Wie funktioniert ein Functional Movement Screen?

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Was ist ein Functional movement Screen, wofür ist er gut und wie funktioniert er? Diese und weitere Fragen beantwortet Sportexperte Markus Klingenberg.

Eine typische Situation: Ein Sportler versucht bei gestreckten Knien mit den Fingerspitzen die Zehen zu erreichen und schafft es nicht.

Warum?

Geschätzt 80-90 % der Trainer und Orthopäden werden auf eine verkürzte ischiocrurale Muskulatur der Oberschenkel Rückseite tippen und eine entsprechende Dehnung verordnen. Ein an sich logischer Schluss möchte man meinen und in einigen Fällen auch richtig. Untersuchungen an ausreichend großen und repräsentativen Sportlergruppen haben aber gezeigt, dass in nur etwa 25 % der Fälle eine ein- oder beidseitigen Verkürzung der Oberschenkelrückseite die alleinige Ursache darstellt. Vladimir Janda, der Entwickler der Muskelfunktionstests, sagte schon 1964 zu diesem Thema:

„Unser motorische System funktioniert als eine Einheit. Es ist prinzipiell der falsche Ansatz, die Einschränkungen einzelner Bestandteile separat verstehen zu wollen, ohne ein Verständnis für das System als Ganzes zu haben.“

 

Asymmetrien und Dysfunktionen

Für die Prävention von Beschwerden im Bereich des Bewegungsapparates oder deren Therapie sind bestehende Asymmetrien und Dysfunktionen der entscheidende Risikofaktor. Insbesondere Dysfunktionen im Bereich der Rumpfmuskulatur, der Lendenwirbelsäule und der Hüftgelenke werden häufig übersehen oder nicht adäquat therapiert.

Man diagnostiziert (er“kennt“) oftmals nur das, was man schon kennt. Unbewusst folgt man der ärztlichen Grundregel: „Was häufig ist ist häufig und was selten ist ist selten“. Ein strukturiertes Vorgehen bei der Untersuchung des Bewegungsapparates hilft, diesen Fehler zu vermeiden. Wünschenswert ist es auch Befunde, wenn möglich auch zu objektivieren. In der modernen Medizin erwarten wir das von unserem Arzt als Standard. Je nachdem um welches Gewebe es sich handelt, wählen wir die entsprechende Diagnostik, z. B.

 

Schmerzen am Knochen = Röntgen, CT, Szintigraphie, MRT

Schmerz oder Schwellung an den Weichteilen = Ultraschall, MRT

Schmerzen oder Rhythmusstörungen am Herz = EKG, Herzecho, Cardio-MR

– aber was ist bei Dysfunktionen am Bewegungsapparat??

 

Viele Untersuchungen von Sportlern, sei es beim Orthopäden oder im Fitness Studio, richten ihren Fokus gezielt auf ein Gelenk oder einen Abschnitt der Wirbelsäule und untersuchen das Zielgebiet mit aktiven und passiven Untersuchungstechniken. Komplexe Bewegungsabläufe und -muster werden deutlich seltener überprüft und sind dazu oft zu unspezifisch für das Gesamtbild (Beispiel Zehen-/Fersengang). Das Ziel sollte es sein, eine Dysfunktion reproduzierbar und objektiv festzustellen und dann zielgerichtet zu korrigieren.

 

FMS & SFMA

Einen erfolgreichen Ansatz hierfür bietet ein „Screen“. Einer, der im Spitzensport in den USA und Europa häufig verwendet wird, ist der von Gray Cook entwickelte FMS (Functional Movement Screen). Dieser wird für gesunde Sportler ohne Schmerzen verwendet, um Dysfunktionen in den Bereichen Mobilität und Stabilität noch vor Auftreten einer Verletzung oder Überbeanspruchung festzustellen.

Ergänzend liefert der SFMA (Selective Functional Movement Assesment) für Sportler und Patienten mit Schmerzen im Bereich des Bewegungsapparats einen Entscheidungsbaum und eine „gemeinsame Sprache“ für Physiotherapeuten und Ärzte, um schon bestehende Beschwerden zielgerichtet diagnostizieren zu können. Der Untersuchungspfad berücksichtigt, dass alte Verletzungen und Schmerz als solcher, langfristig das abgespeicherte Bewegungsmuster des Gehirns verändern können und somit die Basis für weitere Verletzungen gelegt wird.

Im Fokus des Screen (FMS) stehen nicht einzelne Muskeln, sondern komplexe Bewegungsmuster, die die Muskulatur und Gelenke unter Belastung testen.

 

Beispiel

Ein in Rückenlage bei einer orthopädischen Untersuchung frei bewegliches Hüftgelenk bedeutet noch lange nicht, dass ein Sportler unter Belastung (Kniebeuge, Richtungswechsel beim Laufen, etc.) diese Hüfte ausreichend kontrolliert bewegen kann. Chronische Überbelastungen im LWS Bereich oder im Knie, die die Basis für eine Verletzung bilden können, werden dann schnell übersehen.

Schlussfolgerung

Den Bewegungsapparat sollte man wenn möglich auch „in Bewegung“ und unter Belastung untersuchen.

 

Mobilität und Stabilität

Überprüft werden beim FMS 7 grundlegende Bewegungsmuster und deren Bewegungsqualität im Hinblick auf Mobilität und Stabilität bei der Ausführung. Das Zusammenspiel verschiedener Muskeln und Gelenke und deren zentral gesteuerte Bewegungsmuster stehen im Vordergrund der Analyse. Der Functional Movement Screen dient nicht dazu, orthopädische Beschwerden zu diagnostizieren. Es werden Asymmetrien und schmerzfreie Bewegungseinschränkungen festgestellt. Diese Defizite bilden die Grundlage für das folgende korrigierende Training. Aus welchem Bereich der Arzt, Trainer oder Physiotherapeut anschließend die ausgleichenden Übungen („corrective exercises“) wählt, bleibt ihm überlassen. Auf diese Weise können bei Bedarf die unterschiedlichen Fachgruppen effektiv zusammen arbeiten.

 

Die Bewegungsmuster

Die folgenden 7 Bewegungsmuster werden wenn möglich beidseits überprüft:

– Überkopfkniebeuge

– über eine Hürde steigen

– Ausfallschrittkniebeuge mit beiden Füßen auf einer Linie

– Schulterbeweglichkeit

– gestrecktes Beinheben in Rückenlage

– Rumpfstabilitäts-Liegestütz

– Rotationsstabilität im Vierfüßlerstand

 

Treten bei der Ausführung der Bewegungen Schmerzen auf oder stellt sich ein Sportler/Patient direkt mit Schmerzen vor, eignet sich der SFMA zur Diagnose der zu Grunde liegenden Störung. Die Ursache der Beschwerden liegt dabei häufig nicht an der Stelle im Körper, die sich primär als schmerzhaft präsentiert. Ein typisches Beispiel sind Schmerzen hinter der Kniescheibe (lat.: retropatellar), deren Ursache in einer Bewegungseinschränkung des oberen Sprunggelenks (= Störung eine Etage tiefer) oder einem Stabilitätsdefizit der Hüftmuskulatur liegt (Störung eine Etage höher).

 

Die Bewertung

„Du kannst nichts managen, was du nicht auch misst“

Die Bewegungsmuster werden qualitativ nach einem einfachen Punktesystem erfasst.

3 Punkte werden vergeben, wenn eine Übung perfekt ausgeführt wird. 2 Punkte werden vergeben, wenn das Bewegungsmuster nur mit Kompensations- oder Ausweichbewegungen durchgeführt werden kann. Kann die Übung nicht durchgeführt werden, gibt es 1 Punkt und bei Schmerzen während der Bewegungsausführung 0 Punkte.

Maximal können bei 7 Bewegungsmustern also 21 Punkte erreicht werden.

Prospektive Studien haben ergeben, dass ein Sportler mit einem Punktwert unter 14 ein über 50 %-iges Verletzungsrisiko im Bereich des Bewegungsapparates hat. (Schwächen rechtzeitig erkennen: Der Functional-Movement-Screen)

  

Der Ablauf

Die Durchführung des Tests dauert ca. 10-15 Min. Bei Defiziten werden individuell abgestimmte Korrekturübungen („corrective exercises“) mit dem Sportler besprochen. Diese werden möglichst täglich und beim Training für wenige Minuten zusätzlich durchgeführt. Es existiert auch online und kostenfrei eine Exercise Libary auf der FMS Seite. Ein erneut durchgeführter Screen nach wenigen Wochen objektiviert anschließend die erzielten Verbesserungen.

Umfangreiche weitere Informationen sind auch auf folgenden Webseiten zum Teil frei verfügbar:

www.functionalmovement.com

www.graycook.com

www.movementbook.com

www.move2perform.com

 

Markus Klingenberg

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Über den Autor

Markus Klingenberg

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