Ein spezifisches Krafttraining der Maximalkraft besonders der Hüft- und Beinmuskulatur verhilft Tänzern zu einer besseren Dynamik und Schnellkraft, z. B. für das Battement im Ballett.
„Wer eine Form achtet, der achtet auch ihr Potenzial. Man hat Gefallen an ihr, weil man weiß, was aus ihr werden kann. Aber viele Leute gehen mit ihren Fragen über die historische Erscheinungsform, die das klassische Ballett im Laufe seiner Tradition angenommen hat, nie hinaus.“ William Forsythe
Die Methodik des klassischen Balletts ist sehr ausgereift und erfordert ein hohes Trainingsvolumen über mehrere Jahre, um ein gutes bis sehr gutes Leistungsniveau erreichen zu können. Das langjährige Training ist unter anderem wegen der hochkomplexen Koordination notwendig. Es gibt allerdings Faktoren wie die „spezifische Kraft“, die man in viel kürzerer Zeit auf ein hohes Niveau bringen kann. Wichtig hierfür sind spezifische Bewegungsabläufe und die zielgenaue Absicht.
Im ersten Teil dieser Artikelreihe wird die Maximalkraftmethode vorgestellt.
Spezifische Bewegung: Battement
Sportliche Absicht: schnelle und dynamische Kraft in Hüftbeuger, Adduktoren und Oberschenkel; Beweglichkeit der hinteren Beinkette (Maximalkraft und Schnellkraft)
Die Struktur der Kraft – Exkurs
An dieser Stelle wird nicht die Kraft im physikalischen Sinne, die man an ihrer Wirkung erkennt, sondern im sportwissenschaftlichen Verständnis betrachtet. Beim Aufbau eines effektiven Trainingsplans müssen bestimmte Faktoren, wie das Ziel des gewünschten Trainings und die Wirkungsweise der unterschiedlichen Trainingsmethoden auf die Ausprägung der einzelnen motorischen Fähigkeiten, berücksichtigt werden. Nicht nur die Qualität des Trainingsplans ist für eine hohe sportliche Leistungsfähigkeit von besonderer Bedeutung, sondern gleichermaßen morphologisch-physiologische Faktoren wie die Körpergröße, Beinlänge oder Muskelfaserzusammensetzung und insbesondere die intrinsische und extrinsische Motivation.(1)
Struktur der motorischen Eigenschaft Kraft
Mittlerweile ist es allgemein anerkannt, dass die Maximalkraft die Basis für die anderen Subkategorien der Kraft, wie die Schnellkraft und die Kraftausdauer, bildet. Für den Trainingsalltag bedeutet diese Erkenntnis, dass sich mit der Zunahme der Maximalkraft ebenfalls die Schnellkraft und die Kraftausdauer verbessern, wobei sich diese Feststellung nicht nur auf den Leistungssport, sondern ebenfalls auf den immer größer werdenden Sektor des Fitness– und des Gesundheitssports bezieht.
Definition der Maximalkraft
Für schnelle und dynamische Bewegungen wie Battement braucht man auch im Tanzsport eine gut ausgeprägte Maximalkraft. Die Definition der Maximalkraft stellt, abgesehen von dem identischen Wortlaut, zwischen den Wissenschaftlern eine einheitliche Größe dar. Güllich/Schmidtbleicher (2) definieren sie wie folgt: „Unter Maximalkraft wird die höchste Kraft verstanden, die das neuromuskuläre System bei einer maximal willkürlichen Kontraktion entfalten kann“ Oder: „Die Maximalkraft stellt die höchstmögliche Kraft dar, die das Nerven-Muskel-System bei maximaler willkürlicher Kontraktion auszuüben vermag“.(3)
Lässt sich die Maximalkraft steigern?
Bei einer untrainierten Person, bei der das neuromuskuläre System nicht an sportliche Höchstleistungen angepasst ist, beträgt der Aktivierungsgrad der Muskulatur ca. 70 %, wobei nur einzelne Fasern des jeweiligen Muskels beansprucht werden. Durch ein gezieltes Krafttraining kann der Aktivierungsgrad bis auf 95 % gesteigert werden.(1,4,5,6) Dies ist wichtig im Hinblick auf Sportarten mit Gewichtsklassen oder ästhetischen Gesichtspunkten (Figur des Tänzers), in denen höhere Kraftwerte bei gleichbleibender Muskelmasse erzielt werden sollen.
Anpassungen durch die Maximalkraft
Einflussgrößen des Muskelsystems
Durch ein kontinuierlich durchgeführtes Krafttraining mit maximalen Gewichten entstehen neue aktive Querbrücken im Sarkomer. Bei gleich bleibender Muskelmasse stehen also mehr kontraktile Elemente zur Verfügung, was wiederum zu höheren Maximalkraftwerten führt.(2) Zusätzlich sei noch zu betrachten, dass je nachdem, welcher Belastung der Muskel ausgesetzt wird, die dementsprechenden Muskelfasertypen angesprochen werden. Die Maximalbelastung (> 90 %) wirkt sich primär auf die schnellen Muskelfasern (die FT- oder fast-twitch-Fasern) aus. Sie besitzen große α-Motoneuronen, die aus diesem Grund zu schnelleren Kontraktionen führen, sich positiv auf die Maximalkraft auswirken, über ein stärkeres muskuläres Bindegewebe verfügen, jedoch relativ schnell ermüden.(2,7) Diese Besonderheit der schnellen Ermüdung der FT-Fasern muss bei der Gestaltung des Trainingsplans berücksichtigt werden.
Verbesserung der Bewegungsschnelligkeit
Dass Krafttraining zu einer Zunahme der Körpermasse durch die Vergrößerung des Muskelquerschnitts führt und durch diesen Massenzuwachs langsam macht, ist ein uralter Mythos aus dem Volksmund, der aber bis in die heutige Zeit überlebt hat und immer noch von zahlreichen Sportlern und Trainern vertreten wird. Bereits 1977 wurden von Bührle/Schmidtbleicher vielschichtige Untersuchungen durchgeführt, ohne die Maximalkraft als Basis der motorischen Eigenschaft Kraft zu kennen, die beweisen, dass das Maximalkrafttraining signifikante Ergebnisse auf unterschiedliche motorische Komponenten aufweist: Eine eindeutige Aussage konnte über die Verbesserung der Explosivkraft durch das Maximalkrafttraining getroffen werden. Die Explosivkraft ist die Fähigkeit, im ersten Kontraktionsabschnitt hohe Kraftwerte einsetzen zu können.(8) Diese ist von der großen Anzahl der Querbrückenbindungen abhängig, die pro Zeiteinheit aktiviert werden.(3) Dementsprechend besteht eine größere Fähigkeit „einen möglichst hohen Kraftanstieg pro Zeiteinheit zu erreichen“.(4) Ableitend aus der Zunahme der Explosivkraft wurde ein hochsignifikanter Zusammenhang zwischen der Maximalkraft und der Bewegungsschnelligkeit und somit ebenfalls der Absolutkraft nachgewiesen.
Neurologische Anpassungen
Eine der primären Auswirkungen des Maximalkrafttrainings auf den Körper ist die Anpassung der neurophysiologischen Strukturen. „[I]nfolge eines Krafttrainings mit hoher Intensität [verbessert sich die Fähigkeit, Anm. d. Verf.]schnell große Innervationsaktivitäten mobilisieren zu können“.(6) Es wird angenommen, dass diese Anpassung durch die Aktivierung bisher nicht genutzter motorischer Einheiten (Rekrutierung), sowie einer „erhöhte[n]Verarbeitungsfähigkeit hoher Innervationsfrequenzen“(6) ausgelöst wird. Die unmittelbare Konsequenz des Krafttrainings mit hohen Lasten (> 90 % der Maximalkraft) ist die gesteigerte Start- und Explosivkraft, sowie meistens eine Steigerung der Maximalkraft.
Muskelhypertrophie – Wachstum des Muskelquerschnitts
Den letzten und bedeutendsten Faktor zur Steigerung des Kraftniveaus auf langfristige Sicht stellt die Hypertrophie dar. Wenn das Potential der neuromuskulären Anpassungen ausgeschöpft ist, kann ein weiterer Kraftzuwachs durch die Muskelhypertrophie erzielt werden.(6,9) Die Vermehrung des kontraktilen Materials im Muskel trägt enorm zu einer Steigerung der Maximalkraft bei. Diese Tatsache entspricht dem zweiten Newtonschen physikalischen Gesetz mit der Formel F = m x a. Je größer also die Muskelmasse, desto größer ist auch die resultierende Kraft.(6)
Beim Tänzer gilt an dieser Stelle, eine optimale Relation zwischen dem geforderten Gewicht und der notwendigen Kraft zu realisieren. Aus diesem Grund ist es empfehlenswert, die Krafttrainingsmethode mit Blick auf das Resultat der neurologischen Anpassungen zu betreiben und somit dem Anforderungsprofil des Tänzers gerecht zu werden.
Zusammenfassung
Unabhängig von der Sportart kann man zusammenfassend festhalten, dass sportliche Leistungen von morphologisch-physiologischen, koordinativen und motivationalen Faktoren bestimmt werden, die unterschiedlichen Zeitverläufen unterliegen. Zu den morphologisch-physiologischen Aspekten gehören der Muskelquerschnitt, die Kontraktionszeit der einzelnen Muskelfasern, also die willkürliche Aktivierungsfähigkeit, die Muskelfaserzusammensetzung und die sportartspezifische optimale Körpergröße und Extremitätenlänge. Die koordinativen Komponenten wirken in erster Linie auf neurologischer Ebene und bestimmen den Grad der intra- und intermuskulären Koordination.
Marina Lewun
Literatur
1. Bührle, M.; Schmidtbleicher, D. (1981). Komponenten der Maximal- und der Schnellkraft. Versuch einer Neustrukturierung auf der Basis empirischer Ergebnisse. Sportwissenschaft 11 (1), S. 11-27
2. Güllich, A.; Schmidtbleicher, D. (1999). Struktur der Kraftfähigkeiten und ihrer Trainingsmethoden. Deutsche Zeitschrift für Sportmedizin 50 (7/8), S. 223-234
3. Weineck, J. (2000). Optimales Training (11. Auflage). Balingen: Spitta Verlag GmbH
4. Bührle, M.; Schmidtbleicher, D.; Ressel, H. (1983). Die spezielle Diagnose der einzelnen Kraftkomponenten im Hochleistungssport. Leistungssport 13 (3), S. 11-16
5. Schmidtbleicher, D. (1984). Strukturanalyse der motorischen Eigenschaft Kraft. Leichtathletik 35 (50), S. 1785-1792
6. Schmidtbleicher, D. (1987). Motorische Beanspruchungsform Kraft. Struktur und Einflussgrößen, Adaptationen, Trainingsmethoden, Diagnose und Trainingsansteuerung. Deutsche Zeitschrift für Sportmedizin 38 (9), S. 356-377
7. Schmidtbleicher, D. (1980). Beiträge zur Bewegungsforschung im Sport. Bad Homburg: Limpert Verlag GmbH
8. Bührle, M.; Schmidtbleicher, D. (1977). Der Einfluss von Maximalkrafttraining auf die Bewegungsschnelligkeit. Leistungssport 7 (1), S. 3-10
9. Schlumberger, A.; Schmidtbleicher, D. (1998). Zeitlich verzögerte Effekte beim Krafttraining. Leistungssport 28 (3), S. 33-38