Wie spezifisch sollte Ihr Krafttraining sein?

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Angesichts der Tendenz im Training die Wettkampfbedingungen möglichst genau „nachzuahmen“, soll dieser Beitrag der Frage nachgehen, wie viel Spezifik in Ihrem Training nötig ist.

Das Imitieren von wettkampfnahen Bewegungen im Training nimmt mittlerweile teilweise sehr kuriose Züge an. Man versucht dabei die Gelenkwinkel und Bewegungen, wie sie in ihrer Zielbelastung vorkommen, mit erhöhtem Widerstand auszuführen. Ob dies „spezifisches Training“ ist und zudem eine erfolgversprechende Methode sein kann, soll in diesem Beitrag diskutiert werden.

 

Was bedeutet „spezifisches Krafttraining“?

Aus Sicht der verschiedenen Sportarten scheint diese Frage zunächst einmal recht einfach zu beantworten zu sein. Ein spezifisches Krafttraining sollte sich demnach möglichst nah an der Wettkampfbewegung orientieren. Dabei geht man davon aus, dass die Nähe aus Zielbewegung und Trainingsübung einen sehr guten Übertrag ermöglicht. Das Problem, dass dabei berücksichtigt werden soll, ist das des Transfers von Kraftzuwächsen in die sportmotorische Aufgabe. Welche Kriterien muss ein Krafttraining also erfüllen, um wirklich spezifisch zu sein? Um diese Frage beantworten zu können, sollte zunächst einmal festgehalten werden, was denn ein allgemeines Krafttraining ist: darunter versteht man die sportartunabhängige Kraft aller Muskeln und Muskelgruppen.(1)

 

Warum muss Krafttraining spezifisch sein?

Entscheidend für den Übertrag der Kraft ist grundsätzlich das Zentrale Nervensystem. Dieses ist verantwortlich für die Bewegungsausführungen und deshalb steht die Übertragbarkeit von Kraftgewinnen auch im Focus der Überlegungen zur Spezifik. In Studien zeigte sich oftmals, dass Krafttraining bei bestimmten Bewegungsgeschwindigkeiten auch insbesondere zu Verbesserungen in diesen Geschwindigkeiten führt.(2) (Erfahren Sie hier wie lange eine Satzpause für Einsteiger sein sollte) Diese Studien sind jeweils an isokinetischen Kraftmaschinen durchgeführt worden, so dass die Übertragung auf Ihr Training hinterfragt werden muss. Bei isokinetischen Bewegungen handelt es sich um isolierte Übungen (beispielsweise für den Beinstrecker), bei denen die Bewegungsgeschwindigkeit in Grad pro Sekunde vorgegeben wird. Auch in Studien zur Kontraktionsform zeigt sich, dass das dynamische Krafttraining nicht unbedingt zu einer Kraftsteigerung bei isometrischen Tests führt.(3) Diese Problematik zeigt sich auch beim Vergleich exzentrischer und konzentrischer Bedingungen. Diese Ergebnisse sprechen zunächst einmal für ein möglichst spezifisches Krafttraining, das sich eben an den Bedingungen der Muskelaktion ausrichtet, die verbessert werden soll.

 

Was ist „Spezifik“?

Die „Spezifik“ einer Bewegung darf nicht mit dem Imitieren einer Bewegung gleichgesetzt werden. Dabei müssen insgesamt sehr viele Faktoren berücksichtigt werden, die allesamt Auswirkungen auf die Spezifik, bezogen auf das zentrale Nervensystem, haben. Dazu gehören z. B. die Gelenkwinkel bezogen auf die Gesamtposition des Körpers. Selbst bei Bewegungen wie dem Absprung zum Korbleger im Basketball würde es nicht ausreichen, allein den Kniewinkel im Absprungbein zu betrachten. Vielmehr sind sämtliche Positionen des Körpers zu berücksichtigen. Auch die Bewegungsgeschwindigkeit und die Kontraktionsform lassen sich bei einer sportlichen Bewegung kaum isoliert betrachten, da sich diese innerhalb verschiedener Abschnitte einer Bewegung verändern können. Wir sehen bereits an dieser sehr kurzen Betrachtung, dass die Bewegungen, die Sie im sportlichen Alltag ausführen, nur mit Mühe in ihrer Komplexität und ihrer Vielfalt im Krafttraining nachgebildet werden können. Ist also ein Übertrag der Kraft durch ein allgemeines Krafttraining überhaupt gegeben?

 

Komplexe Übungen als Grundlage Ihrer Kraft

Aus einer Vielzahl von Untersuchungen wissen wir, dass die Kraft eine Basisfähigkeit für Muskelaktionen ist, die sich in viele verschiedene Bewegungen übertragen lässt. Wer stärker ist, springt höher, wirft weiter und rennt schneller.(5) Die Kraft steht deshalb in vielen Sportarten und im Fitness-Training zurecht im Fokus des Trainings, wobei jedoch innerhalb der Sportarten, wie bereits beschrieben, versucht wird, den Übertrag zu verbessern, in dem sich das Krafttraining an den Gelenkwinkeln der Bewegungen orientiert. So werden z. B. oftmals Kniebeugen empfohlen, bei denen die Sportler in ähnlichen Winkeln arbeiten, wie sie beim Laufen oder beim Springen vorkommen. Allerdings zeigen aktuelle Studien, dass die Frage der Spezifik und der Übertragbarkeit sich stark an der Effektivität einer Übung orientiert, denn der Kraftzuwachs in der entsprechenden Muskelkette ist ein wichtiger Faktor im Krafttraining. Frankfurter Sportwissenschaftler vertraten diese These in einer sehr aktuellen Studie zum Schnellkrafttraining.( 6) Ausgehend von der These, dass spezifisches Krafttraining auch in spezifischen Gelenkwinkeln erfolgen sollte, stellten sie die Frage nach der Effektivität unterschiedlicher Kniebeugenvarianten in Bezug auf die Schnellkraft.(6) Die Schnellkraft wurde dabei in Form von Countermovement Jumps und Tiefsprüngen gemessen. Bei der ersten Variante handelt es sich um Sprünge mit Auftaktbewegung, während die zweite Sprungform von einer Erhöhung nach unten erfolgt und nach möglichst kurzem Bodenkontakt ein direkter Absprung folgt. Über die verschiedenen Messparameter, wie Bodenkontaktzeit und Sprunghöhe, lassen sich Interpretationen zur Schnellkraft ableiten. Trainiert wurde in 3 Trainingsgruppen, die entweder eine tiefe Nackenkniebeuge (60 Grad), eine tiefe Frontkniebeuge oder eine viertel Nackenkniebeuge durchführten.(6)

 

Für effektives Training tiefe Kniebeugen

Bei den Ergebnissen der Studie zeigte sich erwartungsgemäß, dass diejenigen, die die tiefe Nackenkniebeuge trainierten, sich nicht nur in der tiefen Kniebeuge verbesserten, sondern auch Kraftzuwächse bei den viertel Nackenkniebeugen verzeichneten.( 6) Ein ähnliches Bild wies die Trainingsgruppe auf, die die tiefen Frontkniebeugen durchführte. Die Sportler, die allein die viertel Nackenkniebeuge trainierten, verbesserten sich hingegen auch nur in der viertel Nackenkniebeuge.(6) Allerdings wurden sie in dieser Übung massiv stärker und konnten ihre maximale Leistung in der Maximalkraft bezogen auf das Körpergewicht nahezu verdreifachen. Lässt sich dieser Kraftgewinn auch auf die Sprünge übertragen? Hier zeigte sich wiederum ein anderes Bild: Die beiden Gruppen, die die tiefen Kniebeuge-Variationen trainierten, verbesserten sich jeweils signifikant in den Sprungübungen, während die Gruppe mit den viertel Nackenkniebeugen zwar große Kraftwerte in den Kniewinkeln, die sie trainierten, produzieren konnten, aber keinerlei signifi kante Veränderungen in den Sprungwerten aufwiesen.(6) Es scheint also nicht allein auf eine Kopie der Bewegungsabläufe anzukommen, sondern vielmehr darauf, dass die Kraftfähigkeit effektiv verbessert wird. Anhand dieses Experiments zeigt sich, dass nicht das Imitieren von ähnlichen Bewegungen den entscheidenden Trainingsimpuls geben kann. Im Falle der Kniebeuge ist die Tiefe der entscheidende Faktor, weil Sie mit zunehmender Tiefe weniger Gewicht über die Streckerkette bewegen können. Bei einer viertel Kniebeuge ist wesentlich mehr Gewicht zu bewegen und Sie sind nicht mehr in der Lage, die Beine auszubelasten, da die zu bewältigenden Gewichte über denen liegen, die Ihr Körper bzw. Ihr Rumpf stabilisieren kann.

 

Krafttraining durch erhöhte Widerstände?

Neben dem genannten Aspekt, im Krafttraining mit Gewichten Ähnlichkeiten zur Bewegung herzustellen, gibt es noch andere Dimensionen des so genannten spezifischen Krafttrainings. In vielen Sportarten wird versucht, Kraft bzw. die Kraftausdauer zu trainieren, in dem der Widerstand während des üblichen Bewegungsablaufs erhöht wird. So ziehen Sprinter beispielsweise Schlitten mit Gewichten oder spezielle Fallschirme hinter sich her. Zugwiderstandsläufe werden auch gerne mit Gummiseilen oder als Partnerübungen in den Ballsportarten durchgeführt. Im Schwimmen kennt man Paddels, die an den Händen getragen den Wasserwiderstand erhöhen. Auch Badehosen, die das Wasser aufnehmen und dadurch bremsen, sind Hilfsmittel, die mit der Absicht die Kraft spezifi sch zu trainieren, genutzt werden. Radfahrer, Triathleten und Läufer nutzen Berge, um hohe Widerstände zu trainieren. Betrachtet man die Wirkungsweise jedoch genauer, sind die Kraftreize bezogen auf den einzelnen Impuls zu gering, um wirklich als Kraftreiz zu wirken. Anpassungen auf muskulärer Ebene betreffen hier eher den Energiestoffwechsel, z. B. die Entleerung energiereicher Phosphate oder die Laktatelimination.(5)

 

Trainieren Sie Ihre Kraft effektiv!

Bezogen auf Ihr Krafttraining sollte für Sie die Effektivität einer Übung im Vordergrund stehen und weniger die Nähe zur Bewegung. Anhand des Beispiels der Kniebeuge sehen Sie, dass der entscheidende Faktor für den Nutzen der Übung das Ausbelasten der Streckerkette zu sein scheint. Die komplexen Grundübungen stellen eine wertvolle Basis für Ihr Training dar. Trainieren Sie Ihre Kraft im Kraftraum und ergänzen Sie diese mit spezifi schen Trainingsinhalten.

 

Trainingstipps

– Bilden Sie die Basis Ihrer Kraft im Kraftraum.

– Grundübungen wie die tiefe Kniebeuge bilden die Basis für Ihre sportliche Leistungsfähigkeit.

– Spezifisches Krafttraining muss nicht direkt an den Bewegungen in Ihrer Sportart ausgerichtet sein.

 

 

Dennis Sandig

 

Literatur

1. Weineck, 2007: Optimales Training. Balingen: Spitta

2. Sports Medicine, 1993, Bd. 15 (6), S. 374–388

3. Medicine and Science in Sports and Exercise, 1988, Bd. 20 (5), S. 135–145

4. Journal of Applied Physiology, 1996, Bd. 81 (4), S. 1677–1682

5. Wagner, Mühlenhoff, Sandig, 2010 Krafttraining im Radsport. München: Elsevier

6. Spectrum der Sportwissenschaften, i. Dr., Vergleich unterschiedlicher Kniebeugenvarianten zur Entwicklung der Schnellkraft

 

Fachsprache

Schnellkraft – die Fähigkeit des neuromuskulären Systems, einen möglichst großen Kraftstoß in einer zur Verfügung stehenden Zeit zu produzieren.

Drop Jump – von einer Erhöhung wird ein Sprung auf eine Bodenkontaktmatte ausgeführt. Die Aufgabe lautet nach dem Aufkommen so schnell wie möglich wieder so hoch wie möglich zu springen. Sprunghöhe und Bodenkontaktzeit bilden den Leistungsindex zur Bewertung.

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Über den Autor

Dennis Sandig

Dennis Sandig arbeitete als Sportwissenschaftler am Institut für Sportwissenschaften der Julius-Maximilians Universität in Würzburg. Aktuell ist er bei der Deutschen Triathlon Union als Wissenschaftskoordinator und Referent für Bildung zuständig, sowie für das umfassende Aus- und Fortbildungsprogramm für Coaches im Triathlon.

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