Wenn wir sehr weit in der Geschichte des Yoga zurückgehen, finden wir viele besondere Vorschriften für die Gestaltung der eigenen Yogapraxis.
Wenn wir Yoga im weitesten Sinne als eine Praxis des Erwachens und der Integration betrachten, reichen die Regeln von dem, was man über viele Leben hinweg tun sollte, bis hin zum Aufbau einer speziellen Übungseinheit. Legen wir den Schwerpunkt darauf, welche Rolle Yoga im Laufe unseres eigenen Lebens auf dieser Welt spielt, entdecken wir im Yogasutra des Patanjali, dass es vier Entwicklungsstufen bei den Praktiken gibt, die der Kontrolle des Geistes (citta vrtti nirodhah, der »Stilllegung der Bewegungen des Geistes«) dienen und den Übenden für die Seligkeit öffnen sollen.3 Patanjali geht dem Hatha Yoga (der Ausführung zahlreicher Asanas und Pranayamas) zeitlich voraus und bietet schrittweise Anleitungen für diese Praktiken sowie Variationen, die sie Menschen von unterschiedlichem Temperament und unter verschiedenen Bedingungen zugänglicher machen.
Yoga: Acht Stufen zur Glückseligkeit
Um den Weg zur Glückseligkeit zu vereinfachen, präsentiert Patanjali einen achtstufigen Prozess bestehend aus (1) yama, (2) niyama, (3) asana, (4) pranayama, (5) pratyahara, (6) dharana, (7) dhyana und (8) samadhi.4 Diesem Modell zufolge beginnt man mit Yama, um ein moralisches Fundament für die tieferen Praktiken zu legen, und geht dann zu Niyama, Praktiken der Selbstreinigung und der Selbsterforschung über, ehe man sich an Asana versucht. Es heißt, wenn man vor Yama und Niyama mit Asana beginnt, würde dies die geistige Verwirrung verstärken und die positive Wirkung der Asanapraxis zunichte machen. Damals – Patanjali lebte und schrieb etwa im 2. Jahrhundert n. Chr. – war Asana die Praxis des Sitzens. Er erweiterte diese Definition lediglich um die wesentlichen Eigenschaften von Sthira (Festigkeit) und Sukha (Leichtigkeit).5 Dennoch galt die Bewältigung von Asana als wesentliche Vorbereitung auf Pranayama, und ein Verstoß gegen die vorgeschriebene Ordnung hat schwerwiegende Folgen (Verletzungen oder gar Tod). Somit bereitet jede Stufe auf die nächste vor: Pranayama öffnet die fein- stofflichen Energiebahnen für eine ausgeglichenere Energie, die Pratyahara, »das Zurückziehen der Sinne« ermöglicht. Dies wiederum ermöglicht die Sammlung der Konzentration in Dharana und führt anschließend zu einem Gefühl des Einsseins in Dhyana. Am Ende geht man in Samadhi auf, einem Zustand der Seligkeit.
Aus:
Stephens, Mark: Yoga Workouts gestalten, Riva Verlag, München 2014