Wie sehr der langfristige Erfolg bei der Behandlung von Rückenschmerzen von der interdisziplinären Abstimmung von Ärzten und Sportwissenschaftlern abhängen kann, möchten wir Ihnen in diesem Beitrag zeigen.
Rückenschmerzen werden zu Recht als Volksleiden bezeichnet. Allerdings wird auch kaum ein Thema derart kontrovers diskutiert wie die Rückenschmerzen. Vor dem Hintergrund der sehr hohen Anzahl von ca. 160.000 Rückenoperationen pro Jahr wird diskutiert, ob alle Eingriffe wirklich berechtigt sind oder ob auch überflüssige Operationen zu Buche stehen. Demgegenüber steht der Wunsch, auf das Entwickeln chronischer Rückenschmerzen vorbeugend einwirken zu können. In ca. 90 % der Fälle sind Rückenschmerzen bereits nach 3 Monaten wieder abgeklungen. 10 % der Rückenpatienten entwickeln jedoch chronische Schmerzen unterschiedlicher Ursachen. Dass Sport und Bewegung im Rahmen der medizinischen Kräftigungstherapie wirken können, zeigt sich in Studien.
Rückenschmerzen können extrem belastend werden und nicht immer ist die Genese eindeutig zu klären. Bandscheiben-Läsionen mit entsprechenden Beeinträchtigungen der Nerven sind dabei nur eine mögliche Ursache von vielen! Überlastungen, muskuläre Schwächen oder Haltungsfehler bis hin zu Beinachseninstabilitäten können ebenso Auslöser für Rückenschmerzen sein.
Kann Training helfen?
Bevor die Entscheidung für das Skalpell oder für die medizinische Kräftigungstherapie oder andere Bewegungsansätze fällt, steht zunächst einmal die Diagnostik. Der Orthopäde Dr. Ralf Wagner operiert im Ligamenta Wirbelsäulenzentrum und sieht im medizinischen Kräftigungstraining eine große Chance. So kann das gezielte Kräftigen sowohl präventiv wirken, als auch Menschen mit bereits vorhandenen Beschwerdebildern Linderung bringen. „Das intensive und höchst effektive Aufbautraining der Rückenmuskulatur“ ist dabei laut Dr. Wagner ein wichtiger Baustein in der Trainingstherapie. Dies bestätigte eine Studie der Universität Wuppertal, bei der die langfristige Wirkung der medizinischen Kräftigungstherapie untersucht wurde.(1) Dabei zeigte sich, dass die Patienten einer multizentrischen Studie durch die Teilnahme an der Medizinischen Kräftigungstherapie (MKT) einen langfristigen Rückgang der subjektiven Rückenschmerzen und eine Verbesserung in der Funktionskapazität des Rückens erzielen konnten.
Erst ein Bild machen?
Die Grundlage für eine erfolgreiche Therapiewahl ist die Diagnostik. Es gibt gerade im Bereich der Bandscheibenproblematik Schadensbilder, die obligat operativ behandelt werden müssen. Gerade hier ist Sorgfalt grundlegend wichtig, um die Ursache der Schmerzen korrekt einschätzen und ggfs. die passende Therapie auswählen zu können. Dabei gibt es im Bereich der Bandscheibenvorfälle unterschiedliche Ausprägungen. Gerade bei Kompression der neuronalen Strukturen und den damit verbundenen Beeinträchtigungen und Schmerzausprägungen sind operative Versorgungen wichtige Therapiemodule.
Core Training als Lösungsansatz?
Das Core-Training ist eine Trainingsform, bei der insbesondere die Rumpfmuskulatur angesprochen werden soll. Hierbei werden Übungen mit großen Freiheitsgraden dynamisch oder statisch durchgeführt, bei denen insbesondere der „Körperkern“ angesprochen werden soll.(2) Aus diesem Grund wird dem Core-Training auch eine besondere Wirkung bei der Prävention und der Therapie von Rückenschmerzen zugeschrieben. In diesem Zusammenhang wird auch das „Functional Training“ als besonders effektive Trainingsform angepriesen. Übungen werden beim Core-Training beispielsweise mit instabilen Unterlagen und damit verbundenen sensomotorischen Schwerpunkten durchgeführt. Außerdem spielen Übungen mit dem eigenen Körpergewicht und kräftigenden Anforderungen eine große Rolle. Allerdings zeigte sich, dass alleine ein schwacher „Rumpf“ nicht als Auslöser für Rückenschmerzen zu sehen ist. In einer Studie konnte bei Patienten mit gering ausgeprägter Rumpfkraft kein Hinweis auf das vermehrte oder intensivere Auftreten von Rückenschmerzen festgestellt werden. Das Problem des „Core“ Verständnisses ist, dass das Abgrenzen eines „Core“ grundlegend nicht möglich ist. Zu komplex ist das Zusammenwirken der gesamten Muskulatur des menschlichen Körpers. Im Rahmen der medizinischen Kräftigungstherapie steht aus diesem Grund zunächst einmal das isolierte Training der an der Rückenstreckung beteiligten Muskulatur im Vordergrund. Erst nachdem hier Defizite abgebaut werden konnten, stehen zunehmend auch erweiterte Trainingsmaßnahmen im Vordergrund. Vergleichsstudien zeigten, dass positive Effekte durch Trainingsprogramme auf Ganzkörperkräftigung basieren sollten und nicht auf reinem „Core-Training“.(3) Möglicherweise sind die Anpassungen an ein Training mit dem eigenen Körpergewicht im Vergleich zu Gewichtsbelastungen im Rahmen der Medizinischen Kräftigungstherapie weniger beanspruchend. Auch im rehabilitativen Einsatz erfordern Krafttrainingsanpassungen ausreichend hohe Widerstände. Übungen mit dem eigenen Körpergewicht, bei denen der Rumpf isometrisch angespannt wird, sollen zwar den „Rumpf“ „kräftigen“, Studien können dies aber offensichtlich nicht belegen.(3) Inwiefern es sich beim „Core“ Training und den damit verbundenen Trainingseffekten um einen Mythos handelt, müssen weiterführende Studien klären. Aktuell scheint der Einsatz von Trainingsregimen, die sich allein auf den Rumpf konzentrieren bei Patienten mit chronischen Rückenschmerzen eher nicht ratsam.
Fünf Schritte zum Erfolg
Am Ligamenta Wirbelsäulenzentrum verfügt man neben den operativen Möglichkeiten auch über ein eigenes Trainingszentrum. Ein 5 Stufenmodell soll dabei helfen, die Belastbarkeit und Schmerzfreiheit wiederherzustellen.
1. Schritt Diagnostik
An erster Stelle steht die Untersuchung, bei der die genaue Ursache für die Rückenschmerzen festgestellt wird. Auf dieser Basis kann die Entscheidung für eine operative oder konservative Therapie getroffen werden.
2. Schritt Therapie
Je nach Entscheidungsgrundlage wird die operative oder konservative Therapie durchgeführt und deren Erfolg kontrolliert.
3. Schritt Training
Im Rahmen der Medizinischen Kräftigungstherapie wird ein Sportprogramm durchgeführt und die Muskulatur trainiert. In dieser Phase können auch Entspannungstraining und Sturzprophylaxe in das Training integriert werden.
4. Schritt
Rückenschmerzen erfordern neben der rein körperbezogenen Therapieversuche auch Maßnahmen bis hin zu Lebenstilinterventionen. Gerade Patienten mit langer Schmerzgeschichte sind unter Umständen auch auf psychologische Betreuung angewiesen. Hier sind die Bedürfnisse der Patienten durch interdisziplinäre Abstimmung abzuklären.
5. Schritt
Abschließend muss die Eigenverantwortung im Rahmen des Gesundheitsbewusstseins gestärkt und langfristige und eigenständige Sport- und Bewegungsmaßnahmen sollten angeregt werden.
Gerade beim MKT-Training kann neben der gesteigerten Kraftleistung eben auch eine signifikante Reduktion der Schmerzen erreicht werden. Das Training kann dabei schon für sich genommen neben der physischen Komponente auch die psychische Funktionsfähigkeit steigern.(1)
Training abstimmen
Bei der Frage nach Trainingsinterventionen scheint es unterschiedliche Ergebnisse zu geben. Zum einen gibt es positive Effekte in der medizinischen Trainingstherapie.(1) Beim Core-Training scheint es keine signifikanten Ergebnisse zu geben.(3) Es ist nicht damit getan, „einfach“ zu trainieren. Eine amerikanische Studie konnte sehr gute Effekte mithilfe eines periodisierten Krafttrainings auf Rückenschmerzen unklarer Genese erzielen.(4) Dabei wurden die Trainingsprogramme so aufgebaut, dass Belastungsphasen und Entlastungsphasen aufeinander abgestimmt wurden. Das beständige Anpassen von Intensität stand dabei im Vordergrund. Krafttraining wirkt somit wohl in erster Linie unter der Prämisse, dass das Training inhaltlich auf die Beschwerden und die Patienten abgestimmt wird.
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Fazit
Rückenschmerzen sind weit verbreitet, können aber sehr unterschiedliche Ursachen haben. Die mediale Kritik an der Zahl operativ versorgter Patienten basiert im Wesentlichen auf Schätzungen, ohne dass belastbare Zahlen hierzu vorliegen. Grundlegend spielt die sorgfältige Diagnostik eine wichtige Basis für die Wahl der passenden Therapieform. Training kann bei Rückenschmerzen sowohl präventiv wirken, sofern die Inhalte des Trainings entsprechend inhaltlich abgestimmt sind. Das gilt ebenso für den rehabilitativen Einsatz einer Trainingstherapie. Training wirkt dann, wenn es inhaltlich auf das zu Grunde liegende Problem abgestimmt ist. Dabei sind nach derzeitigem Stand der Studienlage Programme auf Basis des „Core-Trainings“ und damit verbundene Ansätze des „Functional Trainings“ eher kritisch hinsichtlich möglicher Therapieerfolge zu sehen!(3) Patienten mit Rückenschmerzen im unteren Rückenbereich scheinen insbesondere von Trainingsinhalten der Medizinischen Kräftigungstherapie zu profitieren. Langfristig sind deshalb Trainingsprogramme von Vorteil, bei denen dynamische Übungen stattfinden. Insbesondere Sportler mit wenig Vorerfahrung profitieren von einem maschinengestützten Krafftraining.
Autor: Dennis Sandig
Buchtipp aus der Redaktion:
Wer selbständig an seinen Rückenproblemen arbeiten möchte, dem empfehlen wir das Buch:
Starker Rücken ohne Schmerzen – Das funktionelle Trainingsprogramm, um Beschwerden zu lindern, die Haltung zu verbessern und Muskeln aufzubauen
Mit den Übungen und den drei Trainingsprogrammen in diesem Buch haben der Chiropraktiker Eric Goodman und der Profitrainer Peter Park einen Korrekturansatz konzipiert, der darauf ausgerichtet ist, ungünstige Bewegungsmuster zu verbessern und eine kraftvolle Rückenmuskulatur zu entwickeln. Dabei wird der Core-Bereich ganz neu herausgebildet, indem der Fokus von der Vorderseite des Körpers auf die Körperrückseite verlagert wird. Mit nur 20 Minuten Training an drei Tagen der Woche können Anfänger ebenso wie erfahrene Sportler mit diesem einfachen Programm nicht nur ihre Haltung korrigieren und Rückenschmerzen deutlich lindern, sondern auch ihre Fitness und ihre Leistung steigern.
Literaturangaben:
1. Deutsche Zeitschrift für Sportmedizin, 2005, Bd. 56, (11), S. 388–392.
2. Sports Medicinde, 2006, Bd. 36, (3), S.189-198.
3. Journal of Bodywork & Movement Therapies, 2005, Bd. 14, (1), S. 84–98.
4. Journal of Strength and Conditioning Research, 2001, Bd. 25, (1), S. 242–251.