Oft ignoriert: Wissenschaftliche Erkenntnisse im Sport

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Marina Lewun berichtet über die Problematik, dass neue wissenschaftliche Forschungsergebnisse in der sportlichen Praxis oftmals zu spät oder gar nicht umgesetzt werden.

An meiner Heimatuniversität in Frankfurt/Main durfte ich meine Magisterarbeit unter der Aufsicht von Professor Dr. Schmidtbleicher, der in der Welt der Trainingswissenschaft sehr angesehen ist, schreiben. Seine anspruchsvolle Herangehensweise und sein kritischer Blick auf meine Darstellungen und Erkenntnisse haben mich manchmal zum Verzweifeln gebracht. Aber die Mühe hat sich gelohnt und ich bin sehr stolz,  den Kommentar „Ihre Arbeit hat mir gefallen“ von ihm bekommen zu haben.

 

Die praktische Anwendung fehlt

In seiner universitären Laufbahn hat Prof. Dr. Schmidtbleicher schon sehr viele Beweise für die Verbesserung von Trainingsmethoden geliefert, die jedoch nach wie vor in der Praxis selten angewendet werden. Zum Beispiel hat er bereits 1979 seine Promotion zum Thema „Maximalkraft und Bewegungsschnelligkeit“ verfasst. Dieses Thema hat in zahlreichen Sportarten eine enorme Bedeutung. Allerdings wurden bisher noch kaum Erkenntnisse aus seinen Forschungen angewandt. Das Krafttraining allgemein gelangte erst in den 60er Jahren in den Fokus der Wissenschaft. Es entwickelte sich allerdings sehr rasant – zum einen durch die ständige Konkurrenz zwischen dem Osten und Westen, zum anderen durch die investierten Gelder.

Die Forschungsbeiträge deutscher Sportwissenschaftler zur Trainingssteuerung sind weltweit sehr angesehen. Das Internationale Olympische Komitee greift ständig auf das deutsche Wissen zurück. Der Mittlere Osten möchte mit deutschen Sportwissenschaftlern den Anschluss an die Weltspitze schaffen. Weniger anerkannt sind neue Beiträge und Methoden allerdings im eigenen Land. Obwohl die Kadertrainer dem neuen Wissen gegenüber offen sind und sich selbst in regelmäßigen Abständen darüber informieren, sind sie bei der tatsächlichen Umsetzung oder bei der Einführung in die eigenen Reihen sehr kritisch und zurückhaltend. In erster Linie wollen sie die vorhandenen sportlichen Erfolge nicht riskieren. Es ist immer spannend zu sehen, welcher Athlet tatsächlich auf dem Treppchen steht, allerdings sollte man die leistungsdeterminierenden Komponenten, die eine sportliche Höchstleistung ausmachen, nicht dem Zufall überlassen. Denn diese sind durchaus berechenbar und trainierbar.

 

Auf die Rehabilitation übertragbar

Die Erkenntnisse aus dem Spitzensport sind übrigens sehr gut auf die Rehabilitation übertragbar. Aus dem Leistungssport weiß man, dass Schnellkraftsportarten, wie z.B. beim Sprint, dass die Athleten über sehr hohe Kraftwerte bei der Antriebsmuskulatur verfügen. Die Rumpfmuskulatur ist dagegen nur schwach stabilisiert. Eine optimale Impulsübertragung auf den Boden kann allerdings nur dann erfolgen, wenn der Rumpf im Optimum kräftig ist. Den Rumpf muss man aber im Vergleich zu den unteren Extremitäten anders trainieren, da die Faserzusammensetzung der Muskulatur anders ist. Die Rückenmuskeln sind eher tonisch und ausdauernd, so dass die Anwendung von Schnellkraftmethoden nicht sinnvoll wäre. Das Prinzip lässt sich in die Therapie von Patienten mit Rückenproblemen  integrieren. Diese Methode wird jedoch in der Praxis selten angewendet. Bei einer abgeschwächten Muskulatur lassen sich nach den ersten Wochen immer positive Ergebnis feststellen, unabhängig davon, mit welchen Trainingsmethoden trainiert wurde. Die Leistung des Patienten verbessert sich scheinbar, was aber fatale Folgen haben kann. So glaubt der Trainierende, einer Verbesserung entgegenzuarbeiten, doch sind die Muskelfasern im Rücken im Vergleich zu den Extremitäten anders gebaut und werden durch das Training nicht wirklich angesprochen. Die Patienten bekommen zu einem späteren Zeitpunkt in der Regel Probleme mit anderen Körperteilen oder im Rücken selbst.

In der Sportwissenschaft ist seit über 10 Jahren bekannt, dass 10 bis 12 Tage vor den Wettkämpfen eine Pause im Krafttraining den Athleten auf sein Optimum bringt, so dass er die erarbeiteten Kraftressourcen optimal ausnutzen kann. Die deutschen Spitzensportler beachten diese Regel aber kaum, so dass sie sich erst auf der Heimreise in ihrer Höchstform befinden. Für den Transfer in die Reha Praxis gilt, dass der Trainingsreiz beim Patienten nicht häufiger als 1 bis 2 -mal pro Woche erfolgen sollte. Des Weiteren sollte man neben der Optimierung des Kraftniveaus auch eine Verbesserung der koordinativen Fähigkeiten fokussieren, sowie an der intra- und intermuskulären Koordination arbeiten. Nur auf diese Weise kann die vorhandene Kraft eingesetzt werden.

Warum herrscht aber so eine Paradoxie zwischen Wissenschaft und Praxis? Seitens der Praxis sind es die Wahrung der eigenen Komfortzone, die Furcht vor Innovationen, die Angst vor neuen Experimenten, die Angst vor Niederlagen, die  gegen den Einsatz neuer Methoden sprechen.

 

Marina Lewun

 

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