Die Aerodynamik auf dem Fahrrad – das Geheimnis der optimalen Sitzposition

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Es ist kein großes Geheimnis, dass der Luftwiderstand des Fahrrads bei höherem Tempo in einer Ebene fast die ganze Leistung des Sportlers verbraucht. Je schneller Sie dabei fahren, umso mehr spielt die Aerodynamik eine Rolle. Das liegt daran, dass der Luftwiderstand mit steigender Fahrgeschwindigkeit quadratisch stärker wird. Das heißt, dass Sie bei doppelter Geschwindigkeit das 4-fache an Luftwiderstand zu überwinden haben. Aus diesem Grund kommt dem Versuch, den Luftwiderstand weiter zu verringern, eine immer größere Bedeutung zu.

Bei gleich starken Fahrern kann also die Aerodynamik zu einer besseren Leistung beitragen. Damit auch Sie von einer verbesserten Aerodynamik profitieren können, beschreiben Ihnen Dennis Sandig und Jens Machacek einen neuen Feldtest, der in der Praxis mehr Relevanz hat als Windkanaltests.

 

Rückenwind für Ihre Leistung!

Insbesondere in den Zeitfahrdisziplinen, auf der Bahn und beim Triathlon trägt ein aerodynamischer Vorteil entscheidend zum Sieg bei. Aber auch für Straßenradsportler spielt das eine wichtige Rolle, besonders im Hinblick auf die Sitzposition. Im Laufe der letzten Jahre wurden daher zahlreiche aerodynamische Komponenten entwickelt, mit deren Hilfe der Luftwiderstand von Fahrrad und Fahrer verringert wird, z. B. durch spezielle Bekleidung, Aerohelme und Scheibenlaufräder. Der technische Erfindergeist wird jedoch durch das Regelwerk des Weltradsportverbandes (UCI) stark eingeengt. Neben dem Optimieren des Materials geht es vor allem um das Verbessern des Zusammenspiels von Mensch und Maschine.(1) Eine grundlegende und entscheidende Reduzierung des Luftwiderstands lässt sich in erster Linie durch eine gezielte Anpassung der Sitzposition auf dem Fahrrad erreichen. Dabei kann es keine allgemein gültigen Empfehlungen geben, da sich die Einsatzgebiete und die körperlichen Voraussetzungen voneinander unterscheiden. Für alle gilt jedoch, dass der Fahrer der Luft eine möglichst kleine Stirnfläche bieten sollte. Das erreichen Sie, indem Sie den Oberkörper stark abknicken. Dafür ist auf jeden Fall eine individuelle Anpassung der Rennmaschine an den Fahrer nötig. Dies wiederum bedarf einer komplexen Analyse und setzt viel Erfahrung beim Einstellen voraus. Nicht immer ist die aerodynamischste Position auch die beste! Sitzen beispielsweise Langstrecken- Triathleten zu sehr abgeknickt auf dem Rad, kann das die Muskulatur für das Laufen sehr ermüden und so zu einer schlechteren Gesamtleistung führen. Bei einem kurzen Zeitfahren hingegen zählt mehr die Aerodynamik als der Komfort.

 

Auf diese Einflussgrößen sollten Sie achten!

Es ist der Verdienst des Ingenieurs Uli Schoberer, mit seinem Leistungsmesssystem (SRM) einen ersten, noch sehr einfach strukturierten Test entwickelt zu haben, mit dem die Aerodynamik überprüfbar ist. Dabei werden auf einer Radrennbahn mithilfe eines Leistungsmessgeräts die Leistungsdaten für eine bestimmte Geschwindigkeit bestimmt und bei verschiedenen Geschwindigkeiten miteinander verglichen.

Anhand einer Formel können Roll- und Luftreibungswiderstand mit einbezogen und die Leistung für eine Durchschnittsgeschwindigkeit berechnet werden. So lassen sich auch die verschiedenen Durchgänge miteinander vergleichen. Diesen Test können Sie in der Praxis sogar selbst einmal ausprobieren. Alles, was Sie benötigen, ist eine abgemessene Strecke, ein Leistungsmesser und eine Tabellenkalkulations-Software wie Excel. Machen Sie also eine Testfahrt, und messen Sie die Leistung. Die können Sie mit der eines 2. Versuchs vergleichen. Wenn Sie verschiedene Sitzpositionen ausprobieren, können Sie schauen, bei welcher Fahrt Sie weniger Leistung für eine bestimmte Geschwindigkeit gebraucht haben. Das wäre dann die aerodynamischere Position. Allerdings kann bei dieser einfachen Testform nicht berücksichtigt werden, ob die Sitzposition für ein kurzes Zeitfahren mit sehr hoher Durchschnittsgeschwindigkeit eingestellt werden soll oder für eine Langdistanz wie beispielsweise beim Triathlon. Eine kompromisslose Aerodynamik und die Ergonomie sowie Aspekte der Kraftentfaltung auf dem Pedal müssen im Einzelfall gegen den eventuellen Vorteil durch die Aerodynamik abgewogen werden. Vor allem wenn lange Distanzen absolviert werden sollen oder nach der Radstrecke noch ein Laufabschnitt kommt wie beim Triathlon, kann eine sehr aerodynamische Position in der Folge sogar Leistungseinbußen bringen. Es geht also nicht darum, isoliert den Luftwiderstand maximal zu reduzieren, sondern vielmehr darum, das System Fahrer/Fahrrad optimal auf eine Disziplin einzustellen.(2)

Erkennbar wurde diese Problematik bei einem Weltklasse-Triathleten, der auf Hawaii Top-Platzierungen erreichte: Dessen Analyse auf der Bahn, bei der allein die Leistungsdaten betrachtet worden waren, ergab zwar eine deutliche Verbesserung der Aerodynamik, aber beim Jahreshöhepunkt auf Hawaii hatte sich die Radzeit wesentlich verschlechtert. Diese Bilanz zog man aus der Auswertung der Leistungsdaten des Rennens. Offensichtlich reicht also die einfache Berücksichtigung der Aerodynamik nicht aus, wenn es um das Verbessern der Leistung geht. In den letzten Jahren wurden die einfachen Bahntests deshalb mit umfassenden Methoden erweitert. Neben den individuellen Anlagen des Fahrers, wie z. B. dessen Beinlänge, muss vor allem die Zieldisziplin berücksichtigt werden.

Zu fragen ist folglich: Welche Strecke wollen Sie in der Position fahren? Wollen Sie einen Triathlon machen oder bei einem Zeitfahren starten? Außerdem muss man orthopädische Fehlstellungen im Bereich der Hüfte, der Knie oder der Füße bei der Bestimmung der Sitzposition mit einbeziehen. Denn diese biometrischen Aspekte spielen auch in Hinblick auf die Aerodynamik eine wichtige Rolle. Nur so lassen sich negative gesundheitliche und damit leistungsmindernde Folgen, wie beispielsweise eine Beeinträchtigung der Durchblutung von Gefäßen im Hüftbereich oder im Brustkorb mit Auswirkungen auf die Atemleistung, vermeiden. Die Sitzposition und damit verbunden die Aerodynamik spiegeln also individuelle Merkmale wider, deren Veränderung auch vom subjektiven Fahrgefühl abhängt und deren Verbesserung nicht immer quantifizierbar zu sein scheint.

Wichtige Messgrößen sind also:

– Die orthopädischen Grundeinstellungen

– Die Kraftverteilung während des Tretens im Schuh

– Die Veränderung der Fußposition um die Achse

– Die Analyse des Einflusses der Aerodynamik auf die Leistung

– Das Sichwohlfühlen auf dem Rad

 

Profiathlet während einer Testfahrt

Abb. 1: Profiathlet während einer Testfahrt

 

 

 

 

 

 

 

 

 

    So verbessern Sie Ihre Sitzposition am wirkungsvollsten

     Zur Bestimmung der Aerodynamik gibt es sehr teure und objektivierende Methoden, die in Form von Windkanaltests in Bereichen der Automobilindustrie, aber auch in der Fahrradproduktion schon lange etabliert sind. Fürs Radfahren sind insbesondere Anlagen mit niedrigen Windgeschwindigkeiten wichtig, die bei der Fertigung aerodynamisch optimierter Materialien wie z. B. für Rahmen oder Bekleidung einige Vorteile bieten. Diese liegen vor allem in der Reproduzierbarkeit, da die Objektivität der Testergebnisse im Vordergrund steht. Allerdings lassen sie sich kaum in die Praxis übertragen. Dafür sind Feldtests auf einer Radrennbahn oder im Freien aussagekräftiger. Das liegt daran, dass im Windkanal viele praxisrelevante Faktoren unberücksichtigt bleiben. Insbesondere der mit der Geschwindigkeit linear ansteigende Roll- und Reibungswiderstand und die Fahrdynamik des Athleten beeinflussen ja das Gesamtverhalten.

    Wir wollen Ihnen nun exemplarisch den Ablauf eines komplexen Aerodynamiktests vorstellen. Um Aussagen über die Aerodynamik und die Einstellungsmöglichkeiten treffen zu können, ist eine exakte Dokumentation der Ausgangssituation nötig. Dazu wird erst einmal Ihr Körperstatus gemessen. Es findet also eine vollständige biometrische Überprüfung Ihrer Grundposition statt. Dabei werden Hüft-, Fußund Kniebewegung registriert und deren Wirkung auf die Kraftübertragung aufs Pedal überprüft. Außerdem werden alle relevanten Einstellungen des Rades nachgemessen und dokumentiert. Erst danach kann eine 1. Testfahrt in Wettkampfgeschwindigkeit simuliert und mittels eines Leistungsmessgeräts aufgezeichnet werden. Dazu fahren Sie einige Runden auf einer Radrennbahn in Ihrer Ausgangsposition. Der Einsatz des Leistungsmessers ist rückwirkungsfrei und hat somit keinen Einfluss auf die Testergebnisse, da weder die Rolleigenschaften noch die Aerodynamik dadurch beeinflusst werden. Anschließend wird eine 2. Testfahrt in unveränderter Position zur Überprüfung der Druckverteilung der beiden Füße mithilfe von Messsohlen im Radschuh in der Ausgangslage durchgeführt. Diese 2. Messung dient nur der Beurteilung der Position aus biometrischen Gesichtspunkten und zusätzlich der Einschätzung der Kraftübertragung bzw. der Fußbewegungen. Da das hierfür eingesetzte Messsystem aufgrund des Senders die Aerodynamik beeinflusst, wird diese anhand der Daten aus der 1. Testfahrt überprüft. Anschließend kann Ihre Position systematisch verändert werden, indem die Fahrradeinstellungen zur Optimierung entsprechend angepasst werden.

    Alle Änderungen müssen dabei auf ihre Wirkung hinsichtlich ergonomischer und aerodynamischer Aspekte überprüft werden. Zur direkten Beurteilung der Position, in der der Sportler gefahren ist, werden im Anschluss an die jeweilige Testfahrt die Daten des Leistungsmessers ausgelesen. Die gemessenen Leistungsdaten werden zur besseren Vergleichbarkeit auf einen Geschwindigkeitswert bereinigt. Dies ist notwendig, da sowohl während einer Fahrt als auch zwischen den verschiedenen Durchgängen Abweichungen in der aufgezeichneten Geschwindigkeit vorkommen. Dieses an den Mittelwerten orientierte Verfahren ermöglicht eine erste grobe Beurteilung darüber, ob sich die aufzubringende Leistung für eine definierte Geschwindigkeit verringert oder erhöht hat.

    Wenn Sie bei gleicher Geschwindigkeit weniger Leistung benötigen, ist eine Position als aerodynamischer einzuschätzen als die, die höhere Wattwerte erfordert. Daraus können Rückschlüsse auf weitere Veränderungen gezogen werden. Für eine abschließende Beurteilung reicht die alleinige Orientierung an den Mittelwerten jedoch nicht aus. Auch bei sehr konstanten Bedingungen wie auf einer überdachten Radrennbahn, zeigt die Leistung eine teilweise sehr starke Streuung. Das führt dazu, dass extreme Ausreißer in den aufgezeichneten Werten den Mittelwert stark beeinflussen. Genau dies ist das Manko bei den meisten Feldtests auf einer Bahn. Wurden bislang in diesem Feldtestverfahren allein die Mittelwerte der Leistungen über die Dauer der Fahrt zum Vergleich mit denen bei konstanter Geschwindigkeit herangezogen, berücksichtigen die modernen Testverfahren zusätzlich jeden einzelnen Messwert. Ihre gesamten Messdaten werden also einer inferenzstatistischen Auswertung unterzogen. Das bedeutet, dass man die Messungen mithilfe der so genannten schließenden Statistik bewertet. Erst das sichert die Aussagen zur Aerodynamik inhaltlich ab.

    Eine ganz besondere Erweiterung ergibt sich aus der Möglichkeit, den Luftwiderstandswert, den so genannten CwA-Wert, sowohl für Fahrten auf Radrennbahnen in der Halle als auch im Freien bestimmen zu können. Der CwA-Wert wird aus der Angriffsfläche des Systems Mensch/Fahrrad und dem tatsächlichen Luftwiderstand, dem CW-Wert, errechnet. Dieser auch als Strömungswiderstandskoeffizient bezeichnete Wert ist quasi ein Anhaltspunkt für die Aerodynamik. So existiert also ein zusätzlicher Parameter, der insbesondere bei Materialtests oder bei Positionsveränderungen ein weiteres objektives Maß darstellt. In Untersuchungen zeigte sich eine sehr hohe Aussagefähigkeit, die dem Vergleich mit Windkanaltests durchaus standhält!

    Insgesamt werden in den modernen Untersuchungen zur kombinierten Sitzpositionsbestimmung aus Aerodynamik und Biometrie also folgende Faktoren in die komplexe Auswertung einbezogen:

    – Die Leistung in Watt bei einer festen Geschwindigkeit

    – Die inferenz-statistische Auswertung der kompletten Datensätze

    – Der CwA-Wert (die „Luftwiderstandsfläche“), ermittelt bei den Testfahrten

    – Die biometrische Vermessung

    – Die Kraftmessung mithilfe von Messdrucksohlen

     

    Druckverteilung im  eines Radfahrers vor und nach einem Belastungstest

    Abb. 2 a+b: Druckverteilung im Schuh vorher und nachher

     

     

     

     

     

     

     

     

     

      Überprüfen Sie Ihre Position

      Das Verfahren, das wir Ihnen hier vorgestellt haben, ist ein Ausschnitt aus einem laufenden Forschungsprozess und wird sicher auch in Zukunft weiterentwickelt werden. Da Stillstand immer auch Rückschritt bedeutet, darf man sich niemals der Illusion hingeben, den „Goldstandart“ gefunden zu haben. Das ständige Hinterfragen auch von etablierten Methoden ist ein wichtiger Aspekt für die Zukunft. Wenn Sie stolzer Besitzer eines Leistungsmessers sind, können Sie einfach mal Ihre Position mit einem simplen Test überprüfen: Suchen Sie sich eine flache windgeschützte Strecke aus und machen Sie mehrere Fahrten mit unterschiedlicher Armhaltung. Dann können Sie sehen, wie selbst bei ähnlicher Geschwindigkeit die Leistung schwankt. Schauen Sie sich dann die Daten auf Ihrem Computer an, und versuchen Sie, die unterschiedlichen Positionen zu bewerten. So werden Sie erkennen, welche Auswirkungen allein das Verändern der Haltung Ihres Oberkörpers und Ihrer Arme hat.(3)

       

      Tipps für Ihre Position:

      – Testen Sie verschiedene Positionen im Training.

      – Im Triathlon sollten Sie entspannte Positionen bevorzugen.

      – Die Aerodynamik muss nicht immer maximal ausgeprägt sein.

      – Eine komplexe Analyse muss Ihre Körpermaße berücksichtigen.

      – Das Material und Ihre Position ergeben das Gesamtbild.

         

        Dennis Sandig M.A., Wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Julius-Maximilians- Universität Würzburg und Doktorand an der Universität des Saarlandes; Mitbegründer der iQ athletik GmbH

        Jens Machacek, Orthopädietechniker und Bewegungsanalytiker, Gründer der Firma fahrradbiometrie. de und Berater zahlreicher Profisportler und Teams

         

         

         

        Quellenangaben

        1. Journal of applied Biomechanics, 1998, Bd. 14, S. 276–291.

        2. Sports Medicine, 1992, Bd. 14 (1), S. 43–63.

        3. Journal of Sports Science, 2003, Bd. 21 (9), S. 767–787.

         

        Fachsprache

        CW-Wert – ist das Maß für die Windschlüpfrigkeit eines Körpers und gibt den tatsächlichen Luftwiderstand an

        CwA-Wert – ist das Produkt aus dem CW-Wert und der Stirnfläche eines Objekts. Er ist ein objektiver Wert für die Aerodynamik und gibt die Luftwiderstandsfläche an.

        Ergonomie – beschreibt die Gesetzmäßigkeiten menschlicher Arbeit aus wissenschaftlicher Sicht

        Messdrucksohlen – sind dünne Kraftaufnehmer in Form eines Fußes. Werden die hauchdünnen Messfühler in einen Schuh gelegt, kann die Kraftverteilung bei einem Tretzyklus gemessen werden.

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Über den Autor

Dennis Sandig

Dennis Sandig arbeitete als Sportwissenschaftler am Institut für Sportwissenschaften der Julius-Maximilians Universität in Würzburg. Aktuell ist er bei der Deutschen Triathlon Union als Wissenschaftskoordinator und Referent für Bildung zuständig, sowie für das umfassende Aus- und Fortbildungsprogramm für Coaches im Triathlon.

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