Dynamisches Dehnen für Läufer

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Es ist typisch, dass sich der Mensch manchmal so auf etwas konzentriert, dass er das Wesentliche gar nicht mehr erkennt, obwohl es doch so offensichtlich ist. Das ist vielleicht auch der Grund dafür, warum Trainer und Sportler immer noch altmodische Aufwärmübungen bevorzugen, obwohl es doch immer mehr Beweise dafür gibt, dass diese nicht halten, was sie versprechen.

Dehnen und Aufwärmen vor dem Lauf

Piriformis Syndrom, DehnübungenEs ist klar, dass man sich vor einem Sprint oder auch einem Tennismatch aufwärmen muss. Damit bereiten wir uns sowohl geistig als auch körperlich auf die vor uns liegende Aufgabe vor. Traditionell wärmen sich die meisten Sportler auf, indem sie ihre Körpertemperatur innerhalb von 5–15 Minuten durch leichte kardiovaskuläre Übungen (KÜ) ansteigen lassen und sich dann dehnen.

Ich erinnere mich daran, dass ich als Weitspringer ein paar Runden joggte, um richtig warm zu werden, mich dann eine halbe Stunde hinsetzte und quatschte, während ich mich mehr oder weniger dehnte. Wenn dann das Training begann, war ich sowohl körperlich als auch geistig wieder „abgekühlt“. Mein Körper war gar nicht richtig bei der Sache, und ich war kein bisschen darauf vorbereitet, mich ordentlich zu bewegen. Eigentlich hätte ich mich komplett noch einmal aufwärmen müssen. Stretchen war eine wichtige Komponente bei den damaligen Aufwärmübungen, und die Trainer erinnerten mich ständig daran, dass die allgemeine Beweglichkeit verbessert werden müsse. Aber im Nachhinein betrachtet war es für meine Sprünge unerheblich, ob ich meine Hände hinter dem Rücken verschränken konnte oder nicht.

Richtig Dehnen – dynamische Dehnübungen für das Lauftraining

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Heute legt man bei den Aufwärmübungen mehr Wert darauf, dass die Übungen dynamischer und auf die jeweilige Sportart zugeschnitten sind. Mithilfe der Übungen sollen vor allem diejenigen Muskelpartien aufgewärmt werden, die später auch zum Einsatz kommen. Dadurch sollen spezielle neuromuskuläre Muster eingeübt und eine angepasste und funktionale Beweglichkeit entwickelt werden.

Das Ganze scheint offensichtlich zu sein. Und doch ist es für manche Sportler fast eine Offenbarung. Einige Trainer müssen ihre Konzepte neu durchdenken, und auch für die Sportler bedeutet das, die alten Aufwärmübungen über den Haufen zu werfen und sich auf die neuen einzulassen. Dabei handelt es sich eigentlich gar nicht um ein neues Konzept, denn Sportler der ehemaligen Sowjet-Staaten nutzten diese Art der Übungen schon in den 1970er Jahren – Jahrzehnte bevor der Westen überhaupt Notiz davon nahm.

Ich erinnere mich daran, dass ich an einem Trainingscamp teilnahm, das der ehemalige Weitsprung-Rekordhalter und damalige sowjetische Cheftrainer Igor Ter-Ovanesian leitete: Das Aufwärmen war kurz, aber hart und bestand aus „Stern-Sprüngen“ und verschiedenen Beweglichkeitsübungen. Als man uns gesagt hatte, wir sollten uns aufwärmen, waren wir alle losgejoggt, nur um von einem verärgerten Ter-Ovanesian wieder zurückgepfiffen zu werden. Er erklärte uns dann die „neue“ Art des Aufwärmens, aber wir und auch unsere Trainer waren so in den alten Pfaden festgefahren, dass wir die Chance, daraus etwas zu lernen, leider nicht genutzt haben.

Die folgenden Anweisungen sind ideal für Läufer:

Zunächst sollte man für 5–10 Minuten mit leichten kardiovaskulären Übungen die Körpertemperatur erhöhen. Langsames Laufen ist immer noch eine gute Möglichkeit, die Muskeln aufzuwärmen und sie auf ein schnelleres Tempo vorzubereiten.

Viele der im Folgenden beschriebenen Übungen lassen sich in eine Art nahtloses Aufwärmen integrieren, indem man Joggingphasen einstreut. Am besten ist es aber, wenn man die Sache langsam angeht, vor allem dann, wenn man sich bisher eher traditionell und ruhig aufgewärmt hat.

Das Tempo vieler dieser Übungen lässt sich steigern, wenn man schon etwas Erfahrung gesammelt hat. Dadurch wird das Nervensystem „angefeuert“ und die Muskeln werden gestärkt und können sich so dynamischer zusammenziehen.

Die Übungen schützen auch vor allgemeinen Verletzungen, die beim Laufen auftreten können, wie beispielsweise Schienbein-, Knie- und Fußgelenksverletzungen.
Ziel ist es, jede der folgenden Übungen 10–15 Minuten lang zu machen und dann durch Gehen oder Joggen wieder zu regenerieren. Es sollte reichen, jeweils 3–4 Wiederholungen einzuplanen.

Ausfallschritte:

Zur Lockerung der Hüfte, Verbesserung der Beinarbeit, Stärkung der Po-Muskulatur und der Kniesehnen. Nehmen Sie eine Ausfallschrittposition ein und gehen Sie nach vorn in den nächsten Ausfallschritt. Halten Sie den Oberkörper aufrecht, blicken Sie gerade nach vorn und koordinieren Sie Ihre Arme mit den Beinen.

Knie hochziehen:

Für den Hüft-Beugemuskel und die Kräftigung der Fußgelenke. Stellen Sie sich auf die Zehenspitzen und heben Sie bei jedem Schritt nach vorn den Oberschenkel so an, dass er parallel zum Boden steht.

Ellbogen-Ausfallschritt:

Für die Beweglichkeit der Hüfte, die Stärkung der Kniesehnen und die Dehnung des unteren Rückens. Diese Übung funktioniert ähnlich wie die Ausfallschritte, aber der Oberkörper wird nun über das vordere Bein gelehnt. Wenn das rechte Bein vorn ist, richten Sie den rechten Ellbogen zur Innenseite des rechten Fußgelenks. Achten Sie auf Ihr Gleichgewicht!

Wade:

Zur Stärkung der unteren Gliedmaßen und für die Flexibilität der Achillessehne. Das Strecken des Fußgelenks bei jedem Schritt wärmt die Wadenmuskulatur und die Achillessehne auf.

Seitlich und rückwärts Hüpfen/Laufen:

Zur Stärkung der unteren Gliedmaßen, für die Beweglichkeit und die Flexibilität.

Beinheben:

Lehnen Sie sich vorwärts gegen eine Wand, die Arme sind ausgestreckt in Schulterhöhe und die Füße stehen hüftbreit auseinander ca. einen Meter von der Wand entfernt. Schauen Sie nach vorn und halten Sie sich gerade. Heben Sie Ihr rechtes Bein, das Knie gebeugt, bis der Oberschenkel sich parallel zum Boden befindet. Von der Hüfte aus führen Sie das Bein zurück nach hinten, sodass der Vorderfuß den Boden berührt. Dann ziehen Sie das Bein wieder in die Ausgangsposition zurück. Wiederholen Sie die Übung in Zehnereinheiten je Bein und erhöhen Sie dabei das Tempo.

Beinkreisen:

Nehmen Sie dieselbe Position ein wie beim „Beinheben“. Nur ziehen Sie das Bein dieses Mal hinter sich hoch, wenn Sie es nach hinten bringen. Versuchen Sie, den Fuß dabei dorsalflektiert zu halten, z. B. zum Bein angezogen. Führen Sie diese Übung zunächst langsam durch, und steigern Sie das Tempo allmählich wenn es besser klappt.

Ein letzter Gedanke:


Tragen Sie keine Schuhe! Nein, Sie sollen nicht das nächste Rennen barfuß laufen. Aber wenn es das Wetter erlaubt oder Sie in einer Halle trainieren, dann kann es sehr nützlich sein, die eben genannten Übungen ohne Schuhe durchzuführen. Laufschuhe hindern die Wade und die Achillessehne an einer optimalen Streckung, und eine gezielte Stärkung dieser Partien ist somit eingeschränkt. Dabei ist eine verbesserte Fuß- und Unterschenkelkraft für einen erfolgreichen Läufer wichtig.

Vorteile dieses Aufwärmprogramms

Und warum sollten Sie nun Ihr altbewährtes Aufwärmprogramm aufgeben und ersetzen? Weil dies Ihre Leistungsfähigkeit aus folgenden Gründen positiv beeinflussen kann:

– Sie sparen Zeit. Wenn Sie 5-mal die Woche trainieren, d. h. 250 Mal im Jahr, dann bedeutet das bei einem normalen Aufwärmprogramm à 30 Minuten eine Gesamtzeit von 125 Stunden. Das sind wiederum 5 komplette Tage, die man für wichtigere Trainingseinheiten nützen könnte.

– Das Aufwärmen verbessert Ihr Laufen, insbesondere stärkt und dehnt es Ihre Muskeln und optimiert so Ihre Leistung. Der Unterschenkel ist für das Laufen von fundamentaler Bedeutung, und viele der oben beschriebenen Übungen stärken genau dieses Körperteil – sie wirken daher Wunder für Kraft und Energie.

– Sie werden geistig besser vorbereitet sein. Ein langsames Aufwärmen mit einer ausgiebigen Phase des Dehnens kann Sie geistig von der Dynamik, die vor Ihnen liegt, ablenken. Das ist besonders dann schlecht, wenn Sie sich vor einem Lauf oder Wettkampf konzentrieren wollen. Auch Ihr neuromuskuläres System ist dann vielleicht nicht optimal vorbereitet, wenn Sie mit einem langsamen Aufwärmen und Dehnen beginnen. Mit der beschriebenen Methode sind die Muskeln besser fähig zu kontrahieren.

– Ein Überdehnen des Gewebes kann die Laufeffizienz und die Dynamik beeinträchtigen. Wenn die Muskeln eines Läufers zu sehr gedehnt sind, beispielsweise in der Hüfte oder der Oberschenkelregion, dann führen ineffektive Bein und Kniebewegungen dazu, dass Energie verschwendet wird – und das verstärkt sich, je schneller man läuft.

– Untersuchungen haben gezeigt, dass ein sehr ausgiebiges passives Dehnen des Schienbeins die Dynamik beeinträchtigt. Die Beine von Läufern müssen die auf sie einwirkende Kraft wieder abgeben können. Dafür müssen sie „hart“ und energieeffizient sein; nicht weich und absorbierend. Zu viel Dehnen und zu viel Beweglichkeit können schaden. Neuere Untersuchungen haben gezeigt, dass ein plyometrisches Training die Energieeffizienz fördert – und dies geschieht ebenso durch ein läuferspezifisches Aufwärmen.

– Hypermobile Gelenke können vor allem bei Sportarten mit großer Belastung zu einem erhöhten Verletzungsrisiko führen.

Wenn man dies alles beachtet, kann auch das traditionelle Aufwärmen vertretbar sein. Denn obwohl das Dehnen in der dynamischen Art des Aufwärmens nur eine Nebenrolle spielt, so hat das aktive, passive und PNF-Dehnen (propriozeptive neuromuskuläre Fazilitation) durchaus seine Berechtigung in einem generellen Trainingsplan. Wenn Sie merken, dass Sie mehr Beweglichkeit brauchen um Ihre Leistung zu verbessern, kann man diese mit den vorgestellten Methoden erreichen. Die Übungen sollten Sie regelmäßig machen, um eine Verkürzung und Verhärtung der Muskeln zu vermeiden. Aber denken Sie daran, dass Sie dies am besten in separaten Einheiten trainieren und nicht während des sportspezifischen Trainings.

Autor: Frank Gillmeister

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