In dieser zweiteiligen Kolumne geht es um ein besonderes Stärkungsmittel oder „Tonikum“ aus Hanf, aber nicht zur Einnahme oder zum Rauchen in der Pfeife bestimmt, sondern zum Seil- und Tauklettern. Unsere Sportexperten Jürgen Reis und Nikolai Janatsch verraten Ihnen mehr dazu.
Wir reden vom Seil- bzw. auch Tauklettern, damit niemand auf die Idee kommt, es handle sich um die dünnen Kletterseile zur Sicherung (s. dazu Kolumnen 18 bis 20). Ich sage nur vorab: Ein unschlagbares „Powerhouse“, wenn die Entwicklung der Oberkörper- und Griffkraft im Blickpunkt steht. Das Klettertau gehört zu den unzähligen hochwirksamen und unverzichtbaren Zusatzgeräten, die ich schon vorgestellt habe (s. Kolumnen 25-27 Griffkrafttools), mit denen nicht „nur“ der Sportkletterer und Boulderer seine Form vorwärts pushen kann. Auch Ringer, Judoka, Boxer, Turner, Ruderer und viele andere Sportler schwören darauf.
Von der olympischen Disziplin zum Stiefkind
Schon in der Antike gehörte es zum Übungskanon der Athleten, wie der griechisch-römische Arzt Galen berichtete. Später wurde es integraler Bestandteil der verschiedenen Körperertüchtigungssysteme und Turnkünste, z. B. nach Johann Christoph Friedrich Gutsmuths (1759 – 1839) und natürlich – übrigens einem seiner Studenten – Friedrich Ludwig Jahn (1778 – 1852). Auch bei Wettkämpfen nordamerikanischer Holzfäller war es vertreten. Als Unterdisziplin des Turnens wurde es mehrfach (mit gelegentlichen Unterbrechungen) bei den Olympischen Spielen der Neuzeit auf ca. 10 – 14 m Höhe, teils auf Zeit, teils aber auch auf Form („turnerische Haltung“), durchgeführt und zwar 1896, 1904, 1906 (Zwischeneinschub der Sommerspiele), 1924 und zuletzt 1932. Dieses letzte Event gewann der Amerikaner Raymond Bass mit einer Zeit von 6,7 Sek auf einer Länge von 7,62 m. Danach begann in Europa und weltweit bekanntlich eine dunkle Epoche. Aus athletischer Sicht wohl auch, weil das Seilklettern nicht nur von der olympischen Bildfläche verschwand, sondern auch im Training zunehmend ein Nischendasein zu fristen begann.
Erstklassiges Krafttraining für Seilkletterer
Retrospektiv mag das Klettern am Seil als Wettkampfdisziplin irgendwie exotisch, vielleicht sogar antiquiert erscheinen. Genau genommen, ist es aber nicht weniger „abwegig“ 8 oder 10 m oder mehr so schnell wie möglich hochzuklettern, wobei ich hier natürlich nur vom Klettern mit den Händen ohne Fußunterstützung am Gerät rede, als 100 m zu sprinten oder zu schwimmen. Sicher, Seilklettern vermittelt weit weniger Glamour, es mag zudem im einen oder anderen unangenehme Gefühle an die Schulzeit im Turnsaal hervorrufen, wo man sich unter der zweifelhaften Aufsicht „inkompetenten Fachpersonals“ mit dem Tau bestenfalls Blasen an den Händen und Brandwunden an den Innenschenkeln zuzog. Trotzdem: Wollen Sie stark werden wie ein Gorilla in der Brunft, kommen Sie am Seilklettern nicht vorbei! Auf die stolzgeschwellte Heldenbrust können Sie sich, wenn Sie möchten, nach getanem Werk klopfen – so kommen Show und Glamour auf Umwegen doch wieder ins Seilklettern. Wettkampfmäßig hat sich das Seilklettern übrigens glücklicherweise sehr vital in der tschechischen Republik erneuert, ein Hoffnungsschimmer, dass es sich vielleicht als Grassroots-Movement von dort aus wieder verbreiten möge. Auch in Frankreich scheint es ein Revival zu geben. Seilklettern wird auch bei besonderen Vergleichswettkämpfen von Feuerwehrleuten und Polizisten durchgeführt, die berufsbedingt an funktioneller Kraft interessiert sind. Der Vollständigkeit halber sei gesagt, dass in Deutschland das Seilklettern auch Bestandteil des sog. Seesportes ist (neben Rudern, Geländelaufen, Schwimmen), hierbei werden aber die Beine mitverwendet.
Woher ein Tau nehmen?
„Die technische Frage, woher man ein geeignetes Tau bekommt, sofern man keinen Zugang zu Turnsälen hat, lässt sich leicht beantworten: Gut sortierte Baumärkte haben infrage kommende Hanfseile, die man etwa an Bäumen anbringen kann. Sportstätten-Ausstatter bieten jedoch speziell für den Zweck des Seilkletterns gefertigte Taue von wesentlich besserer Qualität. Unsere Seile haben z. B. generell einen Metallring zur Aufhängung und sind witterungsbeständig. Die Länge für Wettkampfseile beginnt ab etwa 8 m. Für das Training, wenn Sie einfach den Platz nicht haben, tun es auch 2- bis 6 m-Seile. Evtl. ist eine Zusatzlänge von ca. plus 2 m zu berücksichtigen fürs Festbinden. Der Durchmesser sollte mind. 33 mm betragen – ideal sind 38 mm.“
Kraftsportspezialist und Sportfachhändler Mark Dorninger (www.spodo.at) bei meinen Recherchen für diesen Beitrag.
Training am Tau: Eine Frage der Kraft und des gesunden Hausverstandes
Grundsätzlich nähert man sich dem Tau als potentem Trainingsmittel im Krafttraining mit gebührendem Respekt. Reicht die Kraft noch nicht, um nur mithilfe der Hände hochzuklettern, beginnen Sie erst mit einfachem Hängen, dann kommen ein- oder beidarmige Zugübungen aus dem Sitzen oder in Schräglage mit den Beinen am Boden. Klimmzüge am Tau folgen, hernach die ersten „Schritte“ mit Übergreifen; es reicht ja, zunächst 1 – 2 m zu bewältigen und langsam seinen „Wirkungskreis“ zu erweitern. Ein in meinen Augen hervorragendes Trainingsvideo zur korrekt aufbauenden Trainingsmethodik gibt es auf YouTube vom Kraftsportexperten Domink Feischl (http://www.youtube.com/watch?v=Jc6N5ei1amY). Matten oder wenigstens Boulder-Crashpads am Boden aufzulegen, ist hoffentlich mit Ihrem Stolz als harter Mann oder harte Frau vereinbar. Sportkletterern ja geläufig, kann Magnesia bzw. Chalk für die Hände von Vorteil sein – ausprobieren! Bei mir und auch meinem Trainingspartner und Seilkletterspezialisten Lukas Fäßler (mehr auch zu Lukas in Teil 2) ist ein kräftiger Griff zum „weißen Grippulver“ ein MUST HAVE. Weiteres Wissenswertes zum Seilklettern folgt somit in Teil 2. Inzwischen viel Spaß mit den ersten Schritten bzw. besser Klettermetern am Hanf, das stark (und stärker) macht!
Ihr Jürgen Reis mit Nikolai Janatsch
Sehenswert: „Natural Bodybuilder meets Climber“ – Der Film zur Kletterkolumne