Was ist Herzfrequenzvariabilität?

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Die Sportwissenschaft sucht seit jeher Möglichkeiten, mit denen die Effekte Ihres Trainings bewertet werden können und die helfen, die Frage zu beantworten, was ein Sportler wann, in welcher Intensität und wie oft durchführen soll. Mit der Herzfrequenzvariabilität soll nun die Möglichkeit bestehen, die Effekte eines Trainings bewerten zu können und zudem die Intensität Ihrer Belastung vorgeben zu können. Wir stellen Ihnen in diesem Beitrag die Grundlagen, die Möglichkeiten und die Aussagekraft der Variabilität Ihres Herzschlags vor.

Ein altes chinesisches Sprichwort besagt, dass ein Herz, das so regelmäßig schlägt wie das Klopfen des Spechts oder das Tröpfeln des Regens auf das Dach, innerhalb von 4 Tagen stirbt. Und tatsächlich ist eins der Einsatzgebiete der Herzfrequenzvariabilität das Beurteilen der Überlebenschancen von Patienten auf Intensivstationen, die aufgrund von schweren Verletzungen der Gefahr des Multiplen Organversagens ausgesetzt sind. Allerdings gewinnt die Herzfrequenzvariabilität auch zunehmend in der Sportmedizin und der Trainingswissenschaft an Bedeutung, wenn es um das Beurteilen der Leistungsfähigkeit, des Stresslevels und des Trainingszustands geht.

 

Ihr variabler Herzschlag

Die Herzfrequenzvariabilität bedeutet, dass Ihr Herz nicht regelmäßig schlägt, sondern dass die Abstände zwischen den einzelnen Schlägen variabel sind. Der Rhythmus des Herzens verändert sich also fortwährend und ist von einer Vielzahl von Faktoren, die endogenen oder exogenen Einfl ussgrößen unterliegen, abhängig. Ursache für diese Anpassungsfähigkeit ist das Zusammenspiel von hemmenden und aktivierenden Anteilen des Nervensystems. Das sympathische Nervensystem sendet niederfrequente Impulse, auf die Ihr Körper mit einer Zunahme der Herzfrequenz reagiert. Der Parasympathikus hingegen wirkt mit hochfrequenten Nervenimpulsen hemmend auf Ihren Organismus, so dass sich Ihre Herzfrequenz schnell absenkt.

Grundlegend besteht Ihr Herz aus einer rechten und einer linken Kammer mit den dazugehörigen Vorhöfen, in denen sich das Blut sammelt bevor es in die Herzkammer fl eßt. Während die rechte Herzkammer das sauerstoffarme Blut durch den Lungenkreislauf treibt, versorgt die linke Herzkammer den Körper mit dem sauerstoffangereicherten Blut aus der Lunge. Ihr Herz reagiert durchgängig auf Signale des Organismus und der Umgebung, indem sich die Schlagdauer oder die Schlagfrequenz ändern.

 

Unrhytmisches Schlagen ist von Vorteil

Die zeitliche Abfolge Ihrer Herzschläge weist verschiedene Abstände auf. Diese Variabilität ist ein Hinweis auf die Anpassungsfähigkeit des menschlichen Organismus an die verschiedenen Einfl ussgrößen. Dabei reagiert Ihr Herz fortwährend auf die sich verändernden äußeren Anforderungen wie z. B. steigende körperliche Belastungen oder psychischer Stress. Auch Signale aus dem Inneren des Körpers führen zu Reaktionen, bei denen sich Variationen in den aufeinanderfolgenden zeitlichen Abständen der Herzschläge ergeben. Diese Herzfrequenzvariabilität (HRV) verändert sich bei jedem Menschen fortwährend. Im entspannten Zustand und wenn Ihr Körper z. B. vollständig erholt ist, schlägt Ihr Herz variabler. Wenn Sie hingegen gestresst sind, beispielsweise vor einem Wettkampf oder einer Prüfung, schlägt Ihr Herz gleichmäßiger. In Bezug auf die körperliche Leistungsfähigkeit zeigte sich in Studien, dass bei verbesserter Fitness die Herzfrequenzvariabilität zunimmt.

 

Lassen sich Trainingszonen mithilfe der HRV bestimmen?

Die Variabilität der Herzschläge ist in Ruhe bei einem gesunden Menschen am ausgeprägtesten. Mit Beginn der körperlichen Belastung wird der Abstand zwischen den einzelnen Herzschlägen jedoch regelmäßiger. Wenn die Belastung weiter gesteigert wird, verringert sich die HRV immer weiter, bis bei sehr hohen Belastungen das Herz nicht nur schneller sondern eben auch gleichmäßiger schlägt. Die Zeitspanne zwischen den einzelnen Schlägen variiert nicht mehr so stark bis es nahezu gleichmäßig schlägt. Diese Veränderungen sollen die Grundlage für die Trainingssteuerung bilden. Moderne Herzfrequenzmessgeräte ermitteln aus diesen Veränderungen im Rhythmus des Herzschlags Zielzonen für das Training. Allerdings zeigt sich in Untersuchungen, dass diese Versuche zur Trainingssteuerung doch eher begrenzt sind, da sich insbesondere bei hohen Intensitäten die per HRV ermittelten Trainingsbereiche stark von leistungsdiagnostisch ermittelten Werten unterscheiden.(1)

 

Kann Ihnen die „Own Zone“ helfen?

Die Pulsmessgeräte eines fi nnischen Herstellers erfassen mithilfe eines Empfängers am Arm und eines Brustgurts Ihre Herzfrequenzvariabilität. Über die Berechnung einer so genannten „Own Zone“ sollen die beschriebenen Effekte körperlicher Belastung auf die Herzfrequenzvariabilität gemessen werden. Der Hersteller gibt an, dass so individuelle Trainingsbereiche ermittelt werden können.

Die theoretische Grundlage dieser Trainingszonen ist das Abfallen der Herzfrequenzvariabilität unter Belastung und das Erreichen eines Plateaus bei ca. 50–55 % der VO2max. Die untere Grenze der „Own Zone Basic“ wird mit dem Beginn des Plateaus gleichgesetzt, während die obere Grenze durch das Addieren eines fi xen Werts von 30 Schlägen bestimmt wird. Darüber liegende Trainingsbereiche werden wiederum durch das Addieren fi xer Herzfrequenzwerte festgelegt. Nach Angaben des Herstellers ermöglicht diese Funktion das Bestimmen des Intensitätsbereichs für das aerobe Ausdauertraining. Allerdings wird nicht zwischen verschiedenen sportlichen Belastungen unterschieden. Dies wäre jedoch eine grundlegende Notwendigkeit, da verschiedene sportliche Belastungen, wie das Laufen oder Radfahren, zu unterschiedlichen Beanspruchungen führen und deshalb die Trainingsbereiche spezifi scher festgelegt werden müssen.

 

Der Nutzen bleibt unklar!

Ob sich mithilfe der Herzfrequenzvariabilität der Energiestoffwechsel in der Arbeitsmuskulatur bestimmen lässt, wurde bislang in Studien nicht bestätigt.(1) Stattdessen zeigt sich in Untersuchungen, dass das Bestimmen Ihrer Trainingsbereiche mithilfe der HRV zu sehr großen Variationen führt, die sich nicht mit einer wechselnden Tagesform erklären lassen. Zum Steuern Ihres Trainings ist die Technik der HRVBestimmung derzeit viel zu ungenau. Ein Laktatstufentest oder eine Spiroergometrie weisen demgegenüber in vergleichenden Studien die größte Reproduzierbarkeit auf wenn es darum geht, Trainingsbereiche zu bestimmen und mit den Abläufen des Energiestoffwechsels in Verbindung zu bringen.

Gleichwohl kann das Bestimmen der Herzfrequenzvariabilität für Sporteinsteiger ein kostengünstiges Mittel sein, um die Wirkung des aeroben Trainings zu verfolgen, denn qualitativ horchwertige leistungsdiagnostische Untersuchungen sind mit hohen Kosten um die 150 € verbunden. Wenn auch das Bestimmen aerober Trainingsbereiche mittels der HRV fehleranfällig ist, so können doch gerade Einsteiger Überforderungen vermeiden und sich an solchen Vorgaben orientieren. Sie müssen sich dabei einfach der möglichen Einfl ussund Störgrößen bewusst sein und die relative Aussagekraft berücksichtigen. Einen Anhaltspunkt für Ihre Belastungen haben Sie aber, um zumindest Ihr aerobes Grundlagentraining steuern zu können.

 

Trainingstipps

– Ihre Herzfrequenzvariabilität unterliegt verschiedenen physiologischen und psychologischen Einfl ussgrößen. Sie sollten deshalb nicht verwundert sein, wenn Ihre Herzfrequenz von Tag zu Tag auch mal erhebliche Unterschiede aufweist.

– Das Bestimmen Ihrer Trainingsbereiche über die Variabilität der Herzschläge kann nur als Anhaltspunkt für das aerobe Grundlagentraining dienen.

– Das Stresslevel Ihres Körpers kann sich im Rhythmus Ihres Herzens widerspiegeln.

 

Dennis Sandig M.A.

 

Quellenangaben 

1. Deutsche Zeitschrift für Sportmedizin, 2007, Bd. 58 (3), S. 86–91

2. Sportwissenschaft, 1991, Bd. 21 (4), S. 413–428

3. Journal of strength and conditioning Research, 2007, Bd. 21 (4), S. 1108–1112

 

Fachsprache

Endogene Faktoren – Entstammen dem Körperinneren und können physischer oder psychischer Natur sein

Exogene Faktoren – Entstammen der Umwelt und können physische oder psychische Ursachen haben

Parasympathikus – ist ein Teil des vegetativen Nervensystems, das auch als „Ruhenerv“ bezeichnet wird. Wirkt hemmend und senkt u. a. die Herzfrequenz.

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Über den Autor

Dennis Sandig

Dennis Sandig arbeitete als Sportwissenschaftler am Institut für Sportwissenschaften der Julius-Maximilians Universität in Würzburg. Aktuell ist er bei der Deutschen Triathlon Union als Wissenschaftskoordinator und Referent für Bildung zuständig, sowie für das umfassende Aus- und Fortbildungsprogramm für Coaches im Triathlon.

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