VO2max – Wie hoch ist ihre Aussagekraft wirklich?

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VO2max: Für viele Sportmediziner und Trainer gilt die maximale Sauerstoffaufnahme als ein wichtiger Parameter. Manfred Günther untersucht, wie relevant die VO2max für die Beurteilung der Leistungsfähigkeit tatsächlich ist.

Was bedeutet VO2max?

Seit vielen Jahrzehnten nutzt die Sportwissenschaft den physiologisch messbaren Parameter der maximalen Sauerstoffaufnahmekapazität (VO2max) zu unterschiedlichsten Zwecken. Per Definition wird nach dem Peak der höchstmöglichen Sauerstoffaufnahme eines Organismus während maximaler körperlicher Belastung gesucht. Neben den wichtigen Informationen der individuellen anaeroben Schwelle (IAAS), der Pulsbereichseinteilung und der regenerativen Fähigkeiten ist der Messzeitpunkt der maximalen Sauerstoffaufnahme ein „Kernwert“ der körperlichen Belastungsdiagnostik.

Grundsätzlich ist bei der Begriffsklärung wichtig zu wissen, dass es sich bei der VO2max um einen individuellen Parameter handelt. Er ist aufgrund unterschiedlichster Voraussetzungen und der gesundheitlichen Geschichte eines Menschen stets einzigartig. Ziel dieses Artikels ist es, ein konkreteres Bewusstsein für die Wichtigkeit der VO2max, aber auch für die Risiken zu schaffen. Also wie man mit diesem Analysewert am besten umgeht, wofür er relevant ist und wofür eben auch nicht.

Wie misst man die VO2max?

Eine durch Faustformeln ermittelte maximale Sauerstoffaufnahmekapazität wird immer häufiger im Gesundheits- und Fitnessmarkt angeboten. Allerdings kann sie aber kein individuell korrektes Ergebnis ergeben. Tatsächlich ist die einzige Möglichkeit, die VO2max seriös zu bestimmen, eine sogenannte Spiroergometrie (Atemgasanalyse unter Belastung). Unter der Voraussetzung, dass der Proband dabei auch tatsächlich an sein persönliches Belastungslimit kommt. Nur auf diese Art und Weise kann man die Verläufe der Atemgase live verfolgen, analysieren und interpretieren. Es ist wichtig zu wissen, dass man ausschließlich durch eine Messung mit einer Maske, in einem abgeschlossenen Atemraum, die VO2max wissenschaftlich korrekt ermitteln kann.

Auch über die Messung der Laktatwerte kann man die VO2max nicht ausreichend gut bestimmen. Hier entnimmt und misst man zwar ein Stoffwechselendprodukt, das indirekt über die O2-Versorgung informiert, aber eben nicht direkt. Trotzdem kommt es immer wieder vor, dass Trainierende leider mit diesen Halbwahrheiten „abgefertigt“ werden. Folglich stehen dann das Training und auch schon die Planung des Trainings auf einer suboptimalen Basis.

Wie wichtig ist die VO2max zur Beurteilung der Leistungsfähigkeit?

Um darauf eine passende und differenzierte Antwort geben zu können, sollte man genauer betrachten, welchen Zweck eine Analyse der persönlichen Belastbarkeit hat und zu welcher Personengruppe der Proband gehört. Und ist es tatsächlich sinnvoll und notwendig, jeden Probanden an seine persönliche Leistungsgrenze zu bringen? Sieht man sich die Gruppe der ambitionierten Amateur- und Leistungssportler mit professionellem Hintergrund an, dann sollte die Messung auf jeden Fall Teil einer Leistungsanalyse sein. Vor allem im Vorher-nachher-Vergleich ist dieser Wert eine konstante Komponente, die man valide und reliabel vergleichen kann.

Zudem können über diesen Wert auch die Fähigkeiten des pulmonalen Stoffwechsels sehr gut interpretiert und dargestellt werden. Insbesondere für die Trainingsplanung und Trainingsstruktur bietet die Sportwissenschaft hiermit einen entscheidenden Parameter, um die individuelle Entwicklung exakt zu screenen und weitere Rückschlüsse für den anstehenden Trainingsprozess herauszufiltern. Aufgrund der hervorragenden Möglichkeit, eine Vergleichbarkeit von zwei Messzeitpunkten herzustellen und dadurch den Entwicklungsprozess der physiologischen Fähigkeiten ableiten zu können, wird die VO2max jedoch leider immer öfter dafür benutzt, Trainingsintensitäten festzulegen.

Was ist ein guter VO2max-Wert?

Wie wird der VO2max-Wert richtig interpretiert?

Das prozentuale „Runterrechnen“ der VO2max, um beispielsweise Pulsbereiche für das Training zu ermitteln, wäre zwar ein einfacher Weg, an die individuellen Pulsbereiche zu kommen, lässt aber den individuellen Stoffwechselverlauf des Sportlers komplett außer Acht. Denn wenn es um die Festlegung dieser Bereiche geht, ist nicht nur der Peak entscheidend. Auch der Verlauf der Atemgase oder anderer Analyseparameter muss mit einbezogen werden.

Beispiel: Sportler A mit einer suboptimalen aeroben Kapazität, also einem überschaubaren Fettstoffwechsel, kann eine höhere VO2max generieren als Sportler B mit einem sehr guten Fettstoffwechsel. Die Folge aus der Beurteilung der Leistungsfähigkeit ausschließlich über die VO2max wäre in diesem Fall, dass man aufgrund der höheren maximalen Sauerstoffaufnahmefähigkeit Sportler A die besseren Voraussetzungen für eine Steigerung der körperlichen Performance unterstellen würde.

Tatsächlich ist es aber in dieser Situation wahrscheinlicher, dass Sportler A keine gute Fettstoffwechselgrundlage aufweist und sich möglicherweise im Übertraining befindet. Deswegen ist es bei der Betrachtung des Status quo äußerst wichtig, jeden Wert nur für das zu nutzen, was er aus wissenschaftlicher Sicht tatsächlich aussagen kann. „Planlose“ Interpretationen führen hier zu falschen Ergebnissen!

Unterschiede bei verschiedenen Zielgruppen

Bei Sporteinsteigern, Gesundheitssportlern und Patienten sollte die Messung der VO2max aus mehreren Blickwinkeln betrachtet werden. Aus gutem Grund fragen sich diese Personen häufig, ob sie sich bei einer Leistungsanalyse wirklich bis zur maximalen Erschöpfung belasten müssen. Oder ob es reicht, nach einer gefühlt hohen Belastung abzubrechen.

Für Patienten im orthopädischen oder internistischen Bereich, macht es aus gesundheitlicher und auch aus analytischer Sicht wenig Sinn, diese auszubelasten. Dem sind auch alle Stoffwechselstörungen und das metabolische Syndrom zuzuordnen. Effekt hiervon ist aber, dass man an die maximale Sauerstoffaufnahme nicht herankommt, dies aber kein Problem darstellt. Bei Menschen, die sich aufgrund präventiver oder gesundheitsorientierter Gründe kontinuierlich bewegen, ist die VO2max für die Trainingssteuerung tatsächlich eher sekundär.

Die zentrale Aufgabe der Trainingswissenschaft besteht darin, ein Gefühl für die richtige Dosierung des Trainings zu vermitteln. Sie ist dagegen nicht, eine maximale Belastung mehrfach künstlich zu erzeugen. Über die positive Verschiebung der IAAS kann man eine Darstellung der Entwicklung der körperlichen Fähigkeiten sehr gut darstellen, wenn der Trainingsprozess hauptsächlich durch aerobes Training gesteuert wird. Eine Optimierung des Fettstoffwechsels und der O2-Sättigung während der Bewegung ist für Patienten und Sporteinsteiger die viel entscheidendere Aussage im Hinblick auf ihre Gesundheit als das Wissen über ihre maximale Sauerstoffaufnahme.

Welche Bedeutung hat die VO2max?

Die maximale Sauerstoffaufnahme ist für gewisse Peergroups ein Wert von großer Wichtigkeit, unter der Bedingung von seriöser Analyse und Messung. Die VO2max ist als Einzelparameter aber bei Weitem nicht ausreichend, um eine professionelle Trainingsplanung erstellen zu können. Hier sollten viele verschiedene Parameter aus der Analytik miteinfließen. Vor allem bei der Arbeit mit Menschen, die mit gesundheitlichen Einschränkungen zu kämpfen haben, sind Analysen des körperlichen Status quo essenziell wichtig. Der Fokus bei der Interpretation der Messwerte sollte hierbei aber beispielsweise mehr auf der aeroben Kapazität liegen, um z. B. den Abtransport der Stoffwechselendprodukte zu beschleunigen oder die Verstoffwechslungsaktivität im Gewebe allgemein und systemisch zu optimieren.

Fazit

Vor Beginn eines Trainingsprozesses muss die Ausgangssituation objektiv beurteilt werden. Das sollte stets mit klarem Blick auf die Personengruppe und das Ziel der Einzelperson geschehen. Erst danach sollte der Fokus auf der Auswahl der richtigen und wichtigen Parameter für den jeweiligen Einzelfall liegen. Das kann nur durch eine Messung der individuellen Belastbarkeit und Stoffwechselsituation geschehen.

Autor und Sportexperte: Manfred Günther

Manfred Günther ist Diplom-Sportwissenschaftler und Sporttherapeut. Er ist Co-Founder und „Head of Sports Science“ bei DYNOSTICS, einem smarten System zur Leistungs- und Stoffwechselanalyse.

www.dynostics.com

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