Setzen Sie neue Trainingsreize im Krafttraining durch Variation! Z. B. mit dem Highlander Klimmzug, das ist die Anti-Latissimus-Trainingsplateau-Strategie mit dem Schock im Schottenrock. Knacken Sie die härtesten Trainingsfortschrittsbarrieren mit den Tipps vom ehemaligen Kletterprofi Jürgen Reis.
Ein (zusätzlicher) Grund, warum ich nicht viel von der klassischen Periodisierung halte (siehe dazu Artikel über meine „Nicht“-Periodiserung in den vorangegangenen trainingsworld.com Kolumnen), liegt in der damit postulierten Linearität der ansteigenden Trainingsbelastung. Moderne Ansätze sind heute viel abwechslungsreicher im Umgang mit den Trainingsparametern, System und Methode stecken aber nach wie vor dahinter. In kurzfristigem Wechsel können Volumen und Intensität rauf- oder runtergefahren werden, wichtig ist, dass der Körper sich in gewisser Weise eben nicht an ein Workoutregime gewöhnt, „einschläft“ und auf die Trainingsreize irgendwann gar nicht mehr reagiert.
Wichtig:Ausdauertraining für die Unterarme!
„Variatio delectat“ – Variation erfreut
Variieren – und zwar linear ansteigend wie auch schlagartig plötzlich – lassen sich die Trainingsinhalte, die Übungen und die klassischen Parameter Intensität, Reizdauer, Reizdichte (Wechsel zwischen Belastung und Pause), Gesamtvolumen, ferner Bewegungsgeschwindigkeit/Kontraktionsart.
Es ist absolut okay, z. B. mit der immer gleichen Übung die Trainingsintensität und das Volumen allmählich von Einheit zu Einheit oder von Zyklus zu Zyklus zu steigern. Vor allem im Anfänger- und mäßig Fortgeschrittenen Entwicklungsbereich hat diese Vorgehensweise immer noch eine gewisse Berechtigung. Aber ein Athlet im Höchstleistungsbereich muss definitiv mehr tun, um seinen Körper mit neuartigen Reizen zur Adaptation und Superkompensation herauszufordern.
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So knacken Sie selbst hartnäckigste Trainingsfortschritts-Barrieren
Geschwindigkeits- und Kraftbarrieren, also eine Stagnation in der Trainingsentwicklung, passieren Profi-Athleten oft paradoxerweise gerade eben weil sie so fortgeschritten sind. Das neuromuskuläre System arbeitet so effizient in den jahrelang erarbeiteten Bewegungsmustern, dass man diese nur sehr schwer aufbrechen kann. Will man aber im Grenzbereich schneller/stärker werden, muss man die alten durch neue Muster ersetzen. Dies macht man am besten durch Zusatzübungen, die der Zielbewegung ähnlich und verwandt, aber doch ein wenig verschieden sind. Das neuromuskuläre System „erkennt“ zwar die Verwandtschaft, muss sich zugleich aber partiell mit einem ungewohnten neuen Reiz auseinandersetzen. Diese Neuerung bringt Verbesserung, selbst bei Könnern!
Am Beispiel Klimmzug – einer Kernübung des Klettersports und des Krafttrainings – illustriere ich gleich plastisch oben genannte graue Theorie. Wer ewig auf dieselbe Art Klimmzüge macht, wird irgendwann auf eine Kraftbarriere stoßen. Spätestens hier, besser noch, bevor das passiert, ist es Zeit für Veränderung.
1. Ändern Sie die Griffhaltung: Parallel (neutral), Ober- oder Untergriff, kombinierte Griffe, nur mit 4, 3, 2, 1 Fingern etc.
2. Ändern Sie die Griffweite: extrem weit, schulterbreit, eng
3. Ändern Sie die Griffhöhe: eine Hand höher, andere tiefer etc.
4. Spielen Sie mit der Ausrichtung: Ziehen Sie den Körper mehr zur linken, dann mehr zur rechten Hand, beschreiben Sie einen Kreis mit dem Körper etc.
5. Verwenden Sie diverse Zusatzgeräte Lapis-Bälle, Balken, Tau, etc. (siehe Artikelreihe Trainingsgeräte bzw. Kolumnen #25 bis 27)
6. Legen Sie statische Zwischenstopps ein (s. Artikel Frenchies unter Kolumne #6)
7. Machen Sie Speed-Klimmzüge zur Erhöhung der Explosivkraft: So schnell wie möglich 3 Wiederholungen mit einem Gewicht von ca. 55 % des 1 RM (1 Wiederholungs-Maximum); evtl. mit Lösen des Griffes, in die Hände klatschen, wiederfassen …
8. Erhöhen Sie das Volumen in ungekannte Dimensionen
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Wenn Sie alle Variationsmöglichkeiten miteinander kombinieren, kommen Sie ein Leben lang damit aus und es wird nie langweilig! Versuchen Sie immer wieder neue (Wiederholungs-, Intensitäts-, Volumen-)Rekorde aufzustellen und zu dokumentieren, denn ab und an kehren Sie zu alten Übungen wieder zurück und sehen, ob Sie sich verbessert haben.
Natürlich können Sie auch die Intensität in lichte Höhen treiben, und zwar hiermit:
Der 5-fach-Highlander-Klimmzug
Dieser Klimmzug der Marke Höchstintensität ist nichts für schwache Nerven (deshalb „Highlander“ – Sie werden sehen: Es kann, bzw. es wird nur einen geben!), aber auch nichts für schwache Sehnen und Muskeln, anders gesagt: Das ist ausschließlich Fortgeschrittenen-Stoff!
Es handelt sich um einen rein negativen Klimmzug mit maximalem Zusatzgewicht. Die „einfache“, also mit einmaliger Ausführung vollführte, Variante beschrieb ich auch in meinem 5. Buch Power-Quest 2. Doch in dieser Kolumne geht’s nun in den nächsten Level. Genauer gesagt wird die Sache um den „Faktor 5“ extremer:
Nach ausgiebiger Erwärmung starten Sie in der obersten Position, wobei ich empfehle, für besseren Gelenksschutz die Ellbogen nicht ganz anzuwinkeln, und lassen den Körper – l-a-a-a-ngsam und kontrolliert – nach unten ab, 5 Sätze à jeweils ca. 8 Sekunden, Satzpause bis zur vollständigen (subjektiv geführten) Erholung – erfahrungsgemäß ca. 3-5 Minuten. Das Zusatzgewicht ist entsprechend zu wählen. Es liegt bei dieser (exzentrischen) Arbeitsweise der Muskulatur meist 10-20 % über dem, was Sie konzentrisch bewältigen können. Die Lösung: Entweder, ein Trainingspartner stellt sich huckepack als „Zusatzlast“ zur Verfügung und/oder Sie verwenden eine Gewichtsweste oder einen Gewichtsgürtel, wie auch in den Bildern dieser Kolumne abgebildet. Bei letzterer Variante (Gewichtsgürtel) müssen Sie etwas Vorsicht walten lassen, wenn Sie extrem hohe Zusatzlasten verwenden: Die Wirbelsäule toleriert hohe Zugbelastungen weniger als Druck. Also sollten Sie den Gewichtsgürtel eher über den Hüftknochen platzieren, gut stabilisieren und Scherkräfte vermeiden.
Schauen Sie sich noch einmal das Bild ganz oben an! So verbrachte ich einen der Weihnachtstage im Winter 2010. Topturner Horst David (damals 75 Jahre alt!), ist einer der erfolgreichsten Senioren-Kunstturner Europas und lieferte mir Zusatzmotivation und Zusatzgewicht beim „Highlander“-Klimmzug am neutralen Rudergriff. Ich darf verraten, Horst wiegt 60 kg, ich trug dazu noch eine 16-kg Gewichtsweste. +76 kg Zusatzgewicht bei meinem Körpergewicht von ca. 56 kg macht insgesamt 132 kg (!) Gesamtlast.
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Wichtig ist, dass Sie diesen Presslufthammer von Trainingsmittel mit Bedacht und nur ab und zu einsetzen. Nach einer solchen Einheit ist mit Muskelkater, der an einigen zusätzlichen Ruhetagen gepflegt werden will, zu rechnen. Also hart trainieren UND smart – das ist der Königsweg!
Klar: Das „Andreas Jandorek-Kampfgewicht“ (seines Zeichens Kunstturntrainer und einer der stärksten Kraftdreikämpfer Österreichs) wurde auch meiner Zug-Rohkraft zu viel. Dennoch: Im Gegensatz zum Klimmzug in den Nacken (zweites Bild dieser Kolumne) ist die „Highlander-Variante“, selbst mit extremer Zusatzlast, normalerweise „human“ was die Verletzungsgefahr angeht. Voraussetzung ist jedoch ein gut trainierter „Fortgeschrittenen-Status“ des Athleten.
Viel Spaß bei diesen „Muskelfaser-Extrem-Attacken“ und erholen Sie sich gut von einem evtl. mehrtätigen Muskelkater. Ich spreche aus Erfahrung. Die gute Nachricht: Der nächste Klimmzug- und/oder Kletterrekord ist nach vollständiger Erholung vermutlich auf Ihrer Seite!
Ihr Jürgen Reis mit Nikolai Janatsch
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9 von 10 Kletterern machen die gleichen Fehler
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