Wenn in meinem Torwart-Training eine neue Torhüterin dazukommt, frage ich sie während der 1. Trainingseinheit, was ihrer Meinung nach eine gute Torhüterin/ein guter Torhüter mitbringen sollte. Nun ist die Frage nicht ganz ernst gemeint, die Antworten aber sind doch alle sehr vielfältig und interessant. Das reicht von „Handschuhe“ über „Reaktionsvermögen“ bis hin zu „Er/Sie muss das Spiel lesen können“.
Stimmt alles. Und es kommen noch einige Anforderungen an das heutige Torwartspiel hinzu: Eine davon ist die Beherrschung fußballerischer Fähigkeiten, wie den Ball anzunehmen und weiterzuspielen. Dies natürlich beidbeinig. Stichwort: Rückpassregel!
Grundsätzlich ist die Spieleröffnung des Torhüters immer wichtiger geworden. Seit in vielen Fällen, auch im Amateurbereich, mit der Viererabwehrkette gespielt wird und somit der klassische Libero wegfällt, findet sich der moderne Torhüter heute viel weiter vor seinem Tor und hat eine wesentlich offensivere Ausrichtung. Warum? Der Torhüter muss den Abstand zwischen sich und seiner Abwehr verringern, damit er einen Pass in die Tiefe ggf. ablaufen kann – das Spiel lesen können!
Ein gut geschulter Torhüter kann heute eine Spieleröffnung mit dem Fuß oder per Abwurf punktgenau zu seinem Mitspieler bringen und somit einen schnellen Angriff einleiten.
Wir haben uns doch alle die Augen gerieben, wie Manuel Neuer beim WM-Spiel 2010 gegen England Miroslav Klose sein Tor mit einem weiten Zuspiel vorgelegt hat. Zungeschnalzend saß ich vorm Fernseher.
Varianten zur Spieleröffnung werden immer wieder ins Torwart-Training mit eingebauen. Mit Passspielen, mit Kombinationsübungen mit dem Fuß oder mit einem zielgerichteten Abwurf.
Was braucht ein moderner Torhüter an Fähigkeiten denn noch?
Im Einzelnen sind das Koordination und koordinative Fähigkeiten.
Unter Koordination versteht man das Zusammenspiel von Gehirn und Muskeln. Je höher die Koordination entwickelt ist, desto sicherer, ökonomischer und schneller kann ein Torhüter auch unbekannte (Spiel-)Situationen lösen. Hier werden immer wieder Koordinationsübungen am Anfang einer Trainingseinheit mit eingebaut.
Die koordinativen Fähigkeiten (Bewegungsabläufe) gliedern sich in:
1. Differenzierungsfähigkeit: Dosierter und präziser Krafteinsatz = Ballgefühl, z. B. beim Ballabwurf oder Abstoß.
2. Orientierungsfähigkeit: Standortbestimmung in Raum und Zeit, z. B. beim Stellungsspiel in Bezug auf sich selbst, das Tor, den Ball (Flugbahn, Geschwindigkeit), Gegenspieler oder Mitspieler.
3. Reaktionsfähigkeit: Schnellstmögliche Aktion auf ein Signal, z. B. Hechten nach einem geschossenen Ball oder Sprint zu einem durch die Abwehr gespielten Ball.
4. Kopplungsfähigkeit: Optimale Koordination von Teilbewegungen, z. B. Verknüpfung der Anlaufgeschwindigkeit mit dem Absprung nach dem Ball.
5. Rhythmusfähigkeit: Automatisierung von immer gleichen Bewegungsabläufen, z. B. die letzten 2 Schritte vor dem Absprung/Abwurf auch unter erschwerten Bedingungen (Gegner- und Zeitdruck).
6. Umstellungs-/Anpassungsfähigkeit: die Fähigkeit, sich ohne Leistungsminderung möglichst schnell auf neue Rahmenbedingungen einzustellen, z. B. nasser Rasen, Kunstrasen, Dunkelheit,……
7. Gleichgewichtsfähigkeit: die Fähigkeit, möglichst schnell wieder in eine stabile Körperposition zu kommen, z. B. nach einem Rempler oder das schnelles Aufstehen nach der Landung.
Diese sehr vielfältige Palette an Fähigkeiten zeichnet heute einen guten Torhüter aus. Bei allen physischen Eigenschaften sollte man aber folgende Voraussetzungen nicht ganz vergessen: Talent, Mut und Größe sind die Basis, um ein guter Torwart zu werden.
Frank Tübbing