Trainieren unter Strom – EMS als Training der Zukunft?

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Das so genannte EMS Training (elektrische Muskelstimulation) hat sich in den letzten Jahren weit verbreitet. Geworben wird mit großen Trainingseffekten, einer gesteigerten Schnellkraft und einer verbesserten Maximalkraft. Das Ganze bei einer sehr kurzen Trainingszeit und nahezu ohne große Anstrengung. Für die Kunden hört sich das sehr gut an. Geworben wird zudem oft mit Studien, die die Wirkung belegen sollen. Aber ist diese Trainingsform wirklich sicher und beim Übertrag auf Alltagsbewegungen sinnvoll?

Training mit Strom

Das Training mit elektrischer Muskelaktivierung von außen kommt ursprünglich aus der Physiotherapie und wurde da schmerzlindernd und entzündungshemmend eingesetzt. In den letzten Jahren wurde dies weiterentwickelt und mittlerweile existieren neben Trainingsgeräten, die den Strom mit Hilfe von Pads auf einzelne Muskelgruppen aufbringen auch Ganzkörperanzüge. Grundlage ist, dass jede Muskelkontraktion durch einen Nervenimpuls ausgelöst wird. Dieser Nervenimpuls ist vergleichbar mit einem elektrischen Strom, der über die Steckdose ein Elektrogerät antreibt. Wird Strom in einer bestimmten Frequenz und Intensität über die Haut an einen Muskel gerichtet, sprechen die Nervenbahnen auf diesen Reiz an und lösen eine Muskelkontraktion aus. Das EMS Training funktioniert somit als Auslöser für eine Muskelkontraktion, deren Stärke und Dauer über die Stromgabe geregelt werden kann.

 

Studien zum Stromtraining

In einigen Studien wurden die Effekte der EMS teilweise positiv dargestellt, wobei die Ergebnisse doch zum Teil zu hinterfragen sind. So wurde in einer Studie der Deutschen Sporthochschule Köln das EMS Training mit einem konventionellen Krafttraining verglichen. Das Krafttraining bestand aus den Übungen Beinstrecken und Beinbeugen bei verschiedenen Intensitäten und Wiederholungszahlen. Das Ganzkörper EMS-Training (GK-EMS) wurde mit Ausfallschritten und Kniebeugen kombiniert und bei 60% Reizintensität durchgeführt. Die Autoren der Studie kommen zu dem Schluss, dass sich alle Gruppen hinsichtlich der Kraft verbessert haben, jedoch nur die GK-EMS Gruppen auch signifikante Verbesserungen in der Kontraktionsgeschwindigkeit aufwiesen. Kennt man sich mit der Funktionsweise neuronaler Aktivierungen aus und der Wirkung des von außen applizierten Stroms, ist dies nicht weiter verwunderlich, denn die schnellen Muskelfasern werden von sehr dicken Nervenbahnen innerviert, die sehr schnell auf Strom von außen reagieren. Somit werden sie bei einer Stromapplikation über die Haut auch direkt angesprochen, während bei einem Krafttraining diese Fasern nur bei sehr hohen Lasten um 100% der Maximalkraft und sehr hoher Kontraktionsgeschwindigkeit (nicht Bewegungsgeschwindigkeit) aktiviert werden. Da dies in der beschriebenen Studie nicht trainiert wurde, ist klar, dass die Stromgruppen sich in der Bewegungsgeschwindigkeit stärker verbesserten.

Gefahren des EMS-Trainings

Wie zuvor beschrieben, werden schnelle Muskelfasern von sehr dicken und empfindlichen Nerven aktiviert. Die langsamen, ausdauernden Muskelfasern hingegen von sehr dünnen Nervenfasern. Aus diesem Grund werden bei einer Stromgabe von außen auf die Muskulatur immer zuerst die schnellen Muskelfasern aktiviert. Bei einer natürlichen Bewegung erfolgt die Rekrutierung der Muskelfasern jedoch genau andersherum: Zunächst werden immer die langsamen Muskelfasern über die Motoneurone aktiviert und erst mit zunehmender Anforderung kommen immer mehr und immer schnellere Muskelfasern hinzu. Somit wird beim EMS Training die natürliche Rekrutierungsreihenfolge umgedreht. Das kann dazu führen, dass unter EMS Training die langsamen Muskelfasern möglicherweise gar nicht oder nur zu einem Teil aktiviert werden, so dass die Kraftentfaltung insgesamt verschlechtert wird. Auch auf Ihre Motorik kann das Stromtraining negative Auswirkungen haben! Aus Studien ist bekannt, dass das isolierte Training an Maschinen und auch isometrisches Training nur mit Anspannung der Muskeln einen schlechteren Übertrag in komplexe Bewegungen erlaubt. Wenn Sie also Ihrem Körper etwas Gutes tun möchten, kommen Sie um ein komplexes Ganzkörpertraining nicht herum. Das Trainieren mit Strom mag sich einfach anhören und die Versprechen sind verlockend, letztendlich schaden Sie aber so Ihrem Körper möglicherweise mehr, als dass es Ihnen nutzt!

Dennis Sandig M.A.

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Über den Autor

Dennis Sandig

Dennis Sandig arbeitete als Sportwissenschaftler am Institut für Sportwissenschaften der Julius-Maximilians Universität in Würzburg. Aktuell ist er bei der Deutschen Triathlon Union als Wissenschaftskoordinator und Referent für Bildung zuständig, sowie für das umfassende Aus- und Fortbildungsprogramm für Coaches im Triathlon.

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