Das Technikrepertoire eines Judoka

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In der folgenden Artikelreihe wird Techniktraining zuerst theoretisch betrachtet, danach folgt eine Praxisreihe mit ehemaligen Athleten und erfolgreichen Trainern, die Teile ihres Technikrepertoires vorstellen werden.

Einmaligkeit einer Technik

In unserer Sportart gibt es unzählige Techniken und noch mehr Variationen einer Technik. Jeder Judoka verfügt über ein bestimmtes Technikrepertoire. Es gibt Techniken, die im Stand, im Boden oder im Stand-Boden-Übergang angewendet werden. Auch technisch vielseitige Judokas können nur einen kleinen Bestandteil dessen, was überhaupt in unserer Sportart möglich ist. Dies macht Judo zu einer fantastischen und nie langweilig werdenden Sportart, in welcher man immer dazulernen kann. Diese Tatsache lässt jeden Meister, jeden Champion den Judowert „Bescheidenheit“ direkt fühlen.

Die unterschiedliche Dynamik und individuelle Ausführung einer Technik macht jeden Wurf besonders. Die Abhängigkeit vom eigenen Körperbau, demjenigen des Partners, von Kraft und der Situation lässt jede Technik einmalig erscheinen.

Judo gehört zu den Sportarten mit einer offenen Aufgabenstruktur, was heißt, dass sich im Grunde eine Situation nie präzise wiederholt. Der Judoka hat es immer wieder mit anderen Partnern und neuen Situationen zu tun. Er oder sie muss in der Lage sein, seine Techniken unter unvorhersehbaren, sich ständig ändernden Bedingungen und gegen maximalen Widerstand anzuwenden.

 

Situationen nutzen oder herstellen

Trotz offener und komplexer Aufgabenstruktur wiederholen sich im Judo gewisse Situationen, bzw. sie sind sich ähnlich. Außerdem ist zu bedenken, dass nicht jede Technik in jeder Situation sinnvoll einzusetzen ist. Deshalb macht es in unserer Sportart Sinn, das Techniktraining zu systematisieren.

„Im Hinblick auf die komplexe Aufgabe, die ein Judokampf mit sich bringt, ist eine gezielte und systematische Arbeit, welche durch einen langfristigen, stufenförmigen Aufbau eines Handlungskomplexes erfolgen kann, unabdingbar.“ (1)

Ein Athlet hat im Judo 2 Möglichkeiten. Er oder sie kann bereits bestehende situative Bedingungen nutzen, d. h. darauf reagieren. Oder aber er oder sie stellt eine optimale Situation her, indem er taktisch oder technisch die Situation vorbereitet bzw. agiert.

Jeder Judoka hat eine bevorzugte Auslage, d. h. er oder sie steht lieber rechts oder links vor. Man spricht von Rechts- oder Linkskämpfern. Ganz selten gibt es Athleten, die auf beiden Seiten gleich oder ähnlich stark sind. Nichts desto trotz sollte jedoch jeder Athlet in der Lage sein, auf beide Seiten technisch agieren zu können.

Bin ich selbst Rechtskämpfer und mein Partner Linkskämpfer, spricht man von einer gegengleichen Auslage. Bin ich ein Rechtskämpfer und mein Gegner auch, so nennt man diese Situation gleiche Auslage. Jeder Judoka sollte auch über eine bevorzugte Kumi-kata verfügen und sich diesbezüglich dem Partner nicht unterordnen. Selten wechseln erfolgreiche Judoka ihre Auslage oder passen sich dem Gegner bezüglich Griff und Auslage freiwillig an. Es gibt Athleten, die spezialisiert sind auf Kontertechniken und die es mögen, wenn der Gegner seinen dominanten Griff durchsetzen kann und angreift. Doch diese Kampfstrategie birgt auch viel Risiko, vor allem auch im Hinblick auf die Auslegung der neuen Wettkampfregeln. Eine Griffdominanz ist im Wettkampf also von Vorteil und Ziel ist es, für beide Auslagen einen oder mehrere Handlungskomplexe zu erarbeiten.

 

Begrifflichkeiten

Leo Held hat sich 1995 in seiner Diplomarbeit für die Deutsche Sporthochschule Köln mit dem Thema eingehend beschäftigt und die Begrifflichkeiten haben sich bis heute in der Trainerbildung und im Traineralltag durchgesetzt.

Unter einem Handlungsrepertoire versteht man alle denkbaren Techniken, die ein Athlet im Wettkampf anwenden kann und die miteinander irgendwie in Verbindung stehen.

Zu einem Handlungskomplex gehören vorbereitende und nachbereitende Techniken um eine Haupttechnik. Der Griffkampf oder taktische Maßnahmen vor einer vorbereitenden Technik gehören dazu.

Eine Handlungskette besteht zum Beispiel aus einer Fassartstrategie, einer vorbereitenden Technik und einer Haupttechnik.

Handlungsrepertoir, Handlungskette und Handlungskomplex (PDF)

 

Beispiel Handlungskomplex

Jeder Judoka hat eine oder mehrere Spezialtechniken. Diese steht oder stehen oft im Zentrum als Haupttechnik eines Handlungskomplexes. Ein Handlungskomplex bezieht sich meistens auf eine bestehende Situation. Zum Beispiel eine gleiche Auslage. Im Wettkampf geht oft eine taktische Handlung der Technik voraus. Ist die Situation nicht optimal für eine bestimmte Technik, muss eine Technik vorgeschaltet werden. Diese wird vorbereitende Technik genannt. Der Gegner reagiert auf die vorbereitende Technik mit Blocken oder Ausweichen und kreiert die gewollte Situation für die Haupttechnik. Führt die Haupttechnik noch immer nicht zu einer Wertung, weil der Gegner erneut gut verteidigt, so folgt eine nachbereitende Technik.

  

Fazit

Als Athlet und Trainer ist es interessant und herausfordernd, einen passenden Handlungskomplex zusammenzustellen, neue Techniken ins Technikrepertoire einzubauen und Handlungskomplexe sinnvoll zu ergänzen. Durch neue Gegner, ändernde Wettkampfregeln, Reaktionen diverser Gegner sind zusätzliche Techniken und taktische Handlungen bei vielen Athleten immer wieder zu beobachten. Dieser Faktor trägt bei, dass die technisch-taktische Arbeit im Judo spannend ist und bleibt.

 

Karin Ritler Susebeek

 

Quellenangaben:

1. Held, L. (1995). Stufenmodell für einen systematischen Aufbau eines Handlungskomplexes im Rahmen der langfristigen technisch-taktischen Entwicklung eines Judoka. Diplomarbeit DSHS Köln (unveröff.)

2. Lippmann, R. u.a. (1999). Trainer-B-Skript Köln.

3. Lippmann, R./Ritler Susebeek, K (2006). Koordinationstraining im Judo, Sportverlag Strauss Köln.

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