Internationale Experten haben sich zum ersten „International Symposium on Cycling Optimization“ getroffen. Schwerpunkt waren Themen zur Radbiometrie und Sitzpositionsoptimierung. Es gab zahlreiche neue Erkenntnisse zur Bestimmung der Körperposition auf dem Rad.
Der deutsche Ergonomie-Experte Dr. Kim Tofaute stellte dar, wie unterschiedlich die Körpermaße verteilt sein können und verwies er dabei auf seine eigene Problematik beim Bekleidungskauf. Damit brachte er in einem Nebensatz den Kern des gesamten Symposiums auf den Punkt. Es kann das Rad von der Stange, das automatisch passt, einfach nicht geben. Zu unterschiedlich sind Menschen gebaut. Von der Innenbeinlänge bis zur Armlänge, vom Rumpf bis zum Unterschenkel – Menschen gibt es in vielen verschiedenen „Maßen“. So individuell wie die jeweiligen Charaktere, so unterschiedlich sind eben auch die anatomischen Gegebenheiten. Vom Sitzriesen bis zum Stehzwerg ist bei Menschen nur eines sicher: Variabilität ist die eigentliche Norm. Hinzu kommt, dass neben den Strukturen und anatomischen Formen eben auch die Funktionen und Bewegungen ganz unterschiedlich ausgeprägt sein können. Dementsprechend kann von einer optimalen Sitzposition wohl nur im Modell gesprochen werden. Ähnlich wie im Kinderzimmer gibt es neben den Puppen eines großen Spielzeugherstellers wohl einfach keine „Modellmaße“.
Fahrradposition optimal einstellen
Ein Highlight der Veranstaltung war der Auftritt von Ben Serotta. Er war einer der Pioniere des Maßrahmenbaus und hat über 40 Jahre Erfahrung darin, Fahrräder auf seine Kunden hin abzustimmen. In seinem Beitrag stellte er die Entwicklungsschritte seines „Size-Cycles“ vor. Mit diesem Messplatz ist es möglich einen Sportler auf ein „imaginäres“ Fahrrad zu setzen und so die optimale Rahmengröße zu bestimmen. In der aktuellsten Variante ist eine höhenverstellbare Satteleinheit und eine höhenverstellbare Lenkereinheit auf einer in der länge verschiebbaren Achse montiert. So lässt sich aus den Kontaktpunkten „Sattel“, „Lenker“ und „Pedale“ jede beliebige Sitzposition einstellen. Der Sportler kann so in vielen verschiedenen Sitzpositionen getestet werden. In der Auswertung lässt sich so nicht nur die Position der Kontaktpunkte bestimmen, sondern auch die optimale Rahmengröße feststellen. Radhändler können so ihren Kunden die passende Rahmengröße heraussuchen und müssen sich nicht mehr auf ihr Augenmaß verlassen. Druck erfassen Dr. Jörg Natrup ist einer der Köpfe von Gebiomized – der Sportmarke der Gebiom GmbH. Er stellte in seinem Beitrag die Möglichkeiten und Grenzen der Druckmessung vor. Mit Hilfe von Drucksensoren im Gewebe lassen sich Messeinheiten im Radschuh oder auf dem Sattel platzieren. In der Auswertung können so die Druckverhältnisse am Übergang Schuh/Pedal oder auf dem Sattel erfasst werden. Die Druckverteilung kann Aufschluss über mögliche Anpassungen der Sitzposition geben. Insbesondere ungleiche Verteilungen sind hier interessante Informationen. Gebiomized bietet individualisierte Sättel an. Im Anschluss an eine Druckmessung können Sportler mit Sitzproblemen Sättel bekommen, bei denen Stellen mit hohem Druck entsprechend „gefräst“ werden, um die Druckverteilung zu optimieren. Radfahrer, die Probleme bei standardisierten Sätteln haben, bekommen so die Möglichkeit einen Sattel quasi auf ihr Gesäß hin angepasst zu bekommen.
Das Erfassen von Druck im Schuh hingegen wird von einigen Anbietern der Fahrradbiometrie angeboten. Dabei werden die Informationen aus den Druckmesssohlen in die optimale Sitzposition übertragen. In der anschließenden Diskussions- und Fragerunde, wurden Fragen zur Messtechnik gestellt. Dabei kam zur Sprache, dass der Druck im Schuh nicht den Kräften entspricht, die am Pedal wirken. Der Druck kann immer nur senkrecht zur Messsohle erfasst werden, während die Kräfte in Vektoren vom Pedal weg gehen. Das bedeutet, dass die Informationen aus den Drucksohlen mit Vorsicht zu interpretieren sind. Erst in Verbindung mit einer komplexen Videoanalyse, ist das Ein- schätzen der Körperwinkel und der damit Verbundenen Einstellungen möglich.
Funktionen in den Mittelpunkt stellen
Curtis Cramblett wies in seinem vielbeachteten Vortrag darauf hin, dass oftmals nicht die Einstellung des Fahrrades Schmerzen verursacht. Statistiken zeigen, dass Schmerzen im Bereich des oberen Rückens oder des unteren Rückens zu den häufigsten Problemen beim Radfahren gehören. Nicht immer muss ein falsch eingestellter Sattel das Problem sein. Genau auf diese Fragestellung ging Curtis Cramblett sehr intensiv ein. Er verwies darauf, dass insbesondere Mobilität und Stabilität einen sehr großen Einfluss auf Bewegungen haben. Nicht immer lassen sich Schmerzen also auf eine falsche Sitzposition zurückführen. Oftmals ist das Problem einfach die mangelnde Athletik eines Sportlers. Hieran sieht man, wie wichtig es ist, dass passende Fitnessprogramme auf die Probleme eines Sportlers hin zusammengestellt werden. Dabei kommt es genau darauf an, dass die Einschränkungen und Defizite sowie mögliche Kompensationen erkannt und behandelt werden. In diesem Zusammenhang muss darauf verwiesen werden, dass das isolierte überprüfen der Beweglichkeit einzelner Muskeln nicht immer zielführend ist. Im Rahmen einer Fahradadbiometrie ist es notwendig, dass Bewegungen und komplexe Bewegungsmuster getestet werden. Im Idealfall kann dabei neben der objektiven Bewertung von Dysfunktionen auch der aktuelle Status in einer Auswertung festgehalten werden, um Bewegungs- und Trainingsprogramme nach ihrem Erfolg bewerten zu können. Kommt ein Sportler nach wenigen Wochen wieder und die Probleme sind nicht behoben, waren die Trainingsinhalte sicher nicht optimal zusammengestellt.
Hier geht es zu Teil 2 Pedalkräfte und Aerodynamik optimal nutzen.
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