Wie spezifisch muss eine Kraftübung sein?

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Das Problem beim Zusammenstellen eines Trainingsprogramms ist die Frage nach der Übertragbarkeit einer Trainingsübung auf das Trainingsziel. Welche Kriterien muss ein Krafttraining erfüllen, um spezifisch oder funktionell zu sein?

Krafttraining kann aus unterschiedlichen Gründen betrieben werden. Prävention, Rehabilitation, Fitness und Leistungssteigerung sind die grundlegenden Ziele eines Krafttrainings. Bei einem allgemeinen Krafttraining spricht man in diesem Zusammenhang von der sportartunabhängigen Kraft aller Muskelgruppen.(2) Das spezifische Krafttraining hingegen orientiert sich an den dynamischen und funktionell-anatomischen Merkmalen einer Sportart bzw. einer sportartspezifischen Technik. Die Übungen orientieren sich dabei an den Muskelschlingen und Gelenkwinkeln, die denen in einer Bewegung benötigten möglichst ähneln sollen.

Ein allgemeines Krafttraining mit dem Ziel, die Kraft zu steigern, kann im Wesentlichen mit 2 Punkten verfolgt werden:

1. Das Verbessern der Innervationsfähigkeit der Muskulatur

2. Das Erweitern des energetischen Potentials bzw. der energiebereitstellenden Systeme der Muskulatur.(1)

 

Garantiert erst Spezifik den Übertrag auf die Zielübung?

Immer wieder stellt sich dabei die Frage nach einem optimalen Transfer der Kraftentwicklung auf die Zielleistung. In der Literatur wird vorgeschlagen, ein Krafttraining immer in Verbindung mit der Spezifik des Ziels durchzuführen – quasi möglichst technikorientiert.(3) Da beispielsweise bei Sprüngen das Kraftmaximum nur in einem kleinen Abschnitt des Bewegungsumfangs entwickelt wird, besteht nach Zazsiorsky keine Notwendigkeit, „die Maximalkraft über den gesamten Bewegungsbereich zu trainieren“.(3) In Verbindung mit dieser These ist auch die Empfehlung zu finden, im Rahmen des Krafttrainings die Kniebeuge nur in der ½-(90 Grad Kniewinkel) oder ¼-(sehr geringe Beugung)Version auszuführen. Diese Empfehlungen beruhen auf der Annahme, dass Trainingsanpassungen immer spezifisch erfolgen. Wird ein Muskel nur über eine bestimmte Bewegungsamplitude trainiert, sind hier auch die größten Anpassungseffekte zu erwarten. Aus diesem Grund wird in den Sportarten versucht, das Krafttraining möglichst nahe an der Zielbewegung zu halten bzw. diese sogar zu imitieren. Dies wird beispielsweise am Einsatz von Bremsfallschirmen oder Zugschlitten beim Laufen oder beim „Schwimmen“ auf einer Zugbank (Biobank) sichtbar. Es stellt sich also die Frage, ob die Kraft am besten entwickelt werden kann, wenn die Übung der Zielbewegung ähnelt.

 

Eine Studie zu Kniebeugevariationen

In einer Studie Frankfurter Sportwissenschaftler wurde dieser Frage nachgegangen. Dabei wurden die Auswirkungen von verschiedenen Variationen der Kniebeuge auf die Schnellkraft und auf die dynamische (1 RM) bzw. die isometrische Maximalkraft (MVC) sowie die Explosivkraft (RFD) untersucht. Testübungen in Bezug auf die Maximalkraft waren alle 3 Trainingsvarianten der Kniebeuge. Testübungen für die Schnellkraft waren der Sprung mit Auftaktbewegung (Counter Movement Jump – CMJ) und Tiefsprünge (Drop Jump – DJ). Untersucht wurden 3 verschiedene Varianten der Kniebeuge.(4) Eine Trainingsgruppe führte tiefe Frontkniebeugen aus, eine andere tiefe Nackenkniebeugen. Die 3. Gruppe führte ¼-Nackenkniebeugen aus, bei der die Kniebeuge bis zu einem Kniewinkel von 120 Grad durchgeführt wurde.(4) Zudem gab es auch eine Kontrollgruppe, die kein Training durchführte, sondern nur die Tests.

 

Kraftsteigerungen im Trainingsverlauf

Dass im Anschluss an das Training gesteigerte Kraftwerte gemessen wurden, verwundert zunächst einmal nicht sonderlich. Interessant wird es jedoch, wenn man sich die Studie im Detail ansieht. Bezogen auf die Testübung tiefe Frontkniebeuge steigerten sich beide Trainingsgruppen mit der tiefen Ausführung der Kniebeuge hochsignifikant.( 4) Bei der Trainingsgruppe, die ¼-Kniebeugen ausführte, konnte kein Kraftzuwachs bei dieser Übung gemessen werden, ebenso wenig wie bei der Kontrollgruppe. Bezogen auf die tiefe Kniebeuge konnten ebenfalls beide Trainingsgruppen mit den tiefen Kniebeugen hochsignifikante Verbesserungen aufweisen.(4) Die ¼-Kniebeugen führten zu keiner Leistungssteigerung bei den tiefen Kniebeugen. Bei der Testübung ¼-Kniebeuge konnten wiederum nur bei den tiefen Trainingsgruppen hochsignifikante Steigerungen gemessen werden. Die Trainingsgruppe, die ¼-Kniebeugen trainiert hatte, verbesserte sich bei den Tests in der ¼-Gruppe signifikant.(4)

 

Höher springen

Sprungtests werden durchgeführt, um Schnellkraftparameter zu erfassen. Die Sprunghöhe kann dabei als Indikator für die schnelle Kraftentfaltung gesehen werden. Innerhalb der Kniebeugenstudie der Arbeitsgruppe von PD. Dr. Wirth wurden bei den Sprungtests hochsignifikante Zuwächse bei den Gruppen gemessen, die tiefe Kniebeugen als Front- oder als Nackenkniebeuge durchführten. Die Kontrollgruppe und die Gruppe, die ¼-Kniebeugen durchführte, zeigten keine Veränderung in den Sprunghöhen bei den verschiedenen Testsprüngen.(4)

 

Spezifik oder Physiologie?

 

Wenn es um das Interpretieren der Ergebnisse geht, muss die Frage gestellt werden, ob ein winkelspezifisches Krafttraining geeignet ist, um die Effekte eines Krafttrainings bestmöglich auf die Zielleistung übertragen zu können. Gerade vor der Diskussion um spezifisches Krafttraining und das funktionelle Krafttraining wird propagiert, die Kraft in den Bewegungen zu trainieren, die ähnlich der Zielbewegung sind. Demnach würden Läufer oder Hochspringer insbesondere in größeren Kniewinkeln trainieren müssen, um das optimale Übertragen der Leistung zu gewährleisten. Die vorgestellte Studie der Arbeitsgruppe der Johann Wolfgang Goethe-Universität impliziert jedoch, dass das Entwickeln der Kraft über den vollen Bewegungsumfang in der Kniebeuge effektiver ist. Grund hierfür ist das optimale Entwickeln von neuronalen und koordinativen Anpassungen in der Trainingsmuskulatur. Die winkelspezifischen Anpassungen in der ¼-Kniebeuge lassen eben nicht automatisch einen besseren Übertrag in die Zielbewegung zu.(4) Grund hierfür scheint zu sein, dass das Entwickeln der Kraft von der Auslastung der Beinmuskulatur abhängt. Andere Studien konnten zeigen, dass insbesondere die Kraftentfaltung (Rate of Force Developement) der ausschlaggebende Faktor für die Schnellkraft ist.(5) Das optimale Entfalten der Kraft ist von der explosiven Anspannung der Muskulatur abhängig. Der im Vergleich der Gruppen sehr hohe Kraftzuwachs der ¼-Kniebeugen-Gruppe in Bezug auf die ¼-Testübung konnte offensichtlich nicht übertragen werden.(4)

 

Fazit

Die vorliegenden Ergebnisse zeigen, dass das Ausführen einer tiefen Kniebeuge optimal dazu geeignet ist, die Schnellkraft im Training steigern zu können. Übertragen auf andere Zielstellungen im Krafttraining kann das Ziel für das Krafttraining deshalb nur lauten: tiefe Kniebeugen erlernen und in das Training einbauen. Da die Ergebnisse zeigten, dass bei den geringen Bewegungsamplituden die Beinmuskulatur nicht ausbelastet werden konnte. Den Grundsätzen des spezifischen Krafttrainings bzw. des „Functional Training“, dass eine Nähe zu den Zielbewegungen notwendig ist, um einen guten Übertrag der Kraft auf das Ziel zu haben, erscheint vor den Ergebnissen zumindest fragwürdig. In der Trainingsplanung muss die Frage nicht lauten, wie eine Bewegung im Kraftraum imitiert werden kann, sondern wie die Kraftentfaltung optimal entwickelt werden kann. Zum ersten Mal konnten die Frankfurter Forscher in Deutschland zeigen, dass die tiefe Kniebeuge die Basis des Krafttrainings für die Beine darstellt. Funktionelle Übungen und das Techniktraining können sinnvolle Ergänzungen sein. Die Kraft und damit auch die Schnellkraft und die Schnelligkeit lassen sich nur über das Trainieren mit hohen Lasten über den vollen Bewegungsumfang steigern.

 

Tipps für Ihr Training

– Erlernen Sie die tiefe Frontkniebeuge.

– Die Basis bildet das Krafttraining.

– Funktionelle Übungen und Koordinationstraining können Ihren Trainingsplan weiter ergänzen.

 

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Dennis Sandig

 

Literaturangaben:

1. Weineck, J., 2007, Optimales Training. Leistungsphysiologische Trainingslehre unter besonderer Berücksichtigung des Kinder- und Jugendtrainings. Balingen: Spitta Verlag GmbH & Co. KG. S. 770.

2. Martin, D., Carl, K., & Lehnertz, K., 2001, Handbuch Trainingslehre. Schorndorf: Verlag Karl Hofmann. S. 354.

3. Zatsiorsky, V., 2000, Krafttraining. Praxis und Wissenschaft. (2. überarb. Aufl.) Aachen: Meyer & Meyer.

4. Schmidtbleicher, D., Hartmann, H., Dalic, J., Klusemann, M., Matuschek, C. & Wirth, K., 2009, Vergleich unterschiedlicher Kniebeugentechniken zur Entwicklung der Schnellkraft. In: Bundesinstitut für Sportwissenschaften (Hrsg.). Jahrbuch Forschungsförderung. Köln: Sportbuch Strauß.

5. Journal of Strength & Conditioning Research, 2011, Bd. 25 (2), S. 379–385.

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Über den Autor

Dennis Sandig

Dennis Sandig arbeitete als Sportwissenschaftler am Institut für Sportwissenschaften der Julius-Maximilians Universität in Würzburg. Aktuell ist er bei der Deutschen Triathlon Union als Wissenschaftskoordinator und Referent für Bildung zuständig, sowie für das umfassende Aus- und Fortbildungsprogramm für Coaches im Triathlon.

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