Der Innenverteidiger – ein heimlicher Spielmacher

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Sie nehmen die Rolle eines Spielgestalters ein, man könnte sagen, sie sind die neuen, heimlichen Spielmacher. Immer anspielbar, mit viel Überblick und Gespür das Tempo der Spielzüge bestimmend, so agiert der moderne Innenverteidiger. Er ist dafür verantwortlich, ein Spiel zu lesen. Wann ist ein einfacher, flacher Querpass von Nöten, um das Spiel zu beruhigen und Sicherheit ins Spiel zu bringen und wann ist ein aggressiver, scharfer Pass in die Tiefe des gegnerischen Raumes effektiv, um den Kontrahenten empfindlich zu treffen? Wo früher das Klären heikler Situationen in 16er-Nähe und das Zusammenhalten des Defensivverbundes an aller erster Stelle stand, reicht dies heute bei Weitem nicht mehr aus. Immer wichtiger wird auch die Bedeutung des Innenverteidigers bei eigenem Ballbesitz.

Im Folgenden wird genauer auf die Besonderheiten der Position des modernen Innenverteidigers eingegangen. Wie hat er sich bei gegnerischem Ballbesitz zu verhalten, welche Qualitäten muss er bei eigenem Ballbesitz mitbringen und wie sollte er idealtypisch physisch aber auch psychisch beschaffen sein?

Physische Eigenschaften und Persönlichkeitsmerkmale

Stabil und robust in Zweikämpfen in der Luft und am Boden, aber auch beweglich, wendig und antrittsschnell, so wünscht sich jeder Trainer seine Innenverteidiger. Mit Mats Hummels beispielsweise spielt in Dortmund ein Spieler mit jenen Eigenschaften, die ihn zum Inbegriff des modernen Innenverteidigers machen. Mit seiner Größe von 1,92 Metern hat er Gardemaß, ist enorm kopfballstark, antrittsschnell und spielintelligent. Aber es sind nicht nur die bisher genannten Attribute, die ihm helfen, auf dieser Position eine Vorbildfunktion einzunehmen. Zudem ist er ein Führungsspieler. Ein Innenverteidiger muss in der Lage sein, lautstark Kommandos zu geben, seine Viererkette und die Vordermannschaft führen, ordnen und organisieren zu können. Strategisches Denken und Verhalten gehören zu seinen Stärken, er kann ein Spiel lesen. Oftmals wird ihm genau aufgrund dieser Persönlichkeitsmerkmale die Aufgabe des Kapitäns zugewiesen, er ist also der verlängerte Arm des Trainers, der die vorgegebene Taktik bzw. Strategie auf dem Platz umsetzt und anleitet.

Gegnerischer Ballbesitz

Die grundlegendste Frage, die sich stellt, um das erwünschte Verhalten bzw. die erwünschten Techniken des Innenverteidigers gegen den Ball genauer beleuchten zu können, ist folgende: Welche Situationen muss der Innenverteidiger gegen den Ball lösen können? Hier gibt es unzählige „Probleme“, die auf den zentralen Mann in der Abwehr zukommen können. Diese jedoch lassen sich recht einfach auf ein paar verschiedene Grundsituationen herunterbrechen:

– In erster Linie ist der Innenverteidiger für das Zentrum zuständig. Er hat dafür zu sorgen, dass hier keine torgefährlichen Aktionen zustande kommen. Dabei sind das Zusammenspiel und die Kommunikation mit seinem Partner auf dieser Position zentral.

– Einen Flugball auf die gegnerische Spitze muss er ebenso mit dem Kopf klären können wie eine Flanke von außen in den Sechzehnmeterraum. Spielt er direkt gegen einen Stürmer, sollte er sich im Zweikampf robust und resolut, aber fair behaupten können.

– Spielt er eher im Raum, hat er also keinen festen Gegenspieler, muss er je nach Spielsituation geschickt zwischen Raum- und Manndeckung wechseln können.

– Steht der Gegenspieler mit dem Rücken zum Tor, darf er ihn unter keinen Umständen drehen lassen. Ansonsten besteht akute Gefahr vor dem eigenen Tor. Entweder er erobert den Ball oder zwingt den Stürmer zum Rückpass.

– Pässe auf die gegnerische Sturmspitze sollten grundsätzlich abgelaufen werden, Tacklings kommen nur im äußersten Notfall zum Einsatz.

Zweikampf- und Kopfballstärke, sowie taktisches und kommunikatives Geschick und eine ausgeprägte Fähigkeit, gegnerische Spielzüge antizipieren zu können, erweisen sich als unabdingbare Komponenten, um diese Position gegen den Ball auf hohem Niveau spielen zu können. Analysiert man die ersten beiden Bundesligaspieltage, so erkennt man dies auch an den Statistiken der „Vorzeigeinnenverteidiger“ in Deutschland: So hat beispielsweise Jerome Boateng 68,2% seiner Zweikämpfe gewonnen, von denjenigen in der Luft sogar 77,8%. Benedikt Höwedes vom FC Schalke 04 gewann sogar 75,8% seiner 33 bisher geführten Zweikämpfe, außerordentlich gute 80% in der Luft. (Quelle: www.bundesliga.de)

Eigener Ballbesitz

Der moderne Innenverteidiger agiert als Spielgestalter, unterstützt und entlastet hierbei im Spielaufbau das defensive Mittelfeld. Hierzu benötigt er Übersicht und taktisches Verständnis und Gespür für den Rhythmus des Spiels. Läuft der Ball in den eigenen Reihen, muss der Innenverteidiger nach hinten immer als sichere Anspielstation zur Verfügung stehen. Ist er in Ballbesitz, hat er nahezu unbegrenzte Möglichkeiten. Er hat das komplette Spiel vor sich, kann den Gegner mit einem scharfen Pass in die Tiefe empfindlich treffen, mit einen Tempodribbling durch das Zentrum einen Angriff einleiten oder mit einem sicheren Querpass das Spiel beruhigen. Diese skizzenhaft aufgeführten Spielsituationen zeigen schon auf, was der Innenverteidiger bei eigenem Ballbesitz an Repertoire am Ball mitbringen bzw. sich im Training aneignen muss. Neben dem Anbieten nach hinten, um angespielt werden zu können, ist eine saubere Ballan- und -mitnahme das A und O für die weiteren Aktionen.

Je nach Spielsituation muss der Innenverteidiger als Ballverteiler dann exakte Pässe spielen können. Hier sollte er das komplette Programm beherrschen: ein scharfer, flacher Querpass gehört genauso zu den häufigsten Passarten des Innenverteidigers, wie der scharfe, flache und genaue Pass in die Tiefe des Raumes, entweder in den Fuß des Stürmers oder in seinen Lauf. Ebenso wichtig sind Flugbälle, diagonal auf den Mitspieler oder in dessen Lauf geschlagen. All dies sollte er beidfüssig beherrschen. Falls das nicht möglich ist, wäre es für einen flüssigen Spielaufbau sinnvoll, die linke Innenverteidigerposition mit einem Linksfuß und die rechte mit einem Rechtsfuß zu besetzen. Schaut man sich die Passquoten der Innenverteidiger der Bundesliga nach dem zweiten Spieltag an, sieht man dies bestätigt. Mats Hummels 155 gespielte Pässe kamen mit einer Quote von 81,3% zum Mitspieler, Holger Badstuber kommt sogar auf 89,6% (105 gespielte Pässe). (Quelle: www.bundesliga.de – Aktuelle Statistiken) Zudem verfügen die meisten Größen auf dieser Position über einen hervorragenden Offensivkopfball, was sie bei den eigenen Standards (Eckbälle, Freistöße von außen) zu gefährlichen „Waffen“ macht. Hier profitiert der Innenverteidiger zum einen von seiner körperlichen Größe und zum anderen von seinem zwangsläufig guten Stellungsspiel zum Ball, das er benötigt, um hohe gegnerische Pässe unter Druck mit dem Kopf abzuwehren.

Abbildung 1: Passmöglichkeiten des Innenverteidigers

Abbildung 2: Laufwege des Innenverteidigers

Ausblick

Die Rolle des Innenverteidigers wird auch in Zukunft immer vielschichtiger werden, so rückt in manchen Spielsystemen ein Innenverteidiger bei Ballbesitz ins zentrale Mittelfeld vor, um dort eine Überzahl zu schaffen und Druck aufzubauen. Schaut man sich den FC Barcelona an, so spielen immer wieder Spieler in der Innenverteidigung (Javier Mascherano, Sergio Busquets) bzw. lassen sich während des Spiels auf diese Position zurückfallen, die eigentlich im defensiven Mittelfeld beheimatet sind. Der Wandel auf dieser Position ist noch nicht abgeschlossen. Eines allerdings lässt sich mit Sicherheit sagen: die Position des Innenverteidigers ist eine enorm wichtige für jedes Team, defensiv und offensiv.

 

Benjamin Götz

 

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