Lange Zeit galt das Krafttraining für Kinder als uneffektiv und sogar gesundheitsgefährdend. Neuere Studien betonen nun aber die positiven Auswirkungen eines Krafttrainings für Jugendliche. Woher kommt diese Divergenz und was stimmt denn nun?
Die ersten wissenschaftlichen Studien zu diesem Thema wurden zwischen den 1960 und 980 durchgeführt. Dabei hat man allerdings keine spektakulären Ergebnisse feststellen können, weswegen man annahm, dass Krafttraining für Kinder und pubertierende Jugendliche erst nach dem 18. Lebensjahr zweckmäßig sei. Die Wissenschaft nahm an, dass bis dahin noch nicht genug Testosteron – welche für den Kraftaufbau zuständig ist – im Körper vorhanden sei. Des Weiteren kam man zu der Erkenntnis, dass das Längenwachstum der Kinder und Jugendlichen gefährdet sei und dass der passive Bewegungsapparat, besonders im Bereich der Epiphysenfugen bedroht sei. Allerdings wurden in diesen ersten Studien schwere wissenschaftliche Fehler auf methodischer Ebene (z. B. zu geringer Trainingsumfang) gemacht.
Krafttraining im Jugendalter doch sinnvoll
Zahlreiche neuere Berichte begründen die Verletzungen, die Kindern beim Krafttraining passieren, anders als die alten Studien: Beim Krafttraining im Kinder- und Jugendbereich seien die unkontrollierten und somit unphysiologischen Hebetechniken und das schlecht ausgebildete Betreuungspersonal verantwortlich. Diese Erkenntnisse sagen dementsprechend aus, dass bei kontrolliert durchgeführten und altersspezifischen Bewegungen überhaupt kein Risiko vorhanden sei. Außerdem habe das Krafttraining keinen negativen Einfluss auf die biologischen Reifungsprozesse und es wurden tatsächlich signifikante Ergebnisse beim Kraftzuwachs von Kindern und Jugendlichen festgestellt.
Leider muss man auch sagen, dass sich, auch aufgrund der frühen falsch interpretierten wissenschaftlichen Studien, die Leistungsfähigkeit der deutschen Kinder von den Jahren 1975-2000 um 10 % verringert hat – das ist wirklich gravierend. Anlehnend an diese negative Entwicklung reagieren die Schulen allmählich und bauen in den Schulsport verstärkt Krafttrainingsübungen und sogar ganze Programme mit ein. Wenn dann der Sportunterricht an sich noch mehr Zeit im Stundenplan bekäme, wäre das ein wirklich großer Schritt nach vorn. Auch wenn ein positiver Trend in der kindlichen und jugendlichen Sportgestaltung zu verzeichnen ist, müssen noch einige bedeutsame Aspekte der Frage geklärt werden, wie genau sich ein Krafttraining auf Kinder auswirkt.
Wie bereits erwähnt konnten also zahlreiche Studien signifikant feststellen, dass altersgerechtes Krafttraining zu bedeutenden Kraftzuwächsen führt. Abhängig vom Studiendesign – Belastungsintensität, Trainingszustand der Probanden, Trainingshäufigkeit und -dauer und die Auswertungsmethode – kam es zu Kraftsteigerungen von 13-40 %.
Kraftausdauer effektiver als Maximalkraft
Eine Studie von Faigenbaum et al. hat präpubertierende Mädchen und Jungen auf 2 unterschiedliche Weisen trainieren lassen: Eine Gruppe betrieb Maximalkrafttraining an Trainingsmaschinen und die andere Gruppe trainierte im Bereich der Kraftausdauer. In beiden Gruppen wurden die gleichen Übungen eingesetzt, nur die Wiederholungszahl unterschied sich. Die Maximalkraftgruppe musste das vorher definierte Gewicht mit der maximal vorgegebenen Anzahl an Wiederholungen anheben. Die Kraftausdauergruppe musste das etwas leichtere Gewicht 15-20 Wiederholungen anheben. Bei der Auswertung der Kraftfähigkeit gab es bei beiden Gruppen ein ähnliches Ergebnis: Gruppe 1 wies 21 % Verbesserung auf, Gruppe 2 23 %. Als jedoch die Kraftausdauer analysiert wurde, wies Gruppe 2 (Kraftausdauergruppe) eine sehr viel eindeutigere Verbesserung mit 42 % auf. Gruppe 1 schloss mit 32 % ab. Dieses Ergebnis weist darauf hin, dass ein Training für Kinder im Kraftausdauerbereich, d. h. wenig Gewicht mit mehr Wiederholungen, größere Kraftzuwächse erzielt, als das Maximalkrafttraining (mehr Gewicht mit weniger Wiederholungen). Bei Erwachsenen ist es genau andersherum.
Die gewonnenen Ergebnisse lassen vermuten, dass das Nerv-Muskel-System bei Kindern andere Anpassungsmechanismen auf Krafttrainingsreize zeigt, als dies im Erwachsenenalter der Fall ist. Die Entwicklungsverläufe der einzelnen Phasen, die an physiologischen Anpassungen gekoppelt sind (Präpubertät, Pubertät und Postpubertät), sind allerdings stark unterschiedlich. An dieser Stelle gibt es zwei Faktoren, die die Trainierbarkeit der Kraftfähigkeit lenken: Einmal sind es Regulationsmechanismen der Hormone und andererseits ist es das Verhältnis des aktuellen Kraftpotentials und des Körpergewichtes zueinander. Nur vor diesem Hintergrund kann man die Untersuchungsergebnisse den Entwicklungsphasen zugewiesen interpretieren und beurteilen. Kinder und Jugendliche können also sehr wohl Kraft kontrolliert aufbauen. Wie könnte ein konkretes Krafttraining für diese Altersgruppe nun aussehen?
Besonderheiten beim Krafttraining mit Kindern
Bevor tatsächlich mit einem Krafttraining begonnen wird, sollte man an dieser Stelle unterschiedliche Indikatoren beachten. Einer davon ist der Zeitpunkt, für den Beginn des Trainings. Laut mehreren Studien, aber auch aus gesellschaftlicher Verantwortung, sollten Kinder mit einem Krafttraining erst dann beginnen, wenn sie kognitiv, emotional und sozial dazu in der Lage sind. Bei einem altersgerechten Reifeprozess und Wachstum ist dies zwischen dem 7. und 8. Lebensjahr der Fall. Solange keine gesundheitlichen Einschränkungen vorhanden sind ist eine medizinische Voruntersuchung nicht zwingend notwendig. Eine ausgebildete Betreuungsperson sollte aber unbedingt bei jeder Trainingseinheit anwesend sein. Um mögliche Schäden und Verletzungen schon im Vorhinein zu verhindern, sollte den Kindern nahegelegt werden, dass ein Krafttraining ohne eine Aufsichtsperson grundsätzlich verboten ist.
Genauso wie bei Erwachsenen (allerdings ist es bei Kindern von noch größerer Bedeutung) sollte die korrekte und physiologische Bewegungsausführung höchste Priorität haben. Dabei sollte man als erstes das Fitnesstraining komplett ohne Zusatzgewicht anfangen und die grundlegenden Bewegungstechniken erarbeiten und dem Kind auch die Zeit geben, sich diese körperlich zu verinnerlichen. Erst wenn die Ausführung zu 100 % korrekt ist, kann man mit leichten Zusatzgewichten anfangen und diese langsam steigern. Ebenso sollte man Anweisungen und Erklärungen der jeweiligen Altersstufe anpassen. Auf diesem Wege werden Fehlbelastungen und Verletzungen vermieden.
Wie genau sollte das Training umgesetzt werden?
Nun wissen wir, dass es wissenschaftlich belegt ist, dass Krafttraining für Jugendliche durchaus sinnvoll ist. Aber welche Krafttrainingsmethode eignet sich für die Kinder und Jugendliche am besten: Maschinen, Freihanteln oder das eigene Körpergewicht?
1. Krafttraining an Geräten
Dieser Trainingsform stand man sehr lange kritisch gegenüber, da man zahlreiche Verletzungen oder Fehlbelastungen vermutete. Allerdings trifft dies nur dann ein, wenn die Maschinen auf die Kinder nicht korrekt eingestellt sind. Mittlerweile sind jedoch besonders im Reha-Bereich zahlreiche Geräte mit besonders feinen Einstellungen vor allem im Bereich der Gelenkwinkel und der Lastendosierung zu finden. Einen klaren Vorteil hat das Training an Geräten in Hinblick auf die exakte Dosierung der Belastungsintensität und genaue Ansteuerung der gewünschten Kraftfähigkeit. Als klarer Nachteil sind die geringen koordinativen Anforderungen des Muskelzusammenspiels, die hohen Anschaffungskosten für die Geräte und die oft fehlende Bereitstellung qualifizierter Betreuer zu nennen.
2. Training mit Freihanteln
Dieses Training deckt den koordinativen Aspekt sehr gut ab. Dabei wird die intra- und intermuskuläre Koordination stark ausgebildet. Die Gelenkamplituden werden voll ausgenutzt und somit wird das Training mit Freihanteln hoch funktionell. Qualifizierte Betreuer sind allerdings weiterhin notwendig. Dabei muss man genau auf die Intensität der Übungen achten, da sich Anfänger leicht verletzen können. Für Fortgeschrittene und für Leistungssportler ist dieses Training allerdings sehr gut geeignet.
3. Training mit eigenem Körpergewicht
Das „Bodyweight Training“ ist nach wie vor eine tolle Sache. Dabei werden die koordinativen Trainingsaspekte sehr stark angesprochen und die Übungen sind hoch funktionell. Des Weiteren ist die Kostenstelle bei dieser Trainingsform sehr niedrig. Der Nachteil liegt allerdings bei der schwer kontrollierbaren Belastungsdosierung, die die Trainingsgestaltung bei steigendem Niveau erschwert.
Belastungsnormative bei Kindern und Jugendlichen
Bei Kindern und Jugendlichen kann in diesem Bereich nur eine Empfehlung ausgesprochen werden, da aufgrund des Wachstums keine exakt normierten Aussagen möglich sind. Im Erwachsenenbereich ist es allerdings anders, da man aufgrund der morphologisch-physiologischen Wirkungsweisen Rückschlüsse auf Trainingsintensität und -umfang ziehen kann.
Aufwärmen und Cool Down
Ähnlich wie bei Erwachsenen sollte sich ein Kind vor dem Krafttraining ca. 10 Minuten durch dynamische Übungen bei mittlerer bis hoher Intensität aufwärmen. Danach geht man an das spezifische Aufwärmen an den Geräten, in dem die Übungen wie im Hauptteil, aber nur mit einem geringen Gewicht, ausgeführt werden. Das Haupttraining sollte nicht länger als 30 Minuten dauern.
Belastungsumfang
Die meisten Studien, die mit Kindern durchgeführt wurden, dauerten 8-12 Wochen. In diesem Zeitraum hat man positive Ergebnisse erzielen können. Allerdings würden schon 4 Wochen regelmäßigen Trainings ausreichen, da physiologische Anpassungen bei Kindern primär auf der neuromuskulären Ebene stattfinden. Trainingseinheiten über diesen Zeitraum würden also ebenfalls zu Kraftsteigerungen führen. Allerdings wird der Kraftzuwachs um ein Drittel höher, wenn eine zweite Trainingseinheit pro Woche hinzukommt.
Wissenschaftliche Studien variieren sehr stark bei der Angabe der Wiederholungs- und Serienzahlen. Wie bereits weiter oben erwähnt, kann man allerdings sagen, dass ein Training mit hohen Wiederholungszahlen (15-20) und mit einem geringeren Gewicht bessere Ergebnisse und Anpassungen mit sich bringt, als eines mit wenig Wiederholungen (6-10) und mit einem hohen Gewicht. Wichtig: Jede große Muskelgruppe es Körpers sollte dabei beansprucht werden, um eine Dysbalance zu vermeiden.
Belastungsintensität
Für Anfänger sollte die Belastung über das subjektive Gefühl der Anstrengung reguliert werden. Erst mit viel Erfahrung oder im höheren Jugendalter kann man auf die Testung des 1RM zurückgreifen, wobei dies ein sehr gut geschultes Personal benötigt. Die Trainingsprogression sollte in erster Linie über die Steigerung der Wiederholungszahlen und erst in zweiter Linie über die Gewichtssteigerung reguliert werden.
Fazit
Festzuhalten bleibt also, dass Krafttraining entgegen aller Vorurteile durchaus auch für Kinder und Jugendliche sinnvoll sein kann. Dabei sollte allerdings auf einige Aspekte wie z.B. die korrekte Übungsausführung und die Betreuung durch professionelles Personal besonders geachtet werden. Wenn diese Voraussetzungen erfüllt sind sollte ein moderates Kräftigungsprogramm gerade auch im Schulunterricht durchaus wünschenswert.
Marina Lewun
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