Weltcupsieger und Top-Schwierigkeitskletterer Andreas Bindhammer tut es, Mina Markovic tut es und Magnus Midtbø tut es. Die Rede ist vom Gegenspielertraining für die Antagonisten von Klettersportlern, das auch bei mir zum festen Bestandteil meines wöchentlichen Trainingsplanes gehört.
„Antagonistentraining mit Theraband & Co. ist das einzige Krafttraining, welches ich über den Klettersport hinaus betreibe. Warum? Meine Schultern begannen aufgrund muskulärer Dysbalancen zu schmerzen. Ich hätte bereits früher damit beginnen sollen. Normales GYM-Training hat mir übrigens mein Trainer verboten. Ich versuchte es. Doch es wirkte sich negativ auf meinen Hauptsport und insbesondere meine Klettertechnik aus.“ (Mina Markovic, Weltcupchampion Sportklettern (Lead) und #1 des IFSC-Worldrankings 2011 in Power-Quest.cc Podcast #354)
Zugegeben, Gegenspielertraining ist nicht so glamourös wie 6 einarmige Klimmzüge an einem Finger oder ein einarmiger Klimmzug mit 20 kg Zusatzgewicht, womit Magnus Midtbø (Bild und Zitat des Top-Mannes in Teil 1 dieser Serie) derzeit in diversen Clips auf Youtube Furore macht – aber es ist in meinen Augen absolut unverzichtbar, wenn man leistungsstark und gesund bleiben möchte.
In Teil 1 dieser Kolumne ging ich auf einige primäre Hintergründe des Gegenspielertrainings ein und nannte Ihnen Übungen, welche Sie im Fitness-Studio im Rahmen eines „Standard-Krafttraining-Workouts“ mit Hanteln absolvieren können.
Das ist aber, nun, sagen wir, die Roh-Fassung des Gegenspielertrainings. Magnus Midtbo schwört darauf, Mina Markovic dagegen gehört, wie Sie eben gelesen haben, sogar zu denen, die nichts von Hanteltraining für Kletterer halten, und es gibt genügend Profis, die es ähnlich sehen.
Professionelle Hingucker: Bewegungsanalyse, um Schwachstellen zu finden
Als Kletter-Profi arbeite ich regelmäßig mit hochkarätigen Spezialisten auf dem Gebiet der sportlichen Bewegung zusammen: mit Ärzten, Trainern, Physiotherapeuten etc. Gegenspielertraining ist mehr als nur Hanteln zu schwingen. Oft muss man viel genauer hinsehen, vor allem, wenn der Mensch in Bewegung ist, wo eventuell seine individuellen Schwachstellen sitzen könnten. Diese „missing links“ in der Bewegungs-Kette sind meist nur von Experten mit großer Erfahrung und geübtem Blick von außen zu identifizieren, denn selbst bemerkt man die meist gar nicht. Gezielte Verbesserung verlangt hier nach viel raffinierteren Methoden als es mit den üblichen Hantelübungen möglich wäre. Kraft-, Mobilisations- und koordinative Übungen beginnen sich an der Stelle zu überschneiden. Davon handelt dieser 2. Teil.
Fingerstrecker
Dass die Fingerbeugemuskulatur, die zum allergrößten Teil an der Innenseite des Unterarms sitzt, beim Klettern mehr als genug Trainingsreizen ausgesetzt ist, liegt – im wahrsten Sinn des Wortes – auf der Hand. Die Gegenseite, die Fingerstrecker, die die Hand wieder öffnet kommt aber häufig zu kurz. Erinnern Sie sich bitte an den ersten Teil: Wir brauchen muskuläre Ausgewogenheit!
Die Fingerstrecker gut zu fordern, braucht ein wenig Fantasie. Eine gute Methode liegt darin, einen Eimer mit Sand, (natürlich ungekochten) Linsen oder Futtermais zu füllen, die Hand hineinzustecken und gegen den formbaren Widerstand zu öffnen. Ein wenig aufpassen: gerade beim Futtermais entsteht mit der Zeit ein unangenehmer Feinstaub, daher öfters mal den Eimer auswaschen und den Inhalt erneuern. Alternativ kann man die halb geöffnete Hand, wie auf der Fotografie ersichtlich, auch mit einem Theraband oder anderen Gummibändern umwickeln und ca. 15-mal zu 3-4 Sätzen und 1 Min. Satzpause langsam gegen den Widerstand öffnen.
Rotatorenmanschette
Auch die Schultergelenke werden beim Klettern ordentlich gefordert. Sie sind mit ihrer winzigen Gelenkspfanne muskel- (und nicht knochen-)gesichert. Das ermöglicht einen enormen Bewegungsspielraum, macht das Gelenk aber auch empfindlich.
Die vielen kleineren Muskeln, die das Gelenk dort halten, wo es sein soll, werden unter dem Namen Rotatorenmanschette zusammengefasst. Wie der Name schon sagt, können sie mit Rotationsbewegungen und eher geringem Widerstand gezielt trainiert werden.
Kleine Hanteln, kleine Gewichtsscheiben, Kabelzüge und Therabänder sind ideal für Ein- und Auswärtsrotationen (des Oberarms) geeignet, die im Stehen oder Liegen ausgeführt werden. Der Unterarm sollte im rechten Winkel gehalten werden, um die Rotatoren besser zu isolieren.
Der untere und der obere „Schimmwesten-Festzurrer“ sind zwei meiner Lieblingsübungen zur Stärkung der Schulterrotatoren: Die Ausführung ist, wie auf den Bildern ersichtlich, recht simpel. Dennoch, wie soeben erwähnt, zu beachten: Die Stellung der Unterarme bzw. der rechte Winkel im Ellenbogengelenk. 15 saubere Wiederholungen zu 3-4 Sätzen mit ca. 1 Min. Satzpause pro Übung sind auch hier ausreichend.
Mit Theraband, Gymnastikball und Besenstiel zur perfekten Rückenschule!
Wie Sie soeben auf dieser Bildfolge richtig erkannten: Wir bewegen uns vom puren Krafttraining weg zum komplexen sog. propriozeptiven Training, wofür Sie auch anderes Trainingsmaterial benötigen. Sollte Ihr Fitness-Studio (welches Sie evtl. für die Hantelübungen in Teil 1 dieser Kolumne beschriebenen Übungen besuchen) nicht über das nun erforderliche Equipment verfügen: Ihr eigenes „Home-GYM“ für die in diesem, und dem abschließenden dritten Teil beschriebenen Übungen bedarf nur minimalem Budgeteinsatz. Um Sie auch gleich für den finalen Kolumnenartikel „ready to start“ zu machen: Hier die Einkaufsliste.
1. Ein Besenstiel oder ca. 1 Meter langer Stock (leichte Stange, etc.) für die in Kürze in Kolumne 3 erklärten und bebilderten Überkopf-Kniebeugen
2. Einen Gymnastik- bzw. Sitzball für die ebenfalls in Teil drei auf Sie wartendenden Rücken-Stabilisationsübungen.
3. Ein Thera-Band, welches Ihnen künftig auch im Oberkörper und Schulterbereich die aufrechte, gesunde Rückenhaltung zurück gibt. Eine meiner absoluten Geheimwaffen, wenn es darum geht, die durch den einseitig betriebenen Klettersport typische nach vorne tendierende Schulterhaltung wieder in die „Normalposition“ zu bringen.
Darf ich davon ausgehen, Sie besitzen bereits einen alten Besenstiehl oder Stock ;)? Gute Nachrichten fürs Materialbudget: Die Produkte Punkt 2 und 3 kosten, selbst wenn es sich um Top-Markenprodukte handelt (was ich speziell beim Ball empfehle – platzsicheres Modell wählen!), im Sportfachhandel derzeit ca. 30 Euro. Ich denke Sie stimmen mir zu: Ihre Gesundheit ist den Gegenwert von zwei Kinokarten oder einem Restaurantessens wohl wert.
Somit wünsche ich ausnahmsweise, neben weiterhin viel Spaß beim Klettern, auch FUN FUN FUN beim „Fitness-Shopping“ und bereits in der nächsten Kolumne kommen auch Stock und Ball zum Zug!
Ihr Jürgen Reis (mit Nikolai Janatsch)
Fotos: Mag. Sebastian Nagel und Archiv Jürgen Reis(www.juergenreis.com)