Frage kommenden Aspekte, die den durch Doping ermöglichten Erfolgen gegenüberstehen.
Nutzen |
Kosten |
|
---|---|---|
Materiell |
– Preisgelder – Prämien, Erlöse |
– Beschaffung – Gesundheitsrisiken – Sanktionen |
Immateriell |
– Popularität – Anerkennung – Selbstbewusstsein |
– Moralische Bedenken – Ansehensverlust – soziale Ausgrenzung |
Tab. 1: Kosten- und Nutzenkategorien des Dopings (erweitert nach: Daumann, 2009, S. 63)
Die einfachsten und offensichtlichsten materiellen Dopingkosten entstehen direkt durch die Beschaffung von Dopingmitteln, wenn diese von den Sportlern bezahlt werden müssen. Dass dies nicht immer der Fall ist, zeigten die Dopingskandale im Radsport. In den Teams wurden Dopingmittel und die Behandlung durch die Teamärzte oft kostenfrei oder zu Selbstkosten zur Verfügung gestellt. Auch die Beschaffung von Dopingmitteln und Dienstleistungen von Ärzten war hier meist mit Kosten verbunden, die weit unter den erzielten Siegprämien lagen.
Das Risiko „erwischt“ zu werden
Zusätzlich können Kosten entstehen, wenn in der jeweiligen Sportart Dopingtests durchgeführt werden und eine Aufdeckung der Dopinghandlung wahrscheinlich wird. In der Regel werden des Dopens überführte Sportler mit einer Sperre von 2 Jahren belegt, was einen Verlust von Gehältern und Prämien in dieser Zeit zur Folge haben kann. Unter Umständen können auch bereits gezahlte Honorare zurückgefordert werden. Zahlungen aus Werbeverträgen können ausbleiben oder zurückverlangt werden. Eventuell entstehen auch Kosten durch juristische Auseinandersetzungen. Eine Verurteilung als Doper und eine Sperre wiegen umso schwerer, wenn das Comeback in den Sport nicht gelingt oder der Makel des „Betrügers“ haften bleibt. In einigen Ländern stellt Doping einen Straftatbestand dar, was die zu antizipierenden Kosten signifikant erhöhen kann. Gerichtskosten, Geldstrafen oder Freiheitsentzug können gegenüber den sporteigenen Sanktionen deutlich schwerer wiegen.
Diese Abschätzung der Kosten einer Aufdeckung wird von den Akteuren immer mit der Wahrscheinlichkeit einer solchen verbunden. Die Vergangenheit zeigte, dass Sportler sehr genau über die zu einem bestimmten Zeitpunkt nachweisbaren Dopingpraktiken und über die Analysemethoden der Labore informiert waren. Auch das Wissen über den Zeitpunkt eines stattfindenden Tests senkt das Risiko deutlich. So können Sportler, in deren Sport nur Wettkampfkontrollen stattfinden, durch Medikamente unterstützt, Vorteile im Training erlangen und bei den Wettkämpfen unauffällig bleiben. Darüber hinaus gibt es Hinweise, dass selbst ein positives Testresultat nicht automatisch zu einer Sperre für den betreffenden Sportler führt. Ist der Verband gewillt, „sein“ sportliches Aushängeschild zu schützen, können in internen Verfahren teils absurde Begründungen für den positiven Test akzeptiert werden. Auch die juristische Anfechtbarkeit der Beweise für ein Dopingvergehen kann potentiellen Betrügern das Gefühl „schon irgendwie durchzukommen“ vermitteln.
Schrecken Nachanalysen von Dopingproben ab?
Da die Detektionsmethoden stets den Betrugspraktiken hinterherhinken zu scheinen, werden Dopingproben aufbewahrt und nach einiger Zeit mit neu entwickelten Testverfahren neu überprüft. Auch hier entsteht wieder das Problem, dass dieses Instrument sein Abschreckungspotential einbüßt, je weiter mögliche Konsequenzen in der Zukunft liegen. Zudem scheinen die verantwortlichen Verbände wenig motiviert zu sein, von den Nachuntersuchungen auch umfangreich Gebrauch zu machen. Warum hier und im gesamten Kontrollsystem problematische Interessenskonflikte bestehen, wird die Betrachtung der Umfeldstrukturen des Leistungssports zeigen.
Gesundheitsgefahren
Zuletzt müssen die möglichen Einschränkungen und Gefahren für die Gesundheit des Sportlers unter dem Aspekt von Kosten diskutiert werden. Allgemein wird angenommen, dass mit dem Gebrauch von Medikamenten zur Leistungssteigerung erhebliche Gesundheitsrisiken einhergehen und diese auch den Athleten bekannt sein sollten. Tatsächlich trug erst der Tod eines Radsportlers dazu bei, dem Thema Doping größere Beachtung zu schenken und Maßnahmen zu seiner Verhinderung einzuleiten. Obwohl bereits zahlreiche Belege für die teils gravierenden Gesundheitsschäden durch Doping und Todesfälle öffentlich von ehemaligen Sportlern aufgezeigt wurden, scheint dies wenig abzuschrecken. Studien (hier vor allem das Goldmann-Dilemma(2)) offenbarten, dass Sportler einem sportlichen Erfolg alle zukünftige Einschränkungen der Gesundheit und sogar den Tod gegenüber in Aussicht gestellten Erfolgen unterordnen.
Dazu kommt die Verharmlosung durch die später noch näher zu betrachtenden Umfeldakteure, wie Trainer, Manager oder Ärzte, die den Sportlern das Gefühl geben, sogar zum Wohle der eigenen Gesundheit zu handeln, wenn sie verbotene Arzneimittel konsumieren oder unerlaubte Praktiken anwenden.
Immaterielle Kosten
Bereits die Entscheidung zum Dopen verursacht immaterielle Kosten. Der Athlet verstößt gegen sportethische Prinzipien und, wie man erwarten sollte, gegen allgemeine gesellschaftliche Normen. Die moralischen Bedenken und die drohende Gefahr eines Ansehensverlustes bei Aufdeckung sollten als immaterielle Kosten erwähnt werden, wenngleich solche Kosten nicht entstehen, sobald das Umfeld des Sportlers Doping nicht ablehnend gegenübersteht. In vielen Disziplinen ist aber gerade das der Fall. Das zeitaufwendige Training und viele Wettkampftage lassen das soziale Umfeld schnell auf die Teamkameraden und Umfeldakteure des Sports zusammenschrumpfen. Zudem scheint die in Deutschland sehr kritische Meinung im Dopingdiskurs nicht in allen Ländern geteilt zu werden. So fällt eine drohende soziale Ausgrenzung kaum ins Gewicht. Vielmehr scheint es so, als hätte eine ablehnende Haltung gegenüber Doping eine weitaus größere Ausgrenzung im Umfeld des Sports zur Folge.
Auch hier versuchen Sportinstitutionen, mittels pädagogischer Maßnahmen, wie Anti-Doping-Kampagnen, -Vorträgen oder –Schulungen, auf den Sportnachwuchs einzuwirken. Thematisiert werden hier vor allem Gesundheitsrisiken und der Umgang mit der medizinisch induzierten Medikamenteneinnahme. Solche Maßnahmen sind wichtig, verlieren aber deutlich an Schlagkraft, wenn sich die übrigen Rahmenbedingungen im Alltag der Nachwuchssportler nicht ändern.
Fazit
Der Überblick über die möglichen Dopingkosten macht deutlich, dass unzureichende Kontrollen, unterschätzte Gesundheitsrisiken und ein Doping tolerierendes Umfeld dem Nutzen durch Doping gegenüberstehen. Weitere Kontrollintensivierung, Anhebung der Sperren, hohe Geldstrafen oder pädagogische Kampagnen werden als regulierende Maßnahmen immer wieder gefordert. Der Druck auf die Sportler nimmt so zweifelsohne zu, wenngleich sich wesentliche Strukturprobleme so nicht auflösen lassen. Teil 4 soll daher verstehen helfen, welchen Anteil die Interessengruppen und Akteure in der Peripherie des Sports an der aktuellen Problemkonstellation besitzen.
Daniel Kilb
Quellenangaben:
1. Maenning, Wolfgang (2000). Zur Ökonomik der Dopingbekämpfung. Eine Replik.Homo Oeconomicus, 2000, 16 (3), 287-291.
2. Bird, Edward J. & Wagner, Gert G (1997). Sport as a Common Property Resource.A Solution to the Dilemmas of Doping. Journal of Conflict Resolution, 41 (6), 749-766.