Kleine Ursachen können oft eine große Wirkung haben. So kann ein Fehler im Gebiss die komplette Körperstatik so durcheinanderbringen, dass eine schlechtere Leistung und sogar chronische Schmerzen die Folge sein können.
„Das Zusammenkommen der Zähne hat enorme Auswirkungen auf unsere gesamte Körperstatik,“ erklärt Zahnarzt Dr. Roland Althoff, MSc. „Dabei ist es zunächst einmal gleichgültig, ob eine Füllung oder eine Krone nicht genau passt, ob ein ausgewachsener Zahn, eine Fehlstellung oder eine Lücke den Biss verfälscht. Stimmt der Biss nicht, kann das eine lange Fehlerkette nach sich ziehen, die den kompletten Körper durcheinander bringt.“
Ursache – Wirkung
Wenn die Zähne nicht mehr genau aufeinanderpassen, verstellt sich der Kiefer, damit die Zähne wieder zusammenbeißen können. Da der Unterkiefer allein durch Muskeln und Sehnen gehalten wird, kann es hier durch einen Fehlbiss zu Fehlhaltungen und daraus resultierend zu Verspannungen in der Muskulatur des Kiefers kommen. Diese Kompensation des Fehlbisses kann aber die komplette Statik des Körpers stören. Denn: Kommt es zu Fehlhaltungen im Kiefer, kann sich diese und die damit verbundenen Verspannungen zunächst vom Kopf und Nacken über die Brustwirbelsäule bis hin zur Hüfte fortsetzen. „Denkbar ist beispielsweise, dass Knieprobleme durch eine schief stehende Hüfte verursacht werden, die von einer Fehlstellung des Kiefers herrühren“, erklärt Dr. Althoff den Einfluss der Zähne auf den Bewegungsapparat.
Gebissfehlstellung und Sport
Auch die Leistung kann unter dem falschen Biss leiden. „Hat ein Sportler ein muskuläres Ungleichgewicht im Kiefer, lässt sich oft der Bewegungsapparat nicht mehr exakt steuern“, sagt Dr. Althoff. „Beim Bankdrücken beispielsweise kann es sein, dass durch die einseitige Verspannung der Rücken leicht verdreht ist. Dadurch stehen die Schultern schief und es kommt mehr Gewicht auf den einen Arm. Als Folge wird man aufgrund der leicht einseitigen Belastung weniger Gewicht nach oben bringen können. Auch Kraftsportler können bei großen Belastungen nicht an ihre Leistungsgrenze gehen, wenn sie ihre Zähne nicht richtig aufeinander beißen können. So können sie weniger Kraft entfalten und niemals ihre Maximalkraft ausschöpfen.“ Sprichwörter, die im Volksmund häufig zu hören sind, treffen hierbei den Nagel auf den Kopf: „Biss haben“, „sich durchbeißen“, „bissig sein“ aber auch „verbissen sein“.
Sind Sie betroffen?
Ob auch Sie zu der Gruppe mit einer Fehlstellung im Gebiss gehören, können Sie laut Dr. Althoff mit Hilfe einer weiteren Person selber feststellen. Legen Sie sich dazu flach auf den Rücken und strecken Sie die Beine aus. Ihre Zähne sind bei geschlossenen Lippen nicht aufeinander, Ihr Biss ist entspannt. Die andere Person vergleicht nun Ihre Beinlängen, am besten auf Höhe Ihrer Knöchel. Wiederholen Sie nun dies nocheinmal, während Sie die Zähne fest und mit Kraft aufeinander beißen. Bei einer Fehlstellung kann es sein, dass die Hüfte leicht kippt und sich die Beinlänge dadurch verändert.
Ansonsten kann Ihnen ein Zahnmediziner oder ein Physiotherapeut mit etwas Erfahrung auf diesem Gebiet auch sagen, ob Probleme der Gesundheit im Bewegungsapparat von einer Fehlstellung im Gebiss hervorgerufen werden könnten.
Therapie
Zu wissen, woher die Probleme rühren, ist das Eine. Zu wissen, was man dagegen tun kann, viel wichtiger. Zwar kann man die Probleme im Mund beseitigen, das ist aber nur ein Teil der Therapie. „Eine erfolgreiche Therapie besteht immer aus der Zusammenarbeit zwischen Zahnarzt, Physiotherapeut und Sportmediziner bzw. Orthopäden“, erklärt Dr. Althoff. „Zunächst gilt es, den Biss wieder auszugleichen, damit die Statik wieder hergestellt wird und sich die Kaumuskeln entspannen können. Würde man zu Beginn beispielsweise eine Füllung ändern, oder gar das natürliche Gebiss zurechtschleifen, würde man das mit angespannten Muskeln und unter Umständen aus einer Fehlstellung im Bereich der Wirbelsäule heraus machen. Dabei besteht die Gefahr, dass die Verspannungen nicht verschwinden, da die Anpassungen aus einer falschen Gebisshaltung heraus vorgenommen werden. Daher setzt man bei einer ursächlichen und sinnvollen Therapie zunächst eine Aufbissschiene ein, um die Fehlstellung im Mund zunächst zu entkoppeln, sie also vorrübergehend auszuschalten, quasi um es einem auszuprobieren. So können die Kaumuskeln entspannen. Gleichzeitig kann der Physiotherapeut mit entsprechenden Übungen und manueller Therapie oder Ostepathie zur Entspannung beitragen. Immer muss dann die Schiene auf die sich verändernde körperstatische Situation noch angepasst werden.“
Sobald sich die Kaumuskeln entspannt haben, kann der Zahnarzt die Anpassungen vornehmen. Hierzu führt der Zahnmediziner Ihren Unterkiefer von Hand, um zu sehen, wie die Zähne in einer rein von Kiefergelenk geführten Bewegung aufeinanderkommen.
Durch festes Zusammenpressen der Zähne kann der Arzt nämlich nicht sehen, wo genau es zum Fehlbiss kommt. Nur durch das exakte Aufeinanderführen des Ober- und Unterkiefers kann er erkennen, ob beispielsweise bestimmte Zähne früher als andere zusammenkommen. Je nachdem, welches Problem die Fehlstellung verursacht hat, wird eine Füllung abgeschliffen, eine Krone neu gemacht oder größere Fehlstellungen mit einer Klammer oder eine Spange behoben.
Die Kosten für die Schienenbehandlung werden sogar von der Krankenkasse getragen. Das Vermessen des Mundraums hingegen ist eine Privatleistung, die vom Patienten bezahlt werden muss. Erkennt der Zahnmediziner eine Fehlstellung, die sich auf die Körperstatik auswirkt, kann er im Rahmen der Therapie selber ein Rezept für die Physiotherapie ausstellen. Hier muss dann nur der gewohnte Eigenanteil getragen werden.
Physiologie: Der Aufbau und die Funktion der Skelettmuskulatur
Christian Riedel