Grundüberlegungen zur „freien, leistungssteigernden“ Tages- und Wochengestaltung

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Die meisten Trainer würden auf diese Frage an dieser Stelle sofort mit „Erst Maximalkraft – also Bouldern, wenn dies z.B. die A- oder B-Komponente ist – und anschließend die Kraftausdauer trainieren …“ antworten. Ich hingegen sage: Moment!

 

Erst A-, dann B- dann C … oder doch umgekehrt?

Wie Sie bereits in den Ausführungen in Teil 2 dieser 5-teiligen Nicht-Periodisierungsserie erfuhren: Einem allgemeinen Krafttraining (also der C-Tags-Komponente) den Vorzug zu geben, zumindest, was Ihren Tagesfokus angeht, wird Sie in Ihren Kletterleistungen garantiert nicht stärken. Der Grundsatz ist: Weder A- noch B- noch C sind in der zeitlichen Platzierung innerhalb eines A-/B-Tages relevant. Was zählt ist einzig der Fokus, den Sie während der Haupteinheit des Tages, entweder der A- oder B-Kletterdisziplin (siehe Teil 1) widmen. Klettertraining ist nun einmal, muskulär und neurologisch gesehen Kraftsport und alles eine Frage der höchst möglich an diesem Trainingstag aktivierbaren Energie, die Sie in ein Training, besser noch in jeden einzelnen Kletterzug legen. Daraus entsteht die Qualität und dies bewirkt letztendlich die gewünschte Leistungssteigerung. (Lesen Sie auch: Das „große C“ oder … Die Details der neuen „A-/B-Tage-Planung)

 

Alle Energie in Kletter-Workout zu geben, bedeutet zuallererst: Energie haben bzw. mit dieser fokussiert „arbeiten“!

Und das Wort „Energie“ ist an dieser Stelle sicherlich nicht esoterisch gemeint. Merken Sie sich: Kraft können Sie nur

Ungewöhnlich und doch Realität: Weltranglistenführende (per Januar 2013) Kim Jain trainiert morgens im Kraftraum – erst nachmittags an der Kletterwand!

trainieren, wenn Sie auch Kraft haben – also zumindest einigermaßen erholt sind! Dazu gleich mehr. Doch ist es, aufgrund dieser Tatsache auch nicht verwunderlich, dass nach mehrstündigem Bouldern hinterher „am Seil“ nichts mehr geht. Den Umkehrschluss werden die allermeisten Aktiven auch bereits am eigenen Unterarm – hoffentlich verletzungsfrei – erfahren haben: Harte, laktazide Kraftausdauertouren und hinterher Bouldern? No go! Der Grund in beiden Fällen: Die Hauptenergie und auch der mentale Fokus wurden eingesetzt. Dennoch berichtete mir Weltcup-As Magnus Mitboe in www.Power-Quest.cc Podcast 305 von Intervalltraining, welches er morgens, vor dem Bouldern absolviert. Jedoch, um den bärenstarken Norweger frei zu zitieren „easy und kontrolliert“. Und: Ich kenne auch Wettkampfkletterer, die morgens, nach entsprechender Gewöhnung, im Kraftraum trainieren und abends klettern. Bestes Beispiel: Weltranglistenführende Kim Jain! Die Koreanerin berichtete mir in einem, von mir bislang unveröffentlichten Interview tatsächlich, dass sie morgens, vor dem Klettertraining nachmittags, ihr Krafttraining absolviert. Zugegeben: Weder Magnus’, noch Kims Vorgehen sind für mich vorstellbar. Dennoch beweisen sie, wie frei das Konzept der Nichtperiodisierung, sogar innerhalb eines Klettertrainingstages durchführbar ist, sofern der Hauptfokus bzw. die Hauptenergie auf die Kletterhaupteinheit gerichtet wird. Es spricht nichts gegen z.B. Boulder- und Vorstiegstraining am selben Tag. Deshalb A-/B-Tag. Doch wie Sie in Teil 4 erfahren werden: Master-Peak-Plan und A-/B-Tag bedeutet Fokus auf A- oder B-Disziplin! Bevor ich hier noch ein wenig weiter aushole, gebe ich Ihnen hiermit das Basisrezept meines eigenen A-/B-Tages mit, welches Sie auch in den allermeisten Tagesplänen, die ich z.B. auch in meinen Büchern veröffentlichte, finden werden. Je nach Ihren Zielen, regenerativen Fähigkeiten und natürlich infrastrukturellen und „Teamplayer-Möglichkeiten“ (mehr zum Thema Trainingspartner folgt gleich!), kann eine solche Grundstruktur auch Ihr eigenes Vorgehen an den A-/B-Tagen strategisch vorgeben. Nur Mut: Mit entsprechender Gewöhnung führte eine solche, quasi alle Aspekte des Klettertrainings abdeckende Tagesplanung bereits mehrere meiner Coachies vom 7. in den 10. UIAA-Schwierigkeitsgrad!

 

Aufbau der A/B- und B-Tage

Warmup (D-Programm)

Aktivierungseinheit je nach Gewöhnung standardisiert, ganzheitlich und der Hauptsportart angepasst mit Leistungs-Check (C-Programm qualitativ und möglichst kletterspezifisch, sowie nicht ausbelastend!)

Haupteinheit Qualitäts/Quantitäts-Kombination (Betonung auf A- oder B-Komponente)

Optionale Mentaltrainingseinheit (Visualisierung zukünftiger Erfolge, Verankerung von Erfolgen)

Optionale Kraft- und/oder Konditionseinheit(en) (C-Programm)

Obligatorische Antagonisten bzw. D-Übungen, je nach Schwachpunkten (D-Programm)

Cooldown (D-Programm)

 

Trainingspartner – ein must have!

Das Wichtigste für Sie im Klettern bei der Tagesgestaltung: Holen Sie sich „die anderen“ mit ins Boot! Klettern ist de facto ein Einzelsport, in dem jedoch niemand, den ich kenne, dauerhaft auf hohem Niveau optimale Fortschritte realisiert indem er/sie das „eigene Süppchen kocht“, also immer nur alleine trainiert. Trainingspartner sind ein MUST HAVE und somit auch ein „Grundgeheimnis“ der Nicht-Periodisierung. Sorgen Sie für Ihr Team – zumindest 1-2 mal pro Woche an den 100% A-/B-Tagen, von denen ich in Kürze berichte.

„Wir glauben, unser Bestes zu geben … bis die anderen kommen! Deshalb verwende ich auch immer das »Wir« in meinen Antworten, wenn ich von Training spreche.“ … so bringt es einer meiner Coaches, Marty Gallagher, seines Zeichens 5-facher Powerlifting-Masters-Weltmeister und US-Coach in www.Power-Quest.cc Podcast 126 auf den Punkt.

Es wäre grob fahrlässig, zu Gunsten eines „super-profihaft-durchstrukturierten-Trainings-A-B-Tags-Planes“, einer sturen Wochenstruktur – ja besser eines gleich fix und fertig periodisierten Jahres die Vorzüge eines optimalen Umfeldes zu vernachlässigen. Ich trainiere Off-Season am liebsten mit jungen Athleten, welche sich auf ihre, meist zeitversetzt zu den „großen“ Wettkämpfen stattfindenden, Jugendeuropacups und -WMs vorbereiten. So ergeben sich bei mir, je nach Trainingspartner, oft Wochenzyklen, in denen ich primär bouldere also an meiner B-Komponente arbeite. Dann – oft völlig natürlich und trainingspartnerbedingt – arbeite ich erneut mehrere Wochen schwerpunktmäßig „am Seil“ – sprich in langen Kraftausdauerrouten. Wichtig war hier soeben das Wort „schwerpunkmäßig“. Niemals sollten Sie, genau so wenig wie ich, eine Ihrer Hauptdisziplinen länger als 2 Wochen völlig vernachlässigen. Doch rate ich Ihnen dringend: Egal, ob es sich um den Tag, die Woche oder das ganze Jahr handelt. Stellen Sie sich lieber der echten Welt, statt stupiden Tabellen, „Periodisierungs-Wellen“ und abstrakten Trainingsplan-Ideen. Diese entstanden oft anhand spitzer Redakteursfedern, welche die Leistungen der Champions eben zu „nachvollziehbaren Inhalten“ machen wollten und liegen fernab der Realität. Mehr als einmal durfte ich dies anhand meiner eigenen Recherchen oder sogar Trainingslagerbesuchen bei Weltklassekletterern aus erster Hand erfahren.

 

Nicht-Periodisiert – am besten im optimalen Trainingspartnerumfeld zu 100% – nicht immer, aber immer öfter!

Doch bevor es, vor allem in Teil 4 um die konkrete Wochengestaltung Ihres Master-Peak-Plans geht: Bleiben wir bei diesem Kolumnenteil vorerst noch einmal beim einzelnen Klettertag. Denn eine wichtige Komponente ist bislang unbeantwortet: dessen Intensität. Wichtig ist: Die vorhin kurz erwähnten 100% A-/B-Tage oder „Peak-Days“, wie sie bei mir heißen, „passieren“ in einem natürlichen Rhythmus von 2-3 Wochen. Eine Beobachtung, die übrigens schon vor längerer Zeit von sowjetischen Sportwissenschaftlern gemacht wurde, was sie dazu veranlasste, das „westliche“ Periodisierungsmodell infrage zu stellen und diesen natürlichen Rhythmus zu nutzen. Fazit ist: Damit Sie im Kopf frisch und ständig motiviert bleiben, werden die Trainingsinhalte verändert – das ist beim Klettern ja relativ leicht, da Sie sich immer wieder neue Routen schrauben können. Und im Begleittraining gibt es auch genügend Möglichkeiten für Variationen (s. z.B. meine Kolumnen über die verschiedenen Trainingsgeräte und Krafttrainingssysteme hier auf www.trainingsworld.com). Und erraten: Natürlich sind somit die 100% nicht an allen Trainingstagen anzustreben, ein A-/B-Tag mit „nur“ 90% kann ebenfalls sehr produktiv sein. Doch mehr dazu ebenfalls in Kürze in Teil 4 dieser Kolumnenserie.

 

Ihr Jürgen Reis (mit Nikolai Janatsch)

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Über den Autor

Jürgen Reis

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