Dehnen bei Leistungen mit Schnellkraftbezug

0

Neben der Frage nach der Verletzungsprohylaxe wird Dehnen auch im Zusammenhang mit der Vorbereitung von Wettkämpfen durchgeführt. Mit dem Aufwärmen wird dabei das Ziel verfolgt, die Muskulatur auf bestmögliche Leistungen vorzubereiten.

Das Aufwärmen vor einem Training oder vor einem Wettkampf ist nicht wegzudenken. Dabei ist ein wichtiges Ziel das Steigern der Leistungsfähigkeit der Muskeln. Dass Aufwärmen grundsätzlich positiv auf die Leistungsfähigkeit wirken kann, gilt als gesichert. Welche Inhalte sich hierfür anbieten ist jedoch keineswegs klar. Wir wollen Ihnen heute den Stellenwert des Dehnens im Sport zur Vorbereitung von Höchstleistungen vorstellen. Dabei sollen auch der Widerspruch der aktuellen Forschungslage und die Anwendungen in der Praxis diskutiert werden. Das statische Dehnen oder Stretching spielt in der Sportpraxis beim Aufwärmen nach wie vor eine sehr große Rolle. Gerade vor einem Wettkampf wird damit neben der möglichen Verletzungsprophylaxe das Vorbereiten der Muskulatur auf die Höchstleistung verbunden. Allerdings wird auch zunehmend die Meinung vertreten, dass Dehnen insbesondere die Schnellkraftleistung herabsetzen kann.

 

Bestmöglich vorbereiten

Die Fähigkeit, schnell Kraft zu entfalten und maximale Bewegungsgeschwindigkeiten zu erreichen, ist entscheidend für den Erfolg in einer Sportart. Das gilt für Würfe, Sprünge und Sprints in Ballsportarten, ebenso wie für die Leichtathletik und andere mehr. Eine einzelne Muskelkontraktion mit einer möglichst großen Beschleunigung kann über Sieg oder Niederlage entscheiden. Durch die vorbereitenden Übungen des Aufwärmtrainings erhöhen Sie Ihre Muskeltemperatur und auch Ihre Körperkerntemperatur. Das führt zu einer gesteigerten Leistungsfähigkeit im Vergleich zum Ruhezustand. Neben der reinen Muskelleistung werden durch das Aufwärmen zudem technische Fertigkeiten und koordinative Leistungen vorbereitet.

 

Hemmt Dehnen die Leistungsfähigkeit?

Den Auswirkungen des Dehnens auf die Leistungsfähigkeit wurde in einer Vielzahl von Untersuchungen nachgegangen. In einer ganzen Reihe von Untersuchungen zeigten sich negative Effekte in Bezug auf nachfolgende Kraftleistungen.(2) Eine starke Reduktion der Leistungsfähigkeit wurde auch bei schnellkräftigen reaktiven Leistungen wie bei Sprints und Sprüngen festgestellt. Diese Effekte werden mit 3 möglichen Ursachen erklärt:

– Psychophysische Prozesse wie die Desaktivierung

– Veränderungen auf neuromuskulärer Ebene

– Veränderungen der biomechanischen Eigenschaften des Muskels

 

Auf der biomechanischen Ebene wird davon ausgegangen, dass eine Veränderung des Kraft-Längen-Verhältnisses der Muskulatur Ursache für die Leistungsreduktion sein kann. Leistungseinbußen bei reaktiven Anforderungen, wie z. B. Tiefsprüngen, werden mit einer verringerten neuronalen Aktivität erklärt.(3) Messungen der elektrischen Muskelsignale (EMG) belegten diese Vermutung. Diese Effekte hielten auch 30 Minuten nach einer Dehnung noch an. Im Anschluss an eine Dehnung und bis zu eine halbe Stunde lang konnte eine um bis zu 20 % verringerte Erregbarkeit des Motoneuronenpools nachgewiesen werden. Weitere Studien belegen diese Effekte.(4) In anderen vergleichenden Studien zeigte sich der negative Effekt des statischen Dehnens ebenfalls, wobei dynamische, federnde Dehnübungen nicht zu Leistungseinbußen führten. Ähnliche Effekte wie ein statisches Dehnen scheinen auch Entspannungsübungen zu haben, sodass die psychische Wirkung des Dehnens ebenso als Erklärungsmuster dienen kann. Allerdings untersuchen Studien zu diesem Thema oftmals in Experimenten die direkte Wirkung einer Dehnung auf eine unmittelbar folgende Leistung. In der Sportpraxis dehnen sich aber beispielsweise Fußballer nur vor dem ersten Sprint und nicht mehr vor dem Sprint in der 89. Minute, sodass in der Interpretation immer etwas auf die Praxis geschaut werden muss. Die Vorbereitung eines leichtathletischen 100 m-Sprints ist eben nicht mit der Vorbereitung auf ein Fußballmatch vergleichbar.

 

Können die hemmenden Effekte aufgehoben werden?

Die Tatsache, dass die leistungsreduzierende Wirkung in einigen Studien auch noch 30 Minuten nach einem Dehnen auftrat, lässt vermuten, dass diese Ergebnisse für die Sportpraxis von großer Bedeutung sind. Allerdings stellt sich die Frage, ob nicht aktivierende Maßnahmen wie maximale Sprints oder kurze Krafteinsätze die negativen Effekte wieder aufheben können. In einer Studie wurde dieser Fragestellung nachgegangen und nach einer Dehnung ein Sprint oder Sprünge durchgeführt.(5) Auch in dieser Studie zeigte sich die negative Wirkung des Dehnens auf die Leistungsfähigkeit. Wurden nach dem Dehnen jedoch Sprints durchgeführt, konnten die negativen Effekte wieder aufgehoben werden. Eine andere Gruppe, die nach dem Dehnen Prellsprünge durchführte, konnte dies nicht erreichen und blieb unter dem Ausgangsniveau vor dem Dehnen. Möglicherweise könnte eine Erhöhung der Intensität im Vergleich zu der in der Studie jedoch ähnlich wirken wie die Sprints. Maximale statische Kontraktionen führten ebenso wenig wie die Sprünge zu einer Reduktion der negativen Effekte des Dehnens.

 

Unterscheiden sich Dehnmethoden in der Wirkung?

Es gibt Hinweise, dass Dehnen und statisches Stretching möglicherweise doch muskuläre Verletzungen reduzieren können. Dies wurde in einer Vielzahl von Übersichtsarbeiten angezweifelt. Die Annahme, dass Dehnen nicht vor Verletzungen schützen kann, entstammte jedoch teilweise einer nicht differenzierten Analyse der Verletzungen und kann daher hinterfragt werden. Auf der anderen Seite ist die Leistungsreduktion durch Dehnen bei schnellkräftigen Leistungen gesichert, wobei es Strategien zu geben scheint, die die möglichen Effekte relativieren könnten. Angesichts des oftmals ritualisierten Aufwärmtrainings stellt sich nun die Frage, inwiefern ein Dehnprogramm empfehlenswert ist oder nicht. Möglicherweise ist ein abrupter Wechsel der Inhalte auf der Sportlerseite gar nicht erwünscht, da das Dehnen gewohnheitsmäßig durchgeführt wird. Sie sollten für Ihr Training das Dehnen nicht grundsätzlich ablehnen und es ebenso wenig ohne Kompromisse weiterführen. Alternative Methoden und Techniken bieten hier Lösungsmöglichkeiten.

 

Wie sollte das Volumen des Dehnens gewählt werden?

Eine aktuelle Studie aus dem Jahr 2011 deutet erneut darauf hin, dass neben der Dehnmethode auch das Volumen eine entscheidende Größe bei der möglichen hemmenden Wirkung ist. In einer Studie einer Gruppe von tunesischen, kanadischen und australischen Forschern wurde der Einfluss von verschiedenen Variationen eines dynamischen Dehnens auf die Leistungsfähigkeit getestet. Dabei zeigte sich, dass 1–2 Sätze eines dynamisch-aktiven Dehnens die Leistungsfähigkeit in einem 20-m-Sprint unterstützen konnten, während 3 Sätze einen hemmenden Einfluss zu haben schienen.

 

Passen Sie das Aufwärmtraining an

Wenn Sie mit einem Aufwärmprogramm schnellkräftige Belastungen vorbereiten möchten und gleichzeitig ein Dehntraining durchführen wollen, empfiehlt es sich, aktivierende Trainingsinhalte einzubauen. Kurze und maximale Sprints sind eine gute Möglichkeit, den negativen Effekten des Dehntrainings entgegen zu wirken und zeitgleich die kommenden Belastungen bestmöglich vorzubereiten. Alternativ zum statischen Dehnen sollten Sie sicherheitshalber auf dynamisches Dehnen setzen, wenn es um das optimale Aufwärmen geht. Ergänzend können auch dynamische Übungen, wie Ausfallschritte und Sprünge eingebaut werden. So können Sie die Muskelaktivierung verbessern und durch exzentrische Bewegungsanteile zudem abfangende Muskelaktionen, wie sie beim Richtungswechsel auftreten können, vorbereiten.

 

Verallgemeinerungen sind fehl am Platz

Es zeigt sich, dass auch im Jahr 2011 einige Untersuchungen zum Dehnen durchgeführt wurden. Die Erkenntnisse sind dabei keinesfalls in allgemeingültige Empfehlungen umzusetzen. Weder das komplette Ablehnen des Dehnens, noch das kompromisslose Durchführen eines solchen Trainings werden der physiologischen Wirklichkeit gerecht.

 

Tipps für Ihr Training

– Kurze und einmalige schnellkräftige Belastungen sollten nicht unmittelbar im Anschluss an ein Dehntraining durchgeführt werden.

– Nach dem Dehnen sollten Spielsportler aktivierende Methoden wie Sprints durchführen, um die Belastung optimal vorzubereiten.

Lesen Sie auch: Dehnen: Pro und Contra in der Diskussion 

 

Dennis Sandig

 

Literaturangaben:

1. Leistungssport, 2005, Bd. 35, (2), S. 20–23.

2. Spectrum der Sportwissenschaften, 2002, Bd. 14, (1), S. 53–80.

3. Güllich, A., & Schmidtbleicher, D., 2000, Methodik des Krafttrainings. Struktur der Kraftfähigkeiten und ihre Trainingsmethoden. In: M. SIEWERS, (Hrsg.), Muskelkrafttraining, Bd. 1: Ausgewählte Themen. Kiel: Eigenverlag, S. 17–714.

4. Journal of Sport Science, 1995, Bd. 13, S. 481–490.

5. Sportwissenschaft, 2006, Bd. 36, (3), S. 306–320.

6. Journal of Strength and Conditioning Research, 2011, December (Epub ahead of print).

 

Fachsprache

EMG – Elektro-Myo-Graphie ist die Messung der elektrischen Aktivität des Muskels

Motoneuron – Nervenzellen, die die Muskulatur des Körpers aktivieren

Teilen

Über den Autor

Dennis Sandig arbeitete als Sportwissenschaftler am Institut für Sportwissenschaften der Julius-Maximilians Universität in Würzburg. Aktuell ist er bei der Deutschen Triathlon Union als Wissenschaftskoordinator und Referent für Bildung zuständig, sowie für das umfassende Aus- und Fortbildungsprogramm für Coaches im Triathlon.

Leave A Reply