Der 2. Teil dieser Serie stellt Ihnen einige grundlegende funktionelle Bewegungstests für den Oberkörper vor. Aber zunächst soll kurz wiederholt werden, was eine funktionelle Bewegungsanalyse überhaupt ist und warum sie ein aussagekräftiges Screening-Tool darstellt.
Mit zunehmendem Alter kommt es infolge von Verletzungen, Narbengewebe, muskulären Dysbalancen, Muskelschwäche, Beweglichkeitsverlust etc. zu mechanischen Veränderungen im Körper. Alle diese Faktoren können mitverantwortlich für Verletzungen sein. Diese haben selten nur eine Ursache. Mehrere Faktoren können eine Rolle spielen, wie z. B. frühere Verletzungen, Geschlecht, anthropometrische Merkmale, mangelnde Beweglichkeit, schlechtere Leistungsindikatoren wie z. B. beim Vertikalsprung, ein Valguskollaps beim Landen und Abbremsen, eine verkürzte Reflexantwort, die Stabilität und das Gleichgewicht.
Dadurch lässt die Effizienz unseres Körpers im Laufe der Zeit nach und wir können grundlegende und elementare Bewegungen nicht mehr richtig ausführen. Wird diese zunehmend mangelnde Bewegungsfähigkeit nicht überprüft, ist die Wahrscheinlichkeit sehr groß, dass wir dies kompensieren, indem wir neue, fehlerhafte Bewegungsmuster entwickeln. Die Folge hiervon können Leistungsverluste und Verletzungen sein. Mit einer Art „Mängel-Prüfung“ für Ihre grundlegenden und elementaren Bewegungen können Sie sicherstellen, dass Sie sich weiterhin so effizient wie möglich bewegen und so Verletzungen vorbeugen.
Eine sehr einfache aber wirksame Methode zur Beurteilung Ihrer Bewegungsmuster ist die funktionelle Bewegungsanalyse (FBA). Sie besteht aus 7 verschiedenen Tests zur Bewertung der Mobilität und der Stabilität. Anhand der Testergebnisse lassen sich Aussagen zum Funktionsstatus und zum Verletzungsrisiko eines Sportlers machen.(1,2)
Die funktionelle Bewegungsanalyse soll
– das Bewegungsvermögen des Sportlers bei elementaren Bewegungsmustern steigern,
– leistungsbezogene sportliche Fähigkeiten verbessern und
- – sportspezifische Fertigkeiten und Leistungen intensivieren.
Im Gegensatz zu den herkömmlichen Untersuchungsmethoden, die für die Erkennung möglicher Verletzungs- und Bewegungsprobleme nach wie vor wichtig sind, stellt die FBA ein einfaches Screening-Tool dar, das es praktisch jedem ermöglicht, die Funktionalität seiner Bewegungen zu beurteilen. Das besonders Positive an der FBA ist, dass sie aus bewegungsorientierten Tests besteht, dass sie leicht und überall durchzuführen (alle 7 Tests dauern insgesamt nur ca. 10 Minuten) und dabei sehr zuverlässig ist.
Die Vorteile der funktionellen Bewegungsanalyse
Die funktionelle Bewegungsanalyse (FBA)
– verbessert die funktionelle und sportliche Leistungsfähigkeit,
– sorgt dafür, dass weniger Trainings- und Sportverlertzungen vorkommen,
– hat ein simples Punktesystem für die Beurteilung der Beweglichkeit des Sportlers,
– ist sowohl für Sportmediziner wie auch Fitness-Trainer geeignet,
– zeigt, wo körperliche Dysbalancen oder Schwachstellen sind,
– ermöglicht Trainern eine individuellere Gestaltung ihres Trainingsprogramms, so dass Sportler bessere Leistungen erzielen können,
– zeigt dem Trainer und dem Sportler den Unterschied zwischen Bewegungsqualität und Bewegungsquantität,
– ermöglicht es Sporttrainern, Kraft- und Konditionstrainern, Personaltrainern und Physiotherapeuten, aktuelle Verletzungstrends und -häufigkeiten zu erkennen, um Nicht-Kontakt-Verletzungen vorzubeugen,
– ermöglicht den Trainern die Erkennung möglicher Ursache-Wirkungs-Beziehungen bei Mikrotraumen und chronischen Verletzungen in Zusammenhang mit Asymmetrien bei der Bewegung.(1,2)
Bewertung nach Punkten
Die Auswertung der FBA ist ganz einfach und erfolgt anhand eines Punktesystems. Ein Test beinhaltet lediglich 4 Möglichkeiten, die zeigen, wo eventuell Probleme bestehen und wie der Sportler sein(e) Ziel(e) am besten erreichen kann. Die Punkte werden wie folgt vergeben:
- keine Probleme = 3 Punkte
- kleine Probleme (geringe Einschränkung der Beweglichkeit) = 2 Punkte
- große Probleme (starke Einschränkung der Beweglichkeit) = 1 Punkt
- Schmerzen beim Ausführen der Bewegung = 0 Punkte (die schmerzhafte Stelle sollte von einem Arzt gründlich untersucht werden)
Die letzten 4 Tests
Die Basis-FBA beinhaltet 7 Tests und ist eine ideale Grundlage für die Beurteilung eines Sportlers. Im 1. Teil dieser Serie „Die funktionelle Bewegungsanalyse – der Mängel-Test für Ihren Körper“ wurden 3 Tests für den Unterkörper beschrieben. In diesem 2. Teil lernen Sie 4 Tests für den Oberkörper kennen.
Test Nr. 4: Mobilität der Schulter
Bei der Überprüfung der Schultermobilität wird untersucht, wie groß die Bewegungsreichweite auf beiden Seiten ist, indem die Innenrotation mit Adduktion (Anziehen eines Glieds an den Körper) und Extension sowie die Außenrotation mit Abduktion (Abspreizen eines Glieds) und Flexion miteinander kombiniert werden. Darüber hinaus sind für diese Bewegung eine normale Mobilität des Schulterblatts und eine Extension der Brustwirbelsäule erforderlich.
Ausführung:
1. Bestimmen Sie die Handlänge, und messen Sie dazu den Abstand zwischen der distalen Handgelenksfalte (am unteren Rand der Hand) und der Spitze des Mittelfingers.
2. Die zu untersuchende Person steht aufrecht mit geschlossenen Füßen und verbleibt während des gesamten Tests in der Position.
3. Machen Sie mit beiden Händen eine Faust, so dass der Daumen von der Faust umschlossen ist.
4. Bewegen Sie die Schultern so, dass eine Schulter so weit wie möglich adduziert, gestreckt und nach innen gedreht ist, während die andere weitmöglichst abduziert, gebeugt und nach außen gedreht ist.
5. Die Hände bleiben während des Tests zur Faust geballt und werden gleichzeitig vorsichtig auf den Rücken gelegt.
6. Messen Sie nun den Abstand an der schmalsten Stelle zwischen den Fäusten. Prüfen Sie die Schultermobilität auf jeder Seite mindestens 3-mal.
Clearing: Am Ende des Mobilitätstests wird ein Clearing-Verfahren durchgeführt. Diese Bewegung wird nicht bepunktet, es wird lediglich beobachtet, ob Schmerzen auftreten. Wenn das der Fall ist, liegt ein positiver Befund vor und der gesamte Schultermobilitätstest wird mit 0 Punkten bewertet. Dieses Clearing ist erforderlich, weil ein Impingement (Einklemmung von Gewebe) der Schulter durch den Mobilitätstest allein nicht immer diagnostiziert werden kann. Dazu muss der Betreffende eine Hand auf die gegenüberliegende Schulter legen und dann versuchen, mit dem Ellbogen nach oben zu zeigen. Wenn diese Bewegung mit Schmerzen verbunden ist, gibt es für diesen Test 0 Punkte, unabhängig von den nachfolgenden Abständen:
Punkte:
3 | Die Fäuste sind nicht mehr als 1 Handlänge auseinander. |
2 | Die Fäuste sind nicht mehr als 1 1/2 Handlängen auseinander. |
1 | Die Fäuste sind mehr als 1 1/2 Handlängen auseinander. |
Klinische Konsequenzen:
Ein schlechtes Ergebnis bei diesem Test kann verschiedene Ursachen haben. Wenn der kleine Brustmuskel (M. pectoralis minor) oder der breite Rückenmuskel (M. latissimus dorsi) zu stark entwickelt und verkürzt ist, kann es zu Haltungsänderungen kommen. Daneben kann auch eine scapulo-thorakale Dysfunktion (gekennzeichnet durch eine falsche Ausrichtung des Schulterblatts im Verhältnis zur Wirbelsäule) vorliegen, denn eine schlechte scapulothorakale Mobilität oder Stabilität kann auch zu einer eingeschränkten Mobilität des Oberarms führen.
– Bei einem Ergebnis von weniger als 3 Punkten muss genau überprüft werden, wo die Beweglichkeit eingeschränkt ist.
– 2 Punkte sind ein Hinweis auf geringfügige Haltungsänderungen oder Muskelverkürzungen, die vom Rumpf oder den Schulterblättern bis zum Oberarmknochen reichen (axio- oder skapulo-humerale Muskeln).
– Bei 1 Punkt oder weniger kann es sich um eine scapulothorakale Dysfunktion handeln.
Test Nr. 5: Aktives Anheben des gestreckten Beins
Zielsetzung:
Beim aktiven Anheben des gestreckten Beins wird überprüft, inwieweit der Sportler das Bein vom Boden zu lösen vermag und gleichzeitig die Stabilität im Rumpf halten kann. Im Test wird die aktive Beweglichkeit der hinteren Oberschenkel- und Wadenmuskulatur überprüft. Dabei muss das Becken stabil bleiben und das gegenüberliegende Bein aktiv gestreckt werden.
Ausführung:
1. Der Sportler befindet sich in Rückenlage, die Arme liegen locker neben dem Körper, der Kopf ist auf dem Boden. Unter die Knie wird ein Brett geschoben.
2. Messen Sie die Mitte zwischen der Spina iliaca anterior superior, dem oberen vorderen Darmbeinstachel (der vorderste Punkt des Beckenkamms – ASIS), und der Mitte der Kniescheibe. Genau an dieser Stelle wird eine Stange lotrecht zum Boden platziert.
3. Heben Sie das Testbein. Das Fußgelenk ist nach dorsal gerichtet und das Knie gestreckt.
4. Während des Tests hält das gegenüberliegende Knie Kontakt zum Brett. Die Fußspitze zeigt nach vorne, und der Kopf liegt flach auf dem Boden.
5. Wenn die Endposition erreicht ist und der Malleolus (Innenknöchel des Fußgelenks) hinter der Stange ist, erfolgt die Punktbewertung anhand der auf Seite 5 angegebenen Kriterien.
6. Kann der Malleolus nicht bis hinter die Stange geführt werden, so wird die Stange an der Mitte des Malleolus des Testbeins ausgerichtet.
Punkte:
3 |
Das Fußgelenk/die Stange befindet sich zwischen Oberschenkelmitte und ASIS. |
2 |
Das Fußgelenk/die Stange befindet sich zwischen Oberschenkelmitte und Kniescheibenmitte/Gelenklinie. |
1 |
Das Fußgelenk/die Stange befindet sich zwischen Oberschenkelmitte und Kniescheibenmitte/Gelenklinie. |
Klinische Konsequenzen:
Ein schlechtes Ergebnis bei diesem Test kann verschiedene Ursachen haben. Eine davon ist eine schwache funktionale Beweglichkeit der hinteren Oberschenkelmuskulatur des Sportlers. Zum anderen könnte es sein, dass bei dem Sportler infolge mangelnder Beweglichkeit des Iliopsoas-Muskels in Verbindung mit einem nach vorn geneigten Becken die Beweglichkeit der gegenüberliegenden Hüfte eingeschränkt ist. Ist die Beweglichkeit stark eingeschränkt, kann die hintere Oberschenkelmuskulatur nicht wirklich aktiv bewegt werden. Bei einer Kombination dieser Faktoren kann auch eine asymmetrische Beweglichkeit der Hüfte vorliegen. Ebenso wie das Hürdensteigen ist auch dieser Test mit aktivem Anheben des gestreckten Beins ein Indikator für die relative Beweglichkeit der Hüfte. Aufgrund der Einschränkungen für die hinteren Oberschenkelmuskeln und den Iliopsoas-Muskel bei dieser Übung ist dieser Test jedoch noch genauer.
– Bei einem Ergebnis von weniger als 3 Punkten muss genau überprüft werden, wo die Beweglichkeit eingeschränkt ist.
– Bei 2 Punkten kann eine geringe asymmetrische Beweglichkeit der Hüfte oder eine leichte, einseitige Muskelverspannung vorliegen.
– Bei 1 Punkt oder weniger ist die relative Hüftbeweglichkeit stark eingeschränkt.
Test Nr. 6: Rotationsstabilität
Zielsetzung:
Die Bewegung bei diesem Test ist recht komplex und erfordert eine gute neuromuskuläre Koordination sowie einen Energietransfer von einem Körperteil zum anderen über den Rumpf. Bei der Rotationsstabilitätsprüfung wird eine kombinierte Bewegung mit den oberen und unteren Extremitäten ausgeführt, bei der die Rumpfstabilität auf mehreren Ebenen überprüft wird.
Ausführung:
1. Die Ausgangsposition ist der Vierfüßlerstand. Schultern und Hüften sind in einem 90-Grad-Winkel zum Rumpf. Die Knie befinden sich ebenfalls in einem 90-Grad-Winkel, und die Fußgelenke sind dorsal gebeugt.
2. Das Brett wird dann so zwischen Knie und Hände gelegt, dass diese das Brett berühren.
3. Beugen Sie dann die Schulter und strecken Hüfte und Knie derselben Seite. Bein und Hand werden dabei nur so weit angehoben, dass sie ungefähr 15 cm über dem Boden sind.
4. Ellbogen, Hand und Knie, mit denen Sie die Hebebewegung ausführen, bleiben in einer Linie mit dem Brett.
5. Der Rumpf bleibt ebenfalls in derselben Ebene wie das Brett.
6. Beugen Sie dann die Schulter und das Knie, so dass beide sich berühren.
7. Bei weniger als 3 Punkten machen Sie dieselbe Übung noch einmal in der Diagonalen und führen Schulter und gegenüberliegendes Knie zusammen.
Punkte:
3 |
– Der Sportler führt die Übung einmal auf einer Seite korrekt aus und streckt die Wirbelsäule parallel zum Brett. – Knie und Ellbogen bleiben bei der Berührung in einer Linie über dem Brett. |
2 |
– Der Sportler führt die Übung diagonal einmal korrekt aus und streckt die Wirbelsäule parallel zum Brett. – Knie und Ellbogen bleiben bei der Berührung in einer Linie über dem Brett. |
1 |
Der Sportler kann die Übung in der diagonalen Variante nicht ausführen |
Klinische Konsequenzen:
Schwache Leistungen bei diesem Test sind ganz einfach die Folge einer mangelnden Stabilität der Rumpfmuskeln bei asymmetrischer Aktivität.
Test Nr. 7: Push-ups zur Beurteilung der Rumpfstabilität
Zielsetzung:
In diesem Test wird mithilfe von Liegestützen oder Push-ups die Rumpfstabilität beurteilt und überprüft, inwieweit der Betreffende die Wirbelsäule bei einer geschlossenen Bewegung des Oberkörpers in der Anteriorposterior- Achse stabilisieren kann. Darüber hinaus wird die Rumpfstabilität in der Sagittalebene (eine gedachte senkrechte Ebene durch den Körper, die ihn in eine rechte und linke Körperhälfte unterteilt) anhand einer symmetrischen Bewegung der oberen Extremitäten beurteilt.
Ausführung:
1. Gehen Sie in die Bauchlage und halten Sie die Füße zusammen.
2. Die Hände sind schulterbreit auseinander und befinden sich in der geforderten Position (s.o.).
3. Die Knie sind jetzt voll durchgestreckt und die Fußgelenke dorsal gebeugt.
4. Machen Sie in dieser Stellung einen Liegestütz. Heben Sie den Körper in seiner Gesamtheit. Die Lendenwirbelsäule darf hierbei nicht durchhängen.
Clearing: Das Clearing für die Extension der Wirbelsäule ist ein Press-up in der Liegestützposition. Treten bei dieser Bewegung Schmerzen auf, wird der Test mit 0 Punkten bewertet. In diesem Fall sollte eine eingehende Untersuchung stattfinden.
Punkte:
3 |
– Männer schaffen 1 Wiederholung, wenn die Daumen in Stirnhöhe sind. – Frauen schaffen 1 Wiederholung, wenn die Daumen in Kinnhöhe sind. |
2 |
– Männer schaffen 1 Wiederholung, wenn die Daumen in Kinnhöhe sind. – Frauen schaffen 1 Wiederholung, wenn die Daumen in Höhe des Schlüsselbeins sind. |
1 |
– Männern gelingt 1 Wiederholung mit den Händen in Kinnhöhe nicht. – Frauen gelingt 1 Wiederholung mit den Daumen in Höhe des Schlüsselbeins nicht. |
Klinische Konsequenzen:
Schwache Leistungen bei diesem Test sind ganz einfach die Folge von schwachen Rumpfmuskeln.
Fazit
Zusammen mit den Fertigkeitstests des 1. Teils für den Unterkörper („Die funktionelle Bewegungsanalyse – der Mängel-Test für Ihren Körper“) ermöglicht dieser funktionelle Bewegungstest für den Oberkörper eine einfache und effektive Bewegungsanalyse, mit der Sie Ihre eigene funktionelle und sportliche Leistung oder die Ihrer Sportler verbessern und gleichzeitig das Verletzungspotenzial im Training und Wettkampf reduzieren können. Wenn Sie Dysbalancen und Schwächen kennen, werden Sie Ihr eigenes Trainingsprogramm oder das Ihrer Klienten viel individueller gestalten können.
Nick Grantham ist Kraft- und Konditionstrainer und trainiert seit 10 Jahren Spitzensportler. Er hat viele amerikanische Profisportler trainiert, u. a. Finalteilnehmer der Olympischen und Paralympischen Spiele sowie Leistungssportler aus verschiedenen Disziplinen. Er leitet derzeit das Kraft- und Konditionsteam von GENR8 Fitness.
Quellenangaben
1. C. Murphy Functional movement screening of NCAA Division II male and female athletes. MS Thesis, 2001.
2. Journal of Strength & Conditioning Coach 2007, Bd. 15 (4), S. 3–4.