Funktionelle Übungen: Mobilität und Stabilität

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Im zweiten Teil zum Thema funktionelle Übungen: weniger ist mehr geht’s insbesondere um die Themen Mobilität und Stabilität. Dr. Lutz Graumann beschreibt, wie Sie mit Selbstmassage, Bewegungsanalyse und komplexen Übungen diese beiden Aspekte verbessern können.

Mobilität 

Bei der Mobilität hat vor ein paar Jahren ein großer Umdenkprozess eingesetzt. Der mechanische Ansatz, der davon ausgeht, dass eine verkürzte Muskulatur durch Ziehen in die Länge gedehnt und damit mehr Mobilität erreicht wird, ist veraltet. Die wissenschaftlichen Erkenntnisse von Robert Schleip aus Ulm haben ergeben, dass Mobilität eine Stufe höher anzusetzen ist: Beim Fasziensystem. Um das Zusammenspiel von Muskel und Faszie zu optimieren, ist die Blackroll die erste Wahl. Der Sportler macht eine Art Selbstmassage, bei der sich die Struktur der Faszie verändert und diese nach und nach die Verschieblichkeit der einzelnen Gewebeschichten verbessert (siehe „Schwächen stärkenFunctional Movement Screen“). 

Eine fehlerhafte Ansteuerung der Muskulatur behebt man auch mit einer speziellen Dehntechnik. Bei falscher Belastung reagieren manche Muskelgruppen mit einem erhöhten Tonus. Das bedeutet: Zu einem bestimmten Zeit- punkt sind viel mehr Muskelzellen aktiv, als eigentlich benötigt werden. Das führt im Gegenzug zur Einschränkung unserer Beweglichkeit. Um den Muskeltonus herunterzufahren, setzt man die sogenannte Post-Isometrische Relaxation (PIR) ein. Dabei lässt man den Sportler zusätzlich zu einer statischen Dehnübung mit maximaler Kraft gegen die Dehnrichtung drücken. Diese hält er für etwa 8 Sekunden und löst dann die Anspannung mit langem Ausatmen. Diese Technik wiederholt man 2- bis 3-mal am Stück. Sie führt jedes Mal zu einer kleinen Steigerung des aktiven und passiven Bewegungsumfangs. 

Zudem empfiehlt es sich, mit unspezifischen Selbstmassagen der Fußsohle mit einem kleinen Ball zu arbeiten. Dabei kann der Sportler Triggerpunkte an der Fußsohle identifizieren und – obwohl man die genauen Zusammenhänge immer noch nicht ganz versteht – nach einer Fußmassage eine enorme Steigerung der komplexen Mobilität beobachten. 

Stabilität 

Nach diesen grundlegenden Strategien des Mobilitätstrainings beginnt man in aller Regel mit tiefen Kniebeugen (Deep Squats). Der Sportler erlernt sie in einem Drei-Stufen-Plan über drei bis sechs Wochen. Viele Experten sind der Meinung, dass die tiefe Kniebeuge die Mutter aller Bewegungsmuster ist. Nach dem Drehen am Boden und dem Krabbeln ist sie eine der ersten komplexen Bewegungen, die der Mensch auf dem Weg zum aufrechten Gang erlernt. 

Die tiefe Kniebeuge ist deshalb so wertvoll, weil sie den Körper komplex beansprucht. Der Trainierende braucht Beweglichkeit im Sprunggelenk sowie Beweglichkeit in der Hüfte und sein Muskel-Fasziensystem muss so verschieblich sein, dass sein Oberkörper selbst mit nach oben gestreckten Armen nicht über die Fußspitzen nach vorne ragt. Oftmals ist es sinnvoll, neben der tiefen Kniebeuge noch zusätzlich eine isolierte Mobilisierung des Sprunggelenks und des Iliopsoas mit in das erste Übungsprogramm zu integrieren. 

Wenn man die Stabilität verbessern möchte, muss man sich fragen, warum Stabilität im Raum nicht gegeben ist. Ist einfach nur das Verhältnis zwischen Körpergewicht und Kraft gestört oder ist das Gehirn derzeit nicht in der Lage, die richtigen Muskeln zum richtigen Zeitpunkt zu aktivieren? Auch wenn die Übungen zur Steigerung der Stabilität ähnlich aussehen wie Übungen zur Steigerung der Kraft, unterscheiden sich diese durch die Belastungszeit (Time Under Tension, kurz TUT) und Wiederholungszahl. Bei Stabilitätsübungen ist die TUT etwas größer, aber die Intensität eher niedriger. Anfangs ist es wichtig, dass die Qualität der Übung im Vordergrund steht, damit Bewegungsmuster richtig erlernt und Kompensationsbewegungen abgebaut werden. Best Practice zur Steigerung der Rumpfstabilität ist die Progression des Unterarmstützes. 

Um die Stabilität der unteren Extremität zu optimieren, empfiehlt sich der Weg der amerikanischen National Academy of Sports Medicine (NASM). Er legt einen besonderen Schwerpunkt auf die einbeinige Kniebeuge (Single Leg Squat). Dabei kommt es wiederum auf die Qualität der Bewegung an. Sie können sich zu jedem Zeitpunkt der Bewegung anhand der Kniescheibenposition selbst kontrollieren. Die Kniescheibe sollte den idealen biomechanischen Weg nehmen, das heißt vom Zentrum des Sprunggelenks hin zur zweiten und dritten Zehe.

Dr. Lutz Graumann

 

Lesen Sie auch Teil 1 – Balance

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Über den Autor

Dr. Lutz Graumann

Dr. Lutz Graumann ist Sportmediziner und betreut Militärs, Spitzensportler und Klienten aus der Industrie. Er ist der aktuelle Präsident der „International Association of Performance Medicine“. Seine Publikationen erscheinen regelmäßig in nationalen und internationalen Fachmagazinen. www.sportmedizin-rosenheim.de

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