Um den omnipräsenten Begriff „Stress“ näher zu beleuchten, erklärt Sportpsychologe Jörg Schönenberg, woher Stress eigentlich kommt und warum er zunächst einmal eine durchaus sinnvolle Reaktion des Körpers ist.
Die Begriffsproblematik
Der Begriff „Stress“ ist seit Jahren in aller Munde. Es gibt fast keinen Bereich des Lebens in unserer modernen Gesellschaft mehr, der nicht von der Stressthematik betroffen wäre. Das Gute daran ist grundsätzlich erst einmal die Tatsache an sich, dass Stress und auch „Burnout“ in der Öffentlichkeit inzwischen sehr bekannt sind. Die Menschen zeigen demnach anscheinend Interesse und eine gewisse Bereitschaft, sich damit auseinanderzusetzen. Völlig zurecht, denn die Wissenschaft hat in den letzten Jahren deutlich gezeigt, dass Stress und Burnout ernstzunehmende Phänomene in unserer Gesellschaft darstellen. Dabei sind nicht nur wenige bestimmte Personengruppen betroffen, sondern im Grunde jeder. Gerade auch Menschen, die leistungsorientiert Sport treiben, weil sie zahlreiche Anforderungen aus verschiedenen Lebensbereichen mit ihrem Sport ausbalancieren und in Einklang bringen müssen!
Eine gewisse Problematik liegt jedoch in der Art und Weise, wie insbesondere mit dem Begriff Stress umgegangen wird. Hierbei fallen nicht selten inhomogene, teilweise auch nahezu entgegengesetzte Umgangsweisen auf. Durch den regen, fast inflationären Gebrauch des Begriffs in fast jedem Lebenskontext besteht auf der einen Seite die Gefahr, dass es zu einer Verwässerung und möglicherweise Verharmlosung der Thematik kommt. Zum Beispiel scheint man sich heutzutage manchmal ja schon fast schämen zu müssen, wenn man keinen Stress hat – Stress zu haben, so meint man, gehört schon fast zum guten Ton! Auf der anderen Seite wird Stress oft kategorisch als schlecht und böse abgestempelt. Stress ist in diesem Sinne ein von außen gesetztes Übel, das nicht beeinflussbar ist, und welchem man hilflos ausgeliefert ist.
Insgesamt zeigt sich hierin eine zu undifferenzierte Betrachtungsweise des Phänomens Stress. Die Bedeutung, die die Thematik insgesamt und allgemein besitzt, aber besonders auch für jeden Einzelnen persönlich hat, lässt sich auf diese Art und Weise natürlich nicht wirklich erfassen. Deswegen macht es Sinn, sich einmal die begriffliche und besonders die biologische Herkunft von Stress etwas genauer anzusehen.
Die Herkunft des Begriffs
Der Begriff Stress bedeutet umgangssprachlich aus dem Englischen übersetzt in unserem Zusammenhang soviel wie „Druck“, „Anspannung“, „Beanspruchung“. Etymologisch lässt sich Stress herleiten vom lateinischen Wort „stringere“. In unserem Kontext bedeutet es zum Beispiel „anspannen“, „in Spannung versetzen“, „drücken“, „zusammenpressen“, „anziehen“, „zusammenziehen“ und Ähnliches. Seit langem gebräuchlich ist der Stressbegriff zum Beispiel in der Physik, beziehungsweise Werkstoffkunde, wo er im Zusammenhang mit Belastungen verwendet wird, die auf einen physikalischen Körper wirken. Aus diesem Kontext übertrug Hans Selye (1907 bis 1982), ein österreichisch-kanadischer Mediziner und Forscher, den Stressbegriff schließlich auf lebende Systeme. Er untersuchte die körperlichen Reaktionen bei Stressbelastungen als erster systematisch und wird deshalb auch als der „Urvater der modernen Stressforschung“ angesehen.
Der Ursprung der Stress-Reaktion
Damit man Stress nicht zu unrecht kategorisch als negative Erscheinung verteufelt, sondern seinen eigentlichen Sinn und Zweck besser versteht, ist es hilfreich, nicht nur seine begriffliche Herkunft zu betrachten, sondern auch einen Blick auf seine evolutionsbiologischen Wurzeln zu werfen. Sehr stark vereinfacht und verkürzt gesprochen, kann man sich die Entstehung der Stress-Reaktion so vorstellen:
Die Evolution brachte über unvorstellbare Zeiträume eine phantastische Artenvielfalt hervor. Hierbei spielten fortwährend Selektionsprozesse eine entscheidende Rolle. Letztlich hatten immer die Lebewesen Überlebensvorteile, deren genetische Programme geeignet waren, sich mit den äußeren Lebensumständen zurechtzufinden. Wenn sich aber die äußeren Lebensumstände änderten (vor allem je schneller und ausgeprägter das geschah), waren Lebewesen mit relativ starren, also nur instinktgesteuerten Verhaltensprogrammen, aus evolutionsbiologischer Sicht im Nachteil. Dagegen waren diejenigen Lebewesen im Vorteil, die flexibler als andere auf sich ändernde Lebensumstände reagieren konnten.
Auf Gefahr und Notfall vorbereitet
Irgendwann erfand die Evolution diesbezüglich dann eine spezielle Reaktionsweise, von der die damit ausgestatteten Lebewesen besonders profitierten. Im Laufe der Evolution entwickelten die Gehirne bestimmter Lebewesen nämlich irgendwann die Fähigkeit, bei Gefahr spezielle Signalstoffe herzustellen. Diese veranlassten dann die Nebennieren, bestimmte Hormone herzustellen und in den Körper abzugeben. Übergeordnetes Ziel dieser Reaktion war, dass der Organismus in lebensbedrohlichen Situationen alle Kraft- und Energiereserven aufbringt, um diese Situation irgendwie auszuhalten, zu meistern und schließlich zu überleben. Die Evolution hatte mit diesem Schritt eine neue Reaktionsmöglichkeit für den Notfall erfunden. Dieser Geniestreich der Natur heißt „Stress-Reaktion“.
Die Stress-Reaktion wurde relativ unspezifisch in jeder Situation ausgelöst, in der ein Lebewesen in Gefahr geriet. Bei dieser Reaktion kommt es zu mehr oder weniger komplexen Prozessen im Organismus. Letztendlich führen diese dazu, dass das Lebewesen sehr schnell auf die gegebene Situation vorbereitet wird. Durch entsprechende Einstellung verschiedener Organsysteme wird das Lebewesen in Alarmbereitschaft und einen Zustand versetzt, der es ihm erlaubt, eine drohende Gefahr (einen „Stress-Auslöser“) durch sinnvolle Verhaltensmuster wie Kampf oder Flucht abzuwenden.
Fazit und Aussicht
Insbesondere Menschen, die immer wieder herausfordernden und belastenden Situationen ausgesetzt sind – wie zum Beispiel leistungsorientierte Sportler – dürften sofort erkennen, wie wichtig und sinnvoll die Stress-Reaktion im Grunde für die Leistungsbereitschaft und -fähigkeit ist.
Die bei der Stress-Reaktion ablaufenden körperlichen Prozesse können an dieser Stelle nicht intensiver besprochen werden, werden aber in folgenden Artikel aufgegriffen und vertieft.
Lesen Sie auch dazu: Stress – hochkomplex und individuell
Jörg Schönenberg